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Indios gegen Reisbauern

Im Reservat Raposa Serra do Sol feiern die Indios. Der oberste Gerichtshof hat entschieden, dass ihnen ihr etwa 1,7 Millionen Hektar großes Reservat im Norden Brasiliens endgültig gehört. 30 Jahre mussten sie um ihr Recht kämpfen. Zwar hatten Behörden und Politiker ihren Anspruch immer wieder bestätigt, aber die Reisbauern, die auf dem Reservatsgebiet riesige Felder bewirtschaften, weigerten sich zu gehen. Nach der Entscheidung von Richter Carlos Ayres Britto müssen sie das Land sofort räumen:

Von Gottfried Stein | 11.04.2009
    "Wer hier auf diesem umstrittenen Land gepflanzt hat, von dem man ausgehen konnte, dass sie es verlassen müssen, hat das auf eigenes Risiko und auf eigene Rechnung gemacht."

    Es ist ein für Brasilien klassischer Konflikt: Ureinwohner im Amazonasregenwald gegen reiche Großgrundbesitzer, die meist aus dem Süden Brasiliens stammen und illegal Land besetzten. Über Jahre haben sich die Bauern juristisch und auch mit Waffengewalt gegen die Rückgabe der Ländereien gewehrt. Die etwa 19.000 Indios hatten der Gewalt nichts entgegenzusetzen. Auch jetzt weigern sich die Bauern, weil sie mitten in der Ernte stünden. Ihr Anwalt Luiz Valdemar Albrecht:

    "Es gibt Bauern mit 3000 oder 4000 Tieren, wo soll er die denn jetzt unterbringen? Es gibt Plantagen mit 700.000 oder 800.000 Hektar voll von Reis der abgeerntet werden muss - das geht ja nicht über Nacht."

    Im Schatten des tropischen Regewaldes leben die Indios in über 200 Dörfern: manchmal sind es zwanzig oder dreißig Bewohner, in den großen Siedlungen bis zu 600 oder 700: In kleinen, primitiven Holz- oder Backsteinhäuschen, ohne Sanitäranlagen, nahe der Felder und Weiden. Dort bauen sie Reis, Bohnen und Maniok an, und halten Vieh. Pater Jaime Carlos Patias vom katholischen Missionsrat ist oft in der Region:

    "Wir haben die Vorstellung, dass der Indio jagt, fischt und im Schatten liegt und Feste feiert. Nein, der Indio ist ein Mensch, ein Bürger, und in Roraima arbeiten die Indios, in der Landwirtschaft, bestellen das Land, produzieren sehr viel, - Sachen die selbst für die Wirtschaft des Bundeslandes wichtig sind. Und sie haben 36.000 Stück Vieh."

    Die weißen Bauern residieren abseits der Dörfer, auf großen Fazendas mit ihren riesigen Reisfeldern und unermesslichen Viehbeständen. Die Indios hatten früher kein Vieh, und das nutzen die Bauern für ihre Zwecke, erzählt Pater Lirio Girardi, der 27 Jahre in Roraima als Missionar gelebt hat:

    "Die Bauern entwickelten eine Mentalität nach der die Indios als Sklaven geboren seien, denn sie seien nicht nur arm, sondern auch dumm, und deshalb müssten sie aufhören Indios zu sein, Macuxi zu sprechen und stattdessen Portugiesisch lernen. Das Land gehört nur denen, die auch Vieh haben. Die kein Vieh haben brauchen kein Land, da reicht ein Stück Erde, wo man etwas anpflanzen kann."

    Genau da setzte die Kirche an, mit dem Projekt "Eine Kuh für jeden Indio" wurden die Ureinwohner mit eigenem Vieh versorgt. Dadurch, meint Pater Lirio, habe sich auch ihr Status, und ihr Selbstbewusstsein verändert, habe überhaupt erst den ganzen Veränderungsprozess in Gang gesetzt. Es war auch bitter nötig, denn die Unterdrückung durch die Farmer war unerträglich:

    "Die Indios waren abhängig, wie Sklaven. Ich habe Indios gesehen, die mit Eisenketten am Bein festgezurrt waren, Indios die von den weißen Bauern bis zum Hals in die Erde eingebuddelt worden waren, verletzte Indios, geschlagene, gefangen gehaltene. Einige Indios arbeiteten auf den Höfen, hatten Vorteile, Zugang zum Fleisch, aber sie waren abhängig. Auf der Fazenda konnten sie zu hohen Preisen Salz, Schuhe, Kleidung kaufen. Und manchmal wurde ihre Arbeit mit Cachaça-Schnaps entlohnt."

    Im dem gewaltsamen Konflikt musste die Regierung manchmal Soldaten mit Hubschraubern in das unzugängliche Gebiet fliegen, um die Indios vor den bis auf die Zähne bewaffneten Bauern zu schützen. Zuletzt hatte Staatspräsident Lula im Jahr 2005 noch einmal bekräftigt, dass das Land den Indios gehöre.

    Jetzt will sich der Staat Widerstand nicht mehr bieten lassen. Regierungsanwalt Jose Antonio Dias Toffoli:

    "In diesem Gebiet leben relativ wenige Nicht-Indios, und man darf keinen Widerstand erwarten - denn sowohl die Indios wie auch die Nicht-Indios hatten bereits vor dem Prozess erklärt, die Entscheidung des Obersten Gerichts zu respektieren."

    Immerhin will die Regierung die Bauern entschädigen, allerdings muss die Höhe noch berechnet werden. Zudem gewährte der Oberste Gerichtshof Mitte der Woche den wütenden Bauern eine letzte Fristverlängerung bis Ende April.

    Richter Carlos Ayres Britto:

    "Die derzeitigen Besetzer des Gebietes brauchen Zeit um Ausrüstung und das Vieh abzutransportieren. In dem Gebiet "leben" tausende Stück Vieh. Aber diese Zeitspanne die sie brauchen werden zum Verlassen darf den Monat April nicht überschreiten. Das ist Zeit genug, sogar mehr als genug, wie wir durch unsere Studien und Gespräche mit Fachleuten festgestellt haben."

    Betroffen von der Ausweisung sind nicht nur die Bauern, sondern 50 weitere sogenannte "weiße Familien", deren künftigen Verbleib die Regierung noch entscheiden muss. Weil die diesjährige Reisernte auf 150.000 Tonnen geschätzt wird und von den Bauern allein bis Ende April nicht einzufahren ist, will die Regierung selber Hand anlegen und die Erlöse den Bauern zukommen lassen. Unmöglich, sagt Reisbauer Nelson Itikawa:

    "Die Regierung hat ja noch nie eine Ernte durchgeführt. Und jetzt plötzlich sprechen sie davon, selber die Ernte einzufahren, nur um uns hier wegzubekommen. Dass ist doch sehr seltsam und ich wundere mich sehr, so einen Vorschlag zu hören. Besonders deshalb weil die Regierung ja nicht eine einzige Erntemaschine hat."

    Auch der Staat profitiert. In der Region im nördlichsten Zipfel Brasiliens, im Grenzgebiet zu Venezuela und Guayana, werden riesige Rohstoffvorkommen vermutet. Bislang hatte die einflussreiche Indianerbehörde die Verfügungsgewalt über die Region, jetzt dürfen Polizei und Militär ohne deren Genehmigung in das Gebiet. Und die Souveränität der Indios sei eingeschränkt, klagt der Journalist Merval Pereira:

    "Den Indios wird garantiert, dass sie das Land für sich nutzen dürfen - allerdings entscheiden der Kongress und die Regierung, wie die Bodenschätze des Gebietes ausgebeutet werden. Die Indio-Kommunen müssen nicht konsultiert werden, wenn man zum Beispiel Stromkabel verlegt, überhaupt bei jeglicher Maßnahme der Regierung, wie die Erweiterung von Straßen und so weiter."

    Fachleute glauben, dass die Indios nur vermeintlich gewonnen haben. Sie bewohnen ihr Gebiet allein, dürfen ungestört Jagen, Fischen, das Land bestellen - aber nicht die Bodenschätze ausbeuten. In der Region gibt es Öl, Gas, Uran und auch Gold. Über die Gewinnung, wer, wann, wo entscheidet der Staat.

    Gespannt sein darf man auf eine andere Auswirkung des Urteils. Derzeit laufen 22 andere Verfahren über Landkonflikte in Indio-Gebieten. Trotz des Fortschritts ist manchen Indios im Reservat Raposa Serra do Sol nicht ganz wohl. Denn viele arbeiten als Feldarbeiter für die Bauern:

    "Viele Menschen, viele Familienväter werden arbeitslos werden. Das Leben wird schwieriger werden."