Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv

Indien
Zustand der Medien "besorgniserregend"

Statistisch gesehen lebt fast jeder fünfte Mensch der Welt in Indien. Aber trotz der Bevölkerungsdichte und der internationalen Bedeutung des Landes hören wir nur selten Nachrichten aus Indien. Das liegt zum einen an der Größe, zum anderen an der Situation der Medien im Land.

Von Kai Rüsberg | 04.02.2020
Ein Mann auf einem Markt in Munnar (Indien) liest eine Zeitung.
Der Printmarkt in Indien boomt - es gibt über 100.000 Zeitungen im Land. (dpa/ Sebastian Kahnert)
Quälend langsam schiebt sich der Bus durch den Stau der Wirtschaftsmetropole Pune. Journalismus-Studentin Tanvi Nerlekar sitzt hier täglich mehrere Stunden auf dem Weg zur Universität. Eigentlich Zeit zum Zeitungslesen. Doch sie lehnt ab, als ich ihr meine Zeitung anbiete. Zeitverschwendung, meint sie. Sie traue den Zeitungen nicht mehr zu, die wahren Geschichten zu berichten:
"Es gibt die Tendenz, alles unter den Teppich zu kehren, eine Mentalität, mit der Masse zu laufen, ohne zu versuchen, die Umstände zu verstehen. Blinder Glaube - ich denke, das ist gefährlich."
"Wir haben eine Vertrauenskrise"
Trotzdem ist Zeitunglesen in Indien noch immer sehr populär. Die allermeisten Zeitungen kosten nur fünf oder sechs Cent. Fast jeder kann sie sich leisten, und der Markt boomt. Beim Informationsministerium sind 100.000 Zeitungstitel in vielen der Landessprachen registriert, täglich werden mehr als 500 Millionen Zeitungen verteilt. Aber das sei kein Indikator für eine funktionierende Medienlandschaft, sagt die TV-Journalistin Arfa Khanum Sherwani: "Die Zahl der Medien steigt, aber die Qualität sinkt drastisch."
Die selbstbewusste 39-Jährige hat ihren Job als TV-Moderatorin aufgegeben. Sie arbeitet jetzt lieber für "The Wire" - eine Onlineplattform für unabhängigen Politik- und Wirtschaftsjournalismus in der Hauptstadt Delhi, die von einer neu gegründeten Stiftung betrieben wird. Auslöser dafür sei ihr Frust darüber gewesen, dass viele indischen Medien nicht mehr allein der Wahrheit verpflichtet seien.
"Der Zustand der indischen Medien ist besorgniserregend, wir haben eine Vertrauenskrise. Im Moment ist die Presse von außen beeinflusst und wirkt als Propaganda-Arm der Regierung. Die Medien haben in den letzten sechs Jahren keinen Widerstand dagegen gezeigt."
Nur wenig Berichterstattung aus Indien
In den letzten sechs Jahren - das entspricht der Regierungszeit von Ministerpräsident Narendra Modi, der im vergangenen Jahr wiedergewählt wurde. Shewani beobachtet, dass die Medien sich stark nach diesen neuen Mehrheitsverhältnissen orientieren und ihre Berichterstattung danach ausrichten.
"Es gibt Journalisten, die berichten, Zeitungen, die Nachrichten bringen, aber oft fehlt der vollständige Überblick. Es fehlt die Wahrheit über das Leiden der Leute, die Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit, das fehlende Wachstum. Über all das wird nicht ausreichend berichtet."
Aber auch die Berichterstattung aus Indien hat abgenommen. Ursache sind meist die Einsparungen europäischer und amerikanischer Medien. Deutsche Medien unterhalten nur noch wenige Korrespondenten: "Der Spiegel" und die dpa, sowie die ARD - sowohl für das Fernsehen als auch für den Hörfunk. Der langjährige Asienredakteur der "taz", Sven Hansen, arbeitet mit freien Autoren, um sich ein eigenes Bild aus Indien machen zu können.
"Es fällt uns schwer, uns bei Indien eine Meinung zu machen. Was wir wissen, ist, das Indien sich die größte Demokratie der Welt nennt und auch eine Demokratie ist, aber irgendwie überzeugt sie uns nicht. Die Entwicklung im Bereich Medien sind in Indien nicht positiv. Der Mediensektor ist enorm aufgebläht - also es gibt unglaublich viele Nachrichtensender, die jetzt permanent Nachrichten produzieren müssen und die dann auch teilweise selber Politik machen."
Fernsehsender nach dem Vorbild von Fox News
Indische TV-Nachrichtensender präsentieren sich überwiegend grell und marktschreierisch. Weil es in dem riesigen Sub-Kontinent schwierig ist, Bilder von den weit entfernten Orten auf den Sender zu bringen, ist deren Programm dominiert von Talkshows. Dort sitzen dann bis zu einem Dutzend Interviewpartner in der Studiorunde und überbieten sich oftmals lautstark. Kritische Nachrichtenberichte haben Seltenheitswert, bestätigt Sunaina Kumar, unabhängige Journalistin aus Delhi.
"Ich denke, es sind schwierige Zeiten für die indischen Medien und die Pressefreiheit. Medien sind polarisiert. Die Fernsehsender sind zu Cheerleadern der Regierung geworden, nach dem Vorbild von Fox News."
Sie vergleicht die News-Channels in Indien mit dem US-Sender Fox, der dem US-Präsidenten nahe steht. So sieht es auch Pratik Sinha, der als Softwareentwickler den Online-Dienst "AltNews" gegründet hat. Sein Ziel ist es, Fake News zu bekämpfen, in dem er Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft.
"Das Geschäftsmodell ist, ständig mehr Inhalte mit immer schnellerer Geschwindigkeit zu erstellen. Es gibt nur wenig Zeit zum Recherchieren. Ein Teil der Medien verbreitet Propaganda - für die Regierung."
Regierung setzt Medien unter Druck
Nur hinter vorgehaltener Hand berichten einige der Medienmacher in Indien, dass sie bei kritischen Berichten auch mal persönlich oder am Telefon eine Ermahnung erhalten, sich künftig zurückzuhalten. Die Leser allerdings spüren diesen Druck und wendeten sich ab.
"Die Medien haben gegenüber der Regierung kapituliert, wegen des Drucks. Ein Teil hat seine Glaubwürdigkeit komplett verloren."
Doch es gibt noch ein paar Zeitungen, die für unabhängigen und kritischen Journalismus anerkannt sind. Die englischsprachige Zeitung "The Hindu" ist die größte unter ihnen. Das traditionsreiche Blatt wird von einer Eigentümerfamilie geführt und gibt zahlreiche Regionalausgaben in Indien heraus.
Hoffnung macht zudem, dass sich in den letzten Jahren einige alternative Online-Magazine gegründet haben. Die meisten haben aber noch keine sichere Einnahmebasis und leben von Spendengeldern.