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Indianer in Berlin

Die Choreografin Laura Kugelmann und der Journalist Jürgen Berger haben in Nordargentinien mit dortigen Wichí-Indianern eine Performance erarbeitet. Dabei trifft ein europäischer Tänzer auf eine kleine Gruppe von Indianern - und eine unüberbrückbare Verständniskluft tut sich auf.

Von Eberhard Spreng | 14.09.2010
    "Unter den Pinien von Argentinien" krächzt es aus einem Nebenraum und Harald Beutelstahl tänzelt dazu leicht grotesk, stark verspielt vor einer Leinwand im Bühnenhintergrund, auf der Landschaften und Dorfansichten aus dem Norden Argentiniens zu sehen sind, aus dem Stammesgebiet der Wichí, die eine hemmungslose Agrarindustrie ihrer Wälder beraubt. Der 74-jährige Tänzer führt gewissermaßen in dieser transkulturellen Versuchsanordnung stellvertretend europäische Haltungen vor: Als skurriler Reisender durch eine exotische Welt, als König mit Pappkrone und Holzstecken. Er agiert kontrapunktisch zu einer kleinen Gruppe von Wichí-Sängern mit ihren traditionellen rituellen Gesängen.

    Die Schriftstellerin und Ethnologin Silvia Barrios begleitet die drei Wichí-Sänger; seit 20 Jahren kämpft sie als Direktorin des Bühnenprojekts "Argentina Indigena" für die Wiederbelebung einer sterbenden Kulturpraxis. Außerdem ist mit Maria Santolo eine junge Regie- und Dramaturgieassistentin auf der Bühne, die einige Erinnerungen von Menschen aus der indigenen Bevölkerungsgruppe vorliest: Sitten, Gebräuche, Kochrezepte.

    All das kommt relativ unprätentiös daher, also anders als das "Amazonas"-Projekt der Münchener Musikbiennale, als Ethnologen, Klimaforscher, Videoartisten, Architekten, Kulturhistoriker und andere nebst Großinstitutionen fächerübergreifend aufmarschiert waren, um den Amazonas auf der zeitgenössischen Musiktheaterbühne vor dem Untergang zu retten.

    In drei auseinanderdriftenden Teilen standen im Mai mal der Komponist Klaus Schedl, mal eine Erlebnislandschaft für umherirrendes Publikum, mal das technologieverliebte Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie im Mittelpunkt, ohne dass eine künstlerische Mitte gefunden worden wäre. Aber auch in der kleinen Arbeit "Ifwuala" tut sich eine unüberbrückbare europäisch-südamerikanische Verständniskluft auf: Das Publikum erfährt eben nichts von den Bildern und Vorstellungswelten, die die drei Tänzer und Sänger beseelt, wenn sie ihre alten Stammesrituale auf der Berliner Bühne wiederbeleben.

    Und es versteht auch kaum, welche Erkenntnisse sich die Initiatoren in diesem argentinisch-deutschen Performance-Crossover von der Begegnung eines alten europäischen Tänzers und drei Wichí-Indianern versprochen haben. Kaum anderes denn fremde Folklore tut sich da auf, der gegenüber der Zuschauer als verantwortungsbewusster Weltbürger nur Sympathie empfinden kann, zumal die drei Akteure aus dem Norden Argentiniens nur dank einer sehr kreativen Verwaltung überhaupt an Pässe gekommen sind, also an etwas, das sie zuvor nie benötigt und besessen hatten.

    Irgendwie schien sie das Ganze zu amüsieren, und zu ernst sollte auch sonst keiner dieses sogenannte erste "Try Out" nehmen.

    Infos:
    Maxim Gorki Theater