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In Würde sterben

Lässt sich die Entscheidung über das eigene Sterben normieren? Kann eine Patientenverfügung einem Arzt Sicherheit geben, wenn er eine notwendige Behandlung eines Sterbenden unterlässt? Die Diskussion über das ungeschriebene Recht des Einzelnen, festzulegen, wann und wie er im Krankheitsfall stirbt, soll jetzt münden in eine gesetzlich geregelte Verfügung, die Arzt und Patient Klarheit verschafft. Der Entwurf dafür liegt vor.

Von Ingrid Füller | 25.06.2008
    Schmerzfrei und in Würde – so möchte wohl jeder sterben. Am liebsten im eigenen Bett und umgeben von vertrauten Menschen. Doch der sanfte, schnelle Tod, den sich die meisten erhoffen, ist nur wenigen beschieden. Viel häufiger ist das langsame Sterben im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Im schlimmsten Fall sind die Patienten nicht mehr ansprechbar und können nicht selbst entscheiden, welche medizinische Behandlung sie wünschen – und welche nicht.

    In Umfragen spricht sich die große Mehrheit der Bevölkerung regelmäßig für das Recht auf einen selbstbestimmten Tod aus. Schätzungsweise acht bis zehn Millionen Menschen in Deutschland haben eine Patientenverfügung unterschrieben. Damit legen sie im Voraus fest, wie sie in einer Situation behandelt werden möchten, in der sie nicht mehr in der Lage sind, sich selbst dazu zu äußern. Doch in der Praxis herrscht häufig Rechtsunsicherheit darüber, wie bindend Patientenverfügungen sind und wie sie umgesetzt werden sollen.

    Seit Jahren diskutieren Experten in diversen Gremien darüber, wie weit das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende reichen darf.

    Wer hat über Abbruch oder Nicht-Einleitung lebenserhaltender Maßnahmen zu entscheiden? Patienten? Ärzte? Angehörige? Gerichte?

    Morgen wird sich der Bundestag mit einem Gesetzentwurf beschäftigen, der allen Beteiligten mehr Klarheit bringen soll. Während die Mehrheit des Deutschen Juristentages und des Nationalen Ethikrats ein solches Gesetz befürwortet, lehnen offizielle Ärztegremien eine gesetzliche Regelung zu Patientenverfügungen ab. Das Sterben eines Menschen sei ein sehr komplexer, individueller Vorgang, der sich nicht gesetzlich normieren lasse, sagt der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery.

    "Wenn es eine Patientenverfügung gibt, die auf den Zustand des Patienten Bezug nimmt, wird der Arzt sich daran halten. Andernfalls würde er ja den Patienten gegen seinen Willen behandeln. Übrigens: Die Situation tritt ja sehr viel öfter auf im Fall, wenn der Patient das selber noch regeln kann. Ich kenne viele Patienten in Endstadien ihrer Erkrankung, die sind ansprechbar, und die sagen, ich will nicht, dass ihr noch etwas mit mir macht, und dann tun wir das auch nicht."

    Jeder Mensch hat das Recht, eine Therapie abzulehnen, selbst wenn sie ihm helfen könnte. Doch respektieren die Ärzte auch dann noch den Willen eines Patienten, wenn er nicht mehr bei Bewusstsein ist, zu einem früheren Zeitpunkt aber festgelegt hat, was im Falle einer schweren Erkrankung mit ihm geschehen soll? Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg, hegt Zweifel.

    "Das müsste man empirisch genauer klären. Ich glaube aber, dass das eine Schutzbehauptung der Ärzte ist und dass es einen erheblichen Anteil an Ärzten gibt, die das traditionell handhaben. Und traditionell wurde es so gehandhabt, dass die sich nie daran gehalten haben. Das hat sich in den letzten Jahren durchaus geändert. Es gibt derzeit zwei Strafverfahren gegen Ärzte wegen Zwangsbehandlungen dieser Art, die Patientenverfügungen ignoriert haben. Das sickert durch natürlich auf die Ebene der Ärzteschaft, aber das ändert nichts daran, dass wir trotzdem einen Klarstellungsbedarf haben. Selbst wenn die Ärzte sagen, ja, wir wollen uns im Prinzip daran halten, aber es gibt doch 100 Streitfragen. Der Gesetzgeber sollte die wichtigsten dieser Streitfragen klären."

    Derzeit gibt es drei Gesetzentwürfe, die sich im Wesentlichen in der so genannten Reichweitenbegrenzung voneinander unterscheiden.

    Rund zweihundert Abgeordnete aus SPD, FDP, Grünen und Linken haben sich auf einen Entwurf des früheren Richters Joachim Stünker geeinigt. Dieser räumt der Patientenautonomie oberste Priorität ein. Er sieht vor, dass die Wirksamkeit von Patientenverfügungen nicht von bestimmten, unheilbaren Krankheiten abhängig sein darf, die ohnehin zum baldigen Tod führen.

    Der vorher festgelegte Patientenwille soll auch bei langen Krankheitszuständen wie etwa einem Wachkoma oder starker Altersdemenz gelten. Also auch dann, wenn die Patienten noch eine ganze Weile leben könnten.

    Dagegen plädiert eine Gruppe um den Unionsabgeordneten Wolfgang Bosbach dafür, die Gültigkeit von Patientenverfügungen einzuschränken: Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen soll nur dann erlaubt sein, wenn die schwere Erkrankung unumkehrbar tödlich verläuft oder wenn ein Patient aller Voraussicht nach das Bewusstsein nicht mehr erlangen wird.

    Der dritte Gesetzentwurf der Unionspolitiker Faust und Zöller empfiehlt, vor der Umsetzung einer Patientenverfügung genau zu prüfen, ob der Inhalt tatsächlich noch dem Willen und der aktuellen Lage des Patienten entspricht. Dabei soll geklärt werden, ob sich die Lebensumstände geändert haben oder ob es medizinische Fortschritte für den konkreten Krankheitsfall gibt.

    Der Vizepräsident der Bundesärztekammer sieht den Entwurf von Joachim Stünker, über den der Bundestag morgen beraten wird, kritisch. Ulrich Montgomery spricht sich nicht nur gegen ein Gesetz aus, sondern auch gegen die unbegrenzte Reichweite von Patientenverfügungen:

    "Der eine Gesetzentwurf enthält ja keine Reichweitenbegrenzung, sondern der sagt, wenn eine Patientenverfügung schriftlich niedergelegt wird, hat der Arzt sich um jeden Preis der Welt daran zu halten. Den halte ich für zu weitgehend, weil ich erlebe sehr oft, dass Menschen unter dem aktuellen Eindruck einer gravierenden schweren Erkrankung zu anderen Subsumtionen ihres Lebens und Sterbens kommen und deswegen auch andere Vorstellungen entwickeln."

    Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Professor Klaus Dörner, langjähriger Leiter des psychiatrische Landeskrankenhauses in Gütersloh und Autor zahlreicher Veröffentlichungen, darunter das Buch "Leben und sterben, wo ich hingehöre". In einem Gesetz, das mit Zwängen und Verboten verbunden sei, sieht der Psychiater eine Art staatlicher Entfremdung des Sterbens und des Todes:

    "Wenn es nun schon zu einer gesetzlichen Fixierung kommen soll, was ich für verfehlt halte, dann würde ich natürlich aus Schutzgründen dieser Variante den Vorzug geben, dass nur im Falle von irreversibel zum Tode führenden Krankheiten eine Patientenverfügung eine mehr oder weniger bindende Bedeutung haben darf. Das wäre meinem Herzen am nahesten, wenn man schon diesen Fehler der Vergesetzlichung macht. Ich muss allerdings auf der anderen Seite sagen, das geht aus rechtsstaatlichen Gründen, glaube ich, nicht."

    Solange ein Mensch bei Bewusstsein ist, darf er jede Therapie ablehnen, auch dann, wenn sie ihn möglicherweise noch heilen könnte. Strittig ist, ob dieses Recht einem Patienten auch zusteht, wenn er nicht mehr ansprechbar ist, aber in einer Patientenverfügung bestimmt hat, dass er im Falle einer potenziellen schweren Krankheit keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht, etwa keine Flüssigkeitszufuhr, keine künstliche Beatmung oder keine Wiederbelebung. In welchem Maße müssen Ärzte solche Verfügungen umsetzen?

    Es geht darum, dass ich als Bürger dieses Landes genauso mein Recht auf Selbstbestimmung zu fordern habe, wie das für den Patienten gilt. Und insofern kann ich mich nicht zum Spielball der Wünsche des Patienten machen, weil in dem Maße, wie ich das täte, wäre ich für den Patienten ja wertlos geworden: Ich wäre dann sein Instrument. Ich würde das ausführen, was er mir vorschreibt. Eine Arzt-Patient-Beziehung, die sinnvoll ist, muss aber immer eine Gegenseitigkeit haben; es müssen sich beide Seiten gegenseitig korrigieren können, nur das ist eine tragfähige Beziehung.

    Was aber, wenn keine gegenseitige Verständigung möglich ist, weil der Patient nicht mehr bei Bewusstsein ist? Was gilt, wenn sich der Inhalt einer Patientenverfügung nicht mit dem Gewissen des behandelnden Arztes vereinbaren lässt? Dazu der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel:

    "Das ärztliche Gewissen betrifft die Entscheidungsfreiheit der Ärzte. Die Patientenautonomie betrifft die Sphäre des Patienten. Dass jemand ein Gewissen hat und Entscheidungsfreiheit hat wie die Ärzte, heißt nicht, dass er übergreifen darf in die geschützte Sphäre anderer Leute. Natürlich geht das nicht. Man kann nicht sagen, mein Gewissen verpflichtet mich, in deine Körpersphäre einzugreifen. Der andere kann immer sagen, wozu dich dein Gewissen verpflichtet, ist mir egal. In meine Sphäre greifst du bitte nur mit meiner Einwilligung ein. Das steht außer Zweifel. In diesem Sinne ist eindeutig die Patientenautonomie das primäre Entscheidungskriterium: Es geht um Eingriffe in die Körper- und Geistessphäre des Patienten. Da hat keine externe Instanz – weder die Vernunft noch das Gewissen anderer Leute die Entscheidungsbefugnis darüber."

    Das würde für eine gesetzliche Regelung sprechen, die dem Willen des Patienten oberste Priorität gewährt. Und so sind die meisten Juristen auch der Ansicht, dass das geplante Gesetz weder eine zeitliche noch eine sachliche Reichweite einführen darf.

    Zeitliche Reichweite bedeutet, dass Patientenverfügungen nur in der Sterbephase gelten dürfen. Davor soll der Arzt nach objektiven klinischen Maximen handeln. Die sachliche Reichweite begrenzt die Gültigkeit einer Patientenverfügung auf schwerste Krankheiten mit tödlichem Verlauf und schließt alle anderen Erkrankungen davon aus. Reinhard Merkel:

    "Ich halte im Prinzip beide Reichweitenbegrenzungen nicht für legitim. Das kann man leicht überprüfen, wenn man sich die autonome Person im aktuellen entscheidungsfähigen Zustand vorstellt. Dann kann sie jede Behandlung verweigern, und zwar zu jeder Zeit. Was es in unserem Land nicht gibt und vor dem Hintergrund des GG nicht geben darf, sind Zwangsbehandlungen – und wenn sie nach medizinischen Kriterien noch so vernünftig erscheinen mögen. Die Zwangsbehandlung darf es aber im Prinzip auch für eine nicht mehr entscheidungsfähige Person nicht geben, wenn diese Person vorher festgelegt hat, ich möchte das nicht. Dafür darf man grundsätzlich keine Reichweitenbeschränkungen einführen."

    Auch innerhalb der Ärzteschaft gibt es Stimmen, die eine weitreichende Patientenautonomie - und damit den Gesetzentwurf des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker - befürworten. Zu ihnen zählt Dr. Michael de Ridder, leitender Arzt der Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum in Berlin-Kreuzberg.

    "Es ist doch wohl ganz klar, dass ein Mensch juristisch nicht zerlegt werden kann in eine Persönlichkeit, die bei klarem Verstande über sich urteilen kann, eine Behandlung ablehnen kann und sich von allem, was ihm die Medizin auch zu seinem Wohl anbietet, distanzieren und sagen kann, ich will das nicht. Und in einer Situation, in der er nicht mehr über sich verfügen kann, denn darum geht es ja in der Patientenverfügung, ich verfüge über eine Situation, in der ich selber nicht mehr gefragt werden kann, das ist doch der Kern der ganzen Geschichte, kann ich doch für diesen Zeitpunkt nicht meiner Rechte enthoben werden und kann doch kein Mensch sagen, das gilt jetzt nicht. Im Gegenteil: Es muss dann gelten, weil sonst die Gefahr besteht, dass Interessen wirksam werden, die eben nicht die meinigen, sondern die Interessen Fremder: des behandelnden Arztes, irgendeiner übergeordneten Ethik oder was auch immer sind."

    Liegt keine schriftliche Willensäußerung vor, soll nach dem Gesetzentwurf von Joachim Stünker der "mutmaßliche Wille" gelten. Das bedeutet:

    Ärzte und Betreuer müssen herausfinden, welche medizinische Behandlung der Patient in der gegebenen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit gewünscht hätte. Kommen sie gemeinsam zu der Überzeugung, dass ein Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen im Sinne des Kranken ist, kann die Behandlung ohne vorherige Genehmigung durch ein Vormundschaftsgericht eingestellt werden.

    In der Ärzteschaft gibt es unterschiedliche Ansichten zum Umgang mit dem "mutmaßlichen Willen" von Patienten. Michael de Ridder schildert einen konkreten Fall:

    "Ich hatte kürzlich eine Patientin, die aus einem Pflegeheim kam, wie wir sie hier zu Hunderten haben über das Jahr verteilt. Die kam in einem schlechten Allgemeinzustand in die Rettungsstelle, und unter ihren Papieren, die sie mit sich führte, fand sich ein völlig verknitterter Zettel, wo oben drüber stand "Mein letzter Wille", wo einige Angaben waren zu ihrem kleinen Vermögen, und dazu stand darunter, so diagonal geschrieben "ich möchte nicht an Schläuchen hängen". Da würden wahrscheinlich viele von meinen Kollegen sagen, ja was ist das denn, das interessiert mich doch überhaupt nicht. Das finde ich sehr anmaßend. Ein solcher Satz sagt etwas aus, auch wenn er sehr schlicht und hilflos und in einer undeutlichen Schrift, wie auch immer, formuliert worden ist. Und das, was da drinsteht, muss ich ernst nehmen."

    Der Psychiater Klaus Dörner hält es für ein schwieriges Unterfangen, den "mutmaßlichen Willen" eines Patienten zu ermitteln. Besonders problematisch sei dies, wenn der Tod eines Patienten herbeigeführt und etwa die Beatmungsmaschine abgestellt werden soll.

    "Wenn ich als Arzt ehrlich bin, dann kann ich mir noch so viel Mutmaßlichkeit durch Information, durch Befragung Dritter besorgen – es bleibt trotzdem eine gewisse Unsicherheit. Und wenn ich als Arzt dann aufgefordert bin, indem ich den Stecker rausziehe, einen Menschen zu töten, dann will ich nicht nur von dem wie immer auch gemutmaßten oder auch schriftlich fixierten Wunsch meines Patienten abhängig sein. Und ich will, wenn es dann sein muss, und es gibt sicher Situationen, wo ich mich dann auch dazu zu bekennen habe als Arzt, den Stecker herauszuziehen und insofern den Tod eines Menschen zu bewirken, dann will ich, dass es dann gewissermaßen von der Gesellschaft mitgetragen wird – und da ist dann die neutralste Instanz immer noch das Gericht."

    Nicht etwa, weil Richter klüger seien als Ärzte oder Patienten, betont Klaus Dörner, sondern weil sie als dritte Instanz ihren Teil der Verantwortung übernehmen müssten. Die Vorstellung, dass anonyme Gerichte über ihr Leben und Sterben befinden, löst jedoch bei vielen Menschen Unbehagen aus. Mit einer Patientenverfügung wollen sie nicht nur unnötiges Leiden verhindern, sondern auch einen Rechtsstreit über ihren Tod.

    Der eigene Wille soll entscheidend sein, wenn es um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen geht - nicht die Interessen oder Bedenken anderer. Doch absolute Selbstbestimmung am Lebensende sei eine Illusion, meint der Hamburger Rechtsanwalt für Behinderten- und Medizinrecht, Dr. Oliver Tolmein. Allein schon deshalb, weil viele Patientenverfügungen in der Praxis gar nicht umgesetzt werden könnten.

    "In der Regel sind sie aufgrund der Komplexität der Materie und aufgrund von schlechter Beratung so gefasst, dass sie den Fall gar nicht regeln, in dem sie zum Tragen kommen sollen. Und dann hat man natürlich ein Problem. Dann hat man eine Willenserklärung, zum Beispiel für den Fall, dass ich mit einem Schlaganfall irgendwo liege und nie wieder zu Bewusstsein kommen werde."


    Dieses Problem, so der Hamburger Anwalt, könne auch ein Gesetz zu Patientenverfügungen nicht lösen. Denn zwingend wirksam sei immer nur eine Verfügung, die exakt den Fall trifft, der dann in der Praxis eintritt. Deshalb rät Oliver Tolmein, nahestehenden Menschen eine Vorsorgevollmacht zu erteilen – Freunden oder Angehörigen, die die eigenen Wertvorstellungen und Wünsche gut kennen. Dann seien die Chancen am größten, dass die eigenen Interessen gewahrt werden, wenn man sie selbst nicht mehr vertreten kann.

    Im Herbst vergangenen Jahres haben mehrere Mediziner großer Kliniken eine Erklärung unterzeichnet, in der sie sich verpflichten, dem Patientenwillen oberste Priorität einzuräumen und die Verantwortung für ein würdiges Sterben ihrer Patienten zu übernehmen. Der so genannte Lahrer Kodex, der am Herzzentrum im badischen Lahr entwickelt wurde, möchte Patienten mehr Sicherheit geben. Gleich am Beginn der freiwilligen Selbstverpflichtung heißt es:

    "Ich verpflichte mich, den Willen meiner Patienten zu achten und ihm im Rahmen des medizinisch wie rechtlich Möglichen zu entsprechen. Falls ein Patient entscheidungsunfähig ist, werde ich in Abstimmung mit seinem Patientenvertreter eine mir bekannt gewordene Patientenverfügung respektieren, sofern diese aktuell und auf die gegebene Situation anwendbar ist."

    Die Unterzeichner des Lahrer Kodex lehnen eine Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen ab. Das entspricht dem Gesetzentwurf des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker, nach dem der Patientenwille uneingeschränkt gelten soll. Auch der Entwurf der Unionspolitiker Faust und Zöller sieht keine Reichweitenbegrenzung vor. Dagegen will die Gruppe um den CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach die Gültigkeit von Patientenverfügungen auf Fälle beschränken, in denen schwere Krankheiten in absehbarer Zeit zum Tode führen.

    Sollte dieser Gesetzentwurf bei der Abstimmung im Bundestag eine Mehrheit finden, stünden die Ärzte, die sich für eine weitreichende Patientenautonomie einsetzen, vor einem rechtlichen Problem. Michael de Ridder:

    "Ich möchte hoffen, dass der Entwurf von Herrn Stünker den Bundestag passieren wird und dass der Bosbach'sche Entwurf scheitert. Wenn er durchkommen würde, glaube ich, dass sich viele Menschen in unserem Lande finden würden, einschließlich meiner Person, die sagen würden, das muss vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden."

    Die Debatte über das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende geht weiter - innerhalb und außerhalb des Parlaments. Wenn der Bundestag über dieses Gesetz abstimmt, wollen die Parteien den Fraktionszwang aufheben – damit die Abgeordneten bei dieser schwierigen Entscheidung nur einer Instanz unterworfen sind – ihrem Gewissen.