"Kommen Sie rein. Wir verleihen Ihnen einen echten 'Like'."
Ist der digitale "Like" auf Facebook etwa nicht echt?
"Dafür brauchen wir erstmal Ihren Namen. Hören Sie Musik, bitte."
Zwei Männer sitzen vor mir am Tisch. Sie sprechen über mich, tippen auf der Schreibmaschine rum, während mich diese Country-Musik beschallt, die genau so scheinheilig nett klingt wie ein "Like".
"Herzlichen Glückwünsch, hier ein Zertifikat mit dem echten 'Like'."
"Herzlichen Glückwünsch, hier ein Zertifikat mit dem echten 'Like'."
Online-Phänomene im Offline-Kontext
Lukas Julius Keijser reicht mir ein dickes Blatt Papier, das wohl sagen soll: "Echtes Papier kennt man ja gar nicht mehr in der digitalen, diese-E-Mail-bitte-nicht-ausdrucken-Welt." Stempel und Unterschrift bescheinigen das echte Kompliment. Schöne Haare schreiben sie. Wie viele "Likes" hätte ich dafür auf Facebook bekommen? Hätte ein Fremder es "geliked", mir also ein Kompliment gegeben? Ist ein "Like" ein Kompliment? Fragen, die den Künstler Lukas Julius Keijser interessieren.
"Was liken wir auf Facebook? Wie reagieren wir darauf, wenn Freunde nicht darauf reagieren, was wir posten?"
Keisjer ist einer von 20 Künstlern - vor allem Digital Natives, nicht viel älter als 30 - die auf dem Yami-Ichi ausstellen, performen, verkaufen.
"Yami-Ichi ist so eine Art 'Geek-Flohmarkt'. So eine Online-Phänomene im Offline-Kontext präsentiert."
Alain Bieber, künstlerischer Leiter des NRW-Forums, hat diesen Flohmarkt, der von einem Künstlerkollektiv aus Japan entwickelt wurde, nach Düsseldorf geholt. Internet IRL, "In Real Life".
Jeder Stand wie eine Homepage mit dem Künstler im Impressum, weil er hinter dem Tisch steht. Ist das hier jetzt das Netz im schönen echten Leben, ohne Datenwahn, Datenklau, Bildschirm, Internetverbindung und digitaler Dauerbeschallung?
"Das Smartphone 1 streamt einen Stream."
Also kein Analog-Purismus mit Digital-Fluchtgedanken. Sondern Künstler, die mit und über das Netz arbeiten. Andreas Wundersee zum Beispiel streamt den Yami-Ichi in Echtzeit ins Internet mit der App "Periscope". Doch der Stream hakt.
"Zu viele Menschen sind gerade im Internet hier. Aber hätte man sich natürlich auch denken können, dass bei einem Internet-Geek-Flohmarkt, dass viele Menschen im WLAN hängen. Ah, jetzt, er geht, er geht."
Stream läuft. Jeder im Netz könnte zuschauen, wie das Real Life, das reale Leben im NRW-Forum gerade so spielt. Wundersee nutzt den Stream künstlerisch: Filmt ihn nochmals ab, verfremdet und erstellt eine digitale Malerei, die wie ein Aquarell aussieht.
Eine Live-Performance für das Netz
"Es geht auch so ein bisschen in die Richtung von Action Painting, wo früher die Maler die Farben geschmissen haben und hier nimmt man das Videomaterial als Ausgangsbasis. Der Gedanke war halt, und das könnte man vielleicht auch ohne Periscope in Echtzeit machen, weil eigentlich ist es ja nur eine Übertragung. Wir gehen über das Internet und wollen die Sachen dann wieder ins Real Life bringen."
Das Internet will real werden. Der Yami-Ichi ist ein großes Spiel mit diesem Schwebezustand, sodass am Ende gar nicht mehr klar ist, was real, irreal, echt, analog, digital, sinnvoll oder langweilig ist. Der Maler Pascal Sender aus Düsseldorf gibt sich eher irreal.
"Was soll ich für dich malen, ein Krümelmonster, das magst du doch so. Ich mache alles. Let’s go!"
Spricht er in sein Headset, blickt auf das Tablet vor ihm oder das DIN A4 Blatt darunter und zeichnet mit dem Filzstift.
"I paint live what you want."
Im Internet, wieder auf Persicope.
"Ich befinde mich im NRW-Forum, live, vor Leuten. Aber ich beachte nur euch."
Pascal Sender ergibt sich den Usern und zeichnet ihre Wünsche. Eine Live-Performance für das Netz IRL. Anders als der Verkaufsstand neben ihm.
Wer nicht halb im Internet lebt, versteht die Anspielungen nicht
"Wir sind so eine Art Internet-Kiosk."
Jean-Marc Lehwald. Verkauft "I Love Tinder"-Shirts, ausgedruckte Spam-Mails, Shitcoins, Antiviren-Bonbons. Als würde er das "Internet der Dinge" wörtlich nehmen und ad absurdum führen.
"Auch sehr schön ist die "Neue Ordner"-CD, da bin ich ganz stolz drauf. Da sind nämlich neue Ordner drauf. Ansonsten ist da nichts drin."
Das ist dann mehr Klamauk als Kunst. Wie beim Künstlerkollektiv "Sucuk und Bratwurst".
"Wir versuchen soviel Spaß zu haben wie möglich."
In ihrem "Internet Shop" auf dem Yami-Ichi verkaufen sie Pullover mit "HDL"-Druck, übergroße Hosen und Jacken aus glänzendem Netzstoff, Tribal-Logos. Wer nicht halb im Internet lebt, versteht die Anspielungen und Referenzen nicht. Das Kollektiv gibt sich wie ein Meme und steht damit für die Eigenheiten der Internet-Geek-Subkultur.
"Was bei solchen Veranstaltungen gut rüber kommt ist, wie unterhaltsam das Ganze ist, wie viel Spaß eigentlich darin steckt, wie viel Freiheit, wie geil einfach das Netz ist."
Findet Alain Bieber, wenn er an den "Internetstadl" denkt, der monatlich im NRW-Forum stattfindet.
"Was wir ja immer machen möchten: Einen Diskurs über diese Netzphänomene auslösen und das sind ja wirklich viele Nerds, die ihre Zeit vor dem Rechner verbringen, hier gibt es einen Dialog."