Archiv


Individuelle Windungen

Medizin. - Nicht erst seit der Biometriedebatte ist auch Laien klar, woran Menschen unterschieden werden können. Dank hoch auflösender Bildgebung kommt jetzt ein weiteres Merkmal hinzu: Denn Leipziger Forscher klassifizieren Gehirne anhand morphologischer Kriterien.

    Über 600 Probanden untersuchten Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig in ihrem Magnetresonanztomographen MRT, um dabei ganz unterschiedlichen Fragestellungen nachzugehen. Mit diesem Pfund an umfangreichen Datensätzen kann Thomas Hübsch jetzt wuchern. Denn den Diplominformatiker interessiert, ob die Gehirne so vieler verschiedener Menschen morphologische Übereinstimmungen auch in Details abseits der bekannten Anatomie aufweisen und sie sich so gar klassifizieren lassen.

    "Dazu analysierten wir die Hirnstruktur - die Hirnfurchung - und stellten dabei fest, dass bestimmte Faltungstypen häufiger auftreten als andere..."

    .... berichtet Hübsch. Um eine immer größere Oberfläche zu erhalten, faltete sich der Nervenzellteppich des Großhirns im Lauf der Evolution immer komplexer auf, bis schließlich das in den Anatomieatlanten abgebildete System an Gyri und Sulci - also Bergen und Tälern - entstand. In feineren Details fanden die Leipziger Forscher aber, dass bestimmte Unterareale manchmal eher wie ein U oder ein M geformt sein können. Insgesamt konnten Hübsch und seine Kollegen so über Merkmale insgesamt 16 verschiedene "Bautypen" des Gehirns definieren, die bei drei Viertel der rund 600 Datensätze nachweisbar sind. Davon ist der Informatiker selbst verblüfft:

    "Das wichtigste Ergebnis unserer Arbeit ist, dass die individuelle Unterschiedlichkeit fassbar und beschreibbar ist."

    Dabei gehe es allein um den Bau und die äußere Form der Gehirne und keinesfalls um den Versuch - ähnlich wie im vorletzten Jahrhundert - daraus auf Wesenszüge oder Verhalten zu schließen, betont Marc Tittgemeyer, ebenfalls Neurforscher am Leipziger MPI.

    "Wir versuchen ganz bestimmt nicht, Persönlichkeit zu korrelieren mit diesen Eigenschaften, die wir da aus der Struktur herauslesen. Wir wollen allein die Struktur kennzeichnen."

    Die Leipziger Experten hoffen, mehr darüber zu erfahren, wie groß die Bandbreite an unterschiedlichen Formen von Gehirnen ist. Und vor allem: Wie entstand der heutige Grundbauplan der obersten Schaltinstanz im Lauf der Evolution.

    "Dazu gibt es einige Hypothese. Eine einleuchtende Meinung ist beispielsweise, dass auf diese Weise das Gehirn in dem limitierten Schädelraum eine maximale Oberfläche erreicht. Eine andere Hypothese sagt, dass die Faserbahnen der Neuronen eine gewisse Konfiguration vorgeben."

    Erst mit dem Durchbruch in der Bildgebung und Entwicklungen wie dem MRT können Wissenschaftler anhand feiner Details die Wege der Evolution nachzeichnen. Am Computer entfalten Thomas Hübsch und seine Kollegen das Gehirn Schritt für Schritt, bis sie schließlich zu einer Kugel gelangen - quasi das Gehirnwachstum rückwärts vom Erwachsenen zum Embryo.

    "Das zeigt uns, dass wir auf einem gutem Weg sind, da die Entwicklung, so wie wir sie im Moment modellieren, zumindest scheinbar damit einhergeht. Aber das ist noch kein Beweis im wissenschaftlichen Sinne. Also wir brauchen weitere Datensätze, in die wir das einhängen können."

    Wenn die zusätzlichen Daten gewonnen sind, wollen die Leipziger gemeinsam mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie dann auch die Gehirne von Affen und Mensch miteinander genau vergleichen. Klar ist jedoch bereits heute: der Delfin besitzt das am meisten gewundene und gefaltete Gehirn.

    [Quelle: Hartmut Schade]