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Informatik
Katastrophenschutz mit der Crowd

Die Überwachung von Smartphones könnte für mehr Sicherheit bei Großveranstaltungen sorgen. Ein deutsch-brasilianisches Forscherteam will aus Handydaten vorhersagen, wann Menschenmassen sich in gefährliche Engstellen manövrieren. Die Echtzeit-Analyse verwendet nur Daten von freiwilligen Teilnehmern - und davon gibt es ziemlich viele.

Von Piotr Heller | 11.06.2014
    Feuerwerk bzw. bengalische Feuer brennen am 17.04.2014 während des Pokal-Halbfinales zwischen PAOK Saloniki und Olympiakos Piräus in der Toumba-Arena in Thessaloniki (Griechenland). Das Spiel begann mit 75 Minuten Verspätung und war von Schlägereien und schweren Ausschreitungen überschattet.
    Bei Großveranstaltungen kann es brenzlig werden: Eine kritische Situation für Sicherheitskräfte (picture alliance / dpa / Sotiris Barbarousis)
    Paul Lukowicz vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz hat den Überblick. Sein Monitor zeigt eine Karte von Zürich. Darauf sieht Lukowicz die Besucher des Züri Fäschts von 2013. Genauer gesagt: Ihre Bewegungen:
    "In dem Moment fängt das Feuerwerk an und man sieht, dass die Menschenströme weitgehend versiegt sind. Man sieht, eigentlich stehen sie hier an der Stelle. Und man kann später sehen in dem Moment, wo das Feuerwerk zu Ende ist, kommt hier ganz viel Bewegung rein. Man sieht also von Blau wird das auf Rot, man sieht die Leute bewegen sich, die gehen weg."
    Straßen, in denen die Menschen gehen, leuchten rot. Solche, wo die Besucher stehen, werden blau dargestellt. Lukowicz kann sich auch die Bewegungsrichtungen der Menschenmassen anzeigen lassen, oder ihre Dichte - also wie nahe sich die Menschen kommen. Dieser Überblick soll in Zukunft Sicherheitskräften dabei helfen, brenzlige Situationen zu erkennen. Etwa, wenn eine Menschenmasse sich in eine Sackgasse bewegt. Die Daten für die Echtzeit-Analyse liefern die Handys der Besucher, erläutert Lukowicz:
    "Ein Smartphone kann verschiedene Sensorwerte übermitteln. Dazu gehört zum Beispiel die Position. Wenn ich jetzt von den Smartphones die Positionen der Menschen mal einsammeln könnte, und zwar gar nicht so sehr die Position der einzelnen Menschen, denn der Einzelne interessiert mich gar nicht, sondern die praktisch mal aggregieren und aufsummieren könnte, dann bekomme ich dadurch eine Statistik darüber, wo sich die Menschen aufhalten, wie dicht sie sind und wo sie sich hinbewegen."
    Event-App mit Rückkanal
    Um an die Smartphone-Daten heranzukommen, integriert Paul Lukowicz sein Überwachungsprogramm in sogenannte Event-Apps. Das sind Handy-Programme, die Veranstalter für Großereignisse wie Festivals oder Fußballspiele erstellten. Damit speichern die Nutzer ihre Eintrittskarten oder finden sich mit Übersichtsplänen in Stadien zurecht. Die Massen mit diesen Apps zu überwachen, hat zwei Vorteile. Zum einen bieten sie einen Rückkanal: Sicherheitskräfte können den Nutzern individuell mitteilen, wie sie sich im Notfall verhalten sollen. Zum anderen kann Lukowicz mit den Daten der Apps sogar in die Zukunft blicken:
    "Wir haben auch etwas eingebaut, wo man aus der Nutzung versuchen kann vorherzusagen, was passiert. Also wenn ich jetzt zum Beispiel sehe, dass ganz viele Leute unsere App nach der Wegbeschreibung oder nach dem besten Transportmittel zu einem bestimmten Ort fragen. Und wir haben das evaluiert, man sieht, dass man daraus tatsächlich Vorhersagen machen kann."
    So warnt das System vor einem Gedränge an einer Haltestelle oder einem Verkaufsstand, bevor sich die Menschen überhaupt auf den Weg dorthin machen.
    Spionieren nur mit Erlaubnis
    Bei der Idee, auf diese Art beobachtet zu werden, kann man Angst bekommen. Darum integriert Paul Lukowicz die Überwachungsfunktionen so, dass der Nutzer sie selbst einschalten muss. Und das - so sagt er - machen die Meisten. Er hat sein System unter anderem bei den Olympischen Spielen in London getestet. Den nächsten Testeinsatz hat es bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Dort ist es Teil des deutsch-brasilianischen Projekts Rescuer.
    "Der Grundgedanke hinter Rescuer ist, Informationen von den Menschen zu beschaffen und Sicherheitskräfte damit zu unterstützen. Das Projekt hat vier technische Komponenten: Die erste ist das Crowdsourcing, bei dem wir Daten sammeln - und zwar über Sensoren der Handys und auch über Notfallknöpfe in der App, mit der der Nutzer etwa ein Feuer melden können. Außerdem haben wir ein System, das die Daten auswertet, und eines, das sie anschaulich darstellt und den Sicherheitsbehörden Entscheidungshilfen gibt. Und schließlich arbeiten wir noch an der sogenannten Ad-hoc-Kommunikation", sagt Rescuer-Projektleiterin Karina Villela vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering.
    Die Ad-hoc-Kommunikation kommt ins Spiel, wenn bei einem Notfall das Handynetz zusammenbricht. Damit der Kontakt zwischen den Menschen und dem Sicherheitspersonal dann nicht auch abreißt, sollen die Telefone ein eigenes Funknetzwerk aufbauen, und zwar per WLAN. Damit würden sie Informationen, die im Notfall Leben retten können, nach dem Prinzip der stillen Post von Handy zu Handy weitergeben. Paul Lukowicz baut mit seinem Team gerade erste Tests für diese Technologie auf.