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Informant des SS-Sicherheitsdienstes?

Dem deutschen Sport steht eine weitere historische Debatte bevor: Nach endlosen Diskussionen um die Rolle des Sportfunktionär Carl Diem im Dritten Reich geht es nun um Willi Daume.

Von Erik Eggers | 10.01.2010
    Der Gründungspräsident des Deutschen Sportbundes und langjährige Präsident des Nationalen Olympischen Komitees war nicht nur seit 1937 Mitglied der NSDAP, sondern er hat im Zweiten Weltkrieg auch als Informant für den Sicherheitsdienst der SS gearbeitet. Das meldet "Der Spiegel". Das Nachrichtenmagazin beruft sich auf die Dissertation des Historikers Jan C. Rode, die im Göttinger Werkstatt-Verlag erschienen ist.

    Nach Darstellung Rodes hat der 1996 verstorbene Daume diese Tätigkeit in Interviews eingeräumt, die 1993 und 1994 im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Hannover geführt wurden. Diese Interviews waren bislang nicht publiziert. Daume sollte demzufolge die Stimmung in Antwerpen, wo der Besitzer einer Dortmunder Eisengießerei ein Zweigwerk führte, ausloten. Er habe diese Berichte für den Geheimdienst aber lediglich angefertigt, um dem "angedrohten Fronteinsatz in Stalingrad zu entgehen", rechtfertigte sich Daume. Aufgrund des geringen Informationsgehalts habe der Geheimdienst bald das Interesse verloren und ihn "aus der Aufgabe entlassen". Rode bezweifelt die Darstellung des Sportfunktionärs: "Aus heutiger Sicht erscheint es kaum vorstellbar, dass das Verfassen gehaltloser Berichte ausgereicht haben soll, das Interesse des SD zum Versiegen zu bringen", heißt es in der Studie.

    Der Historiker enthüllt ebenfalls, dass Daume im Entnazifizierungsverfahren sowohl die Mitgliedschaft in der NSDAP als auch die Tätigkeit für den SD verschwieg. Im ersten Verfahren 1948 wurde Daume in die Kategorie IV als "Mitläufer" eingestuft. Erst nachdem ein niederländischer Zeuge Daume bescheinigte, keine antisemitische Gesinnung bei ihm festgestellt zu haben, wurde Daume 1949 als "unbelastet" eingestuft - der Grundstein für seine steile sportpolitische Karriere, die 1949 mit seiner Wahl zum Präsidenten des Deutschen Handball-Bundes (DHB) begann.

    Dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ist die NS-Vergangenheit des Sportfunktionärs offenbar unbekannt. Noch am 1. Dezember hatte der DOSB den 1913 geborenen Daume als "politisch unbelastet" dargestellt, der nie Mitglied in der NSDAP gewesen sei. Daumes Parteizugehörigkeit war freilich spätestens seit 2008 bekannt, als es heftige Diskussionen gab, weil ehemalige NSDAP-Mitglieder wie Daume in die Ruhmeshalle des deutschen Sports aufgenommen werden sollten.