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Indien
Hilfsorganisationen kritisieren Bedingungen in der Textilproduktion

In Indien leben manche Mädchen in einer Art Schuldknechtschaft der Textilproduktion. Ihre niedrigen Löhne ermöglichen der internationalen Textilindustrie, den Verkaufspreis niedrig zu halten. Die Organisation Femnet fordert, die Lieferketten transparent zu machen.

Von Susanne Arlt | 28.11.2013
    13 Jahre alt war Shanti, als sie in einer Spinnerei im indischen Bundesstaat Tamil Nadu anfing zu arbeiten. Fast jeden Tag stand das junge Mädchen zehn bis zwölf Stunden an einer Spinnmaschine, fädelte im Sekundentakt das Garn durch die 40 Spindeln. Tagsüber durfte sie ein paar Stunden schlafen, nachts musste sie durcharbeiten. Nach viereinhalb Jahren war Shanti tot. Ein Schicksal von vielen, sagt Maheshwari Murugan und fixiert das Publikum.
    Die zierliche 33-Jährige trägt einen Sari aus rot-goldenem Stoff – ein typisch indisches Wickelgewand. Auf ihrer Stirn zwischen den Augenbrauen glitzert ein Schmuckstein. Als junge Frau habe sie selber drei Jahre lang für einen Hungerlohn in einer Spinnerei schuften müssen, erzählt sie. Aber noch schlimmer ergehe es den mehr als 200.000 jungen Mädchen, die im Süden ihres Landes auf besonders perfide Art ausgebeutet würden. Maheshwari Murugan, die inzwischen für eine unabhängige Frauenorganisation arbeitet, nennt diese Art der Zwangsarbeit das Sumangali-System. Es wird bisher ausschließlich in den mehr als 1300 Spinnereien in Tamil Nadu praktiziert.
    Sumangali ist ein Begriff aus dem Tamil und bedeutet „glückliche Braut“. Die Mädchen stammen aus sehr armen Familien. Ihren Eltern wird versprochen, dass sie in einer ordentlichen Fabrik eine ordentliche Ausbildung erhalten und dann nach einer Arbeitszeit von drei bis fünf Jahren kriegen sie eine Pauschalsumme ausgezahlt in Höhe von 350 bis 700 Euro, sozusagen ihre Mitgift. Aber die Realität sieht leider ganz anders aus.
    Die 14- bis 18-jährigen Mädchen arbeiten und leben auf dem Fabrikgelände. Sie haben kaum Kontakt zur Außenwelt. Sie müssen zu zehnt in kleinen, kargen Räumen schlafen. Maheshwari Murugan zeigt auf die Leinwand, dort sieht man einige Fotos der Unterkünfte. Es gibt keine Schränke und Betten, stattdessen liegen Wolldecken auf dem kalten Betonfußboden. Diese Mädchen leben in einer Art Schuldknechtschaft, sagt die 33-Jährige.
    Es gibt erzwungene Überstunden und Nachtarbeit, der monatliche Lohn ist nicht höher als ein Taschengeld. Weil es keinen schriftlichen Vertrag zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt, wird in den seltensten Fällen die versprochene Pauschalsumme am Ende auch ausgezahlt. Wegen der Mangelernährung und der unhygienischen Bedingungen leiden viele dieser Mädchen an Durchfallerkrankungen, Blutarmut, Migräne und haben Hautausschläge. Shanti ist an diesen Bedingungen zugrunde gegangen.
    Bedingungen, die es einer internationalen Textilindustrie ermöglichen, dass oft nur ein Prozent des Verkaufspreises in die Lohnkosten gehen. Die Lieferketten müssen darum transparent gemacht werden, fordert Gisela Burckhardt von der deutschen Frauenrechtsorganisation Femnet. Und das fange bei der Herstellung des Garns an.
    "Weil nun wirklich in diesen Spinnereien sklavenähnliche Bedingungen sind. Und diese jungen Mädchen sind in Schuldknechtschaft, wie sie dort arbeiten, da dürfen einfach deutsche Unternehmen nicht ihr Garn beziehen her. Die müssen sozusagen sicherstellen, dass in der Lieferkette garantiert wird, dass kein Garn kommt aus einer Spinnerei, wo Sumangali herrscht."
    Fast jeder große deutsche Bekleidungshersteller lässt seine Ware inzwischen in Bangladesch, China oder Indien herstellen. Solange es nicht Klarheit über die gesamte Lieferkette gibt, solange wird es wohl auch weiterhin Arbeitsrechts- und Menschenrechtsverletzungen in der Textilindustrie geben.