John wächst im Handumdrehn zu einem baumlangen starken Kerl mit prächtigen schwarzen Haaren heran, vergißt seine katholische Erziehung und die High School und geht mit siebenundzwanzig Jahren auf den Bau. Im vierzigsten Stockwerk über Seattle träumt der Einzelgänger von den legendären Mohawk-Indianern, die am Bau des World Trade Center in New York beteiligt waren und grübelt über den Sinn des Lebens. Hier oben, in schwindelerregender Höhe, nehmen seine düsteren Phantasien grausame Formen an. Er will die Weißen wieder das Fürchten lehren, er will die Angst in den blauen Augen sehen, er wird töten.
Der "Indian Killer" ist bald in den Schlagzeilen; daß es ein Indianer ist, schließt die Polizei daraus, daß er seine Opfer skalpiert und Eulenfedern am Tatort zurückläßt. Die Eule, die indianische Todesbotin, ist nur einer von vielen Verweisen auf indianische Mythen und Überlieferungen, die den Roman durchziehen. Auch darum geht es dem aus einer Reservation aus dem Staat Washington stammenden Spokane Indianer Sherman Alexie, um die Wiederentdeckung und Wiederaneignung der eigenen Kultur. Alexie zählt mit zweiunddreißig Jahren nach fünf Gedichtbänden, zahlreichen Erzählungen, zwei Romanen und mehreren Literaturpreisen zu den interessantesten jungen amerikanischen Autoren.
In "Indian Killer" benutzt er die Suspense-Elemente des Krimis, um seine ureigenen Interessen wirkungsvoller zu vertreten. Es geht ihm nicht um die Entlarvung des Killers, der ist von Anfang an bekannt, es geht um seine innere Entwicklung, um seine Motive, um die Stellung der Indianer in der amerikanischen Gesellschaft, auch um die Infragestellung des gängigen Indianerbildes. John ist genau der Prototyp eines Indianers: stoisch, verschlossen, stolz, männlich. Aber er ist gleichzeitig der Inbegriff des entwurzelten Indianers, der in vieler Hinsicht enteignete Indianer auf Identitätssuche.
John ist ein loner, er nimmt den Kampf wieder auf, den die großen Indianerhelden Geronimo oder Captain Jack so heldenhaft vorgekämpft haben, er tanzt als erster den prophezeiten Geistertanz, der die Europäer wieder aus Amerika vertreiben soll. Der "Indian Killer" ist ein Rächer, aber er ist nicht allein. Er ist umgeben von Gleichgesinnten, die andere Protestwege gehen, die sich alle gegen das weiße Establishement und gegen die Vereinnahmung der Indianer-Kultur verschworen haben. Sherman Alexie erzählt mit Militanz und Poesie von einem Volk, das es noch zu entdecken gilt. In einunddreißig Kapiteln entfaltet er eine Erzählstruktur, die durchaus in der indianischen Tradition der mündlichen Überlieferung steht. Er ist ein Geschichtenerzähler, der eigentlich Kurzgeschichten aneinanderreiht, die episodenhaft, elliptisch sind, die Erinnerungsschübe, Traumsequenzen einbeziehend, einer geheimen Erzähllogik folgen. Er entwickelt seinen Roman von der rückwärtsgewandten Mythologie hin zu einer neuen Schöpfungsgeschichte. Wenn Alexie von der List der Grastänzer erzählt, die sich an das Gras heranpirschen, wie Gras aussehen, sich wie Gras bewegen, wie Gras riechen, nicht mehr, um wie in alten Zeiten, den Tänzern eine Tanzfläche im hohen Gras zu bereiten, tritt er bewußt als Vermittler einer Kultur auf, die wie keine andere durch Stereotypen entstellt wurde. "Indian Killer" - das klingt reißerisch, in Wirklichkeit verbirgt sich dahinter ein mitreißendes Stück Literatur.