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Informationsdienst von CDU und CSU im Kalten Krieg

Die Historikerin Stefanie Waske hat sich einem weitgehend unbekannten Kapitel des Kalten Krieges gewidmet: Die Schwesterparteien CDU und CSU leisteten sich einen Geheimdienst. Dieser sammelte über Partei- und Gesinnungsfreunde Informationen und Einschätzungen aus der DDR, dem Ostblock und der Europäischen Union.

Von Paul Stänner | 08.04.2013
    Im Herbst 1969 ereignete sich in den Augen der konservativen Parteien der größte anzunehmende Unfall. CDU und CSU, die Parteien mit der unbedingten Westbindung, verloren bei der Bundestagswahl die Regierungsmehrheit. Der Sozialdemokrat Willy Brandt wurde Bundeskanzler, sein Fraktionsvorsitzender der Moskau-erfahrene Herbert Wehner. Neben verschiedenen innenpolitischen Neuerungen zeichneten sich auch grundsätzliche Veränderungen in der Außenpolitik ab. Willy Brandt und sein Emissär Egon Bahr nahmen später Verhandlungen mit Moskau auf, um die West-Ost-Konfrontation abzumildern und zu einem kooperativen Modus Vivendi zu kommen.

    Konservative Kreise befürchteten, dass die Politik der Sozialdemokraten Deutschland an die Sowjetunion ausliefern könnte. Das war das eine Problem. Das andere war: Eine neue Regierungsmannschaft übernahm den Bundesnachrichtendienst BND. CDU und CSU waren damit von ihren bisherigen Informationsquellen abgeschnitten. Um dem gegenzusteuern, gründen Gefolgsleute der Union einen eigenen Nachrichtendienst. Die Historikerin Stefanie Waske hat die Geschichte dieses unionsinternen Spionagedienstes aufgezeichnet. Dafür konnte sie bislang verschlossene Akten der Konrad Adenauer Stiftung einsehen.

    "Da habe ich damals Briefwechsel entdeckt, wo immer von einem 'Kleinen Dienst' die Rede war, und hab‘ dann auch weitere Akten bestellt, aber die Akten, die dann immer hießen 'Kleiner Dienst', da stand dann immer der Vermerk gesperrt. Und als ich dann versucht habe, eine Akte zu bestellen, gab es dann Probleme, und ich musste die Recherche erst mal an anderer Stelle fortsetzen."

    Die fraglichen Akten wurden zum größten Teil freigegeben, und dann stellte sich heraus, dass die treibende Kraft hinter dem zu gründenden Dienst Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg war, Großvater des späteren Bundesverteidigungsministers, der so unrühmlich über seine Doktorarbeit stolperte. Guttenberg traf sich - so belegen die Unterlagen - noch im Herbst 1969 mit dem ehemaligen Kanzler Kurt Georg Kiesinger und dem CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß. Mit dabei war Hans Globe, unter Konrad Adenauer Chef des Bundeskanzleramtes. Sie beschlossen, ein eigener Informationsdienst muss her. Nach den Recherchen der Autorin nahm Wolfgang Langkau, pensionierter Vertrauensmann des Gründers des Bundesnachrichtendienstes Reinhard Gehlen, die Sache in die Hand. Man brauchte Profis für diese Aufgabe, der ehemalige Geheimdienstler Langkau warb seinen früheren Mitarbeiter und Noch-BND-Mann Hans Christoph von Stauffenberg, einen Vetter des Hitlerattentäters, ab. Stauffenberg musste aber mit einer neuen Position versorgt werden, damit er seine Ansprüche aus den Arbeitsjahren im öffentlichen Dienst nicht verlor. Bei der bayerischen Landesregierung fand sich ein Posten als Redenschreiber, der erprobte Nachrichtensammler schrieb jetzt also Grußworte. Nach Feierabend begann seine eigentliche nachrichtendienstliche Tätigkeit. Die Autorin erläutert die Motive der Akteure:

    "Auf der einen Seite natürlich das Weltbild der 50er, 60er-Jahre, was man als Kalte Krieger überschreiben kann, dass ihre Sicht natürlich schon war, dass die neue Ostpolitik eine große Gefahr darstellte. Das war das eine, zum Zweiten war es auch das Misstrauen einigen Mitgliedern der neuen Regierung gegenüber und dann eben speziell auch der Wandel im Bundesnachrichtendienst selbst, wo eben auch einige Leute in Positionen kamen, wo sie sagten: Ja, da kommen jetzt plötzlich auch Sozialdemokraten in leitende Positionen, wo wir nicht sicher sind, ob wir denen trauen können."

    Ein Geheimdienst braucht Geld. Die Zuträger wollen bezahlt werden, es sind Spesen abzurechnen. Wie Stefanie Waske aus den Akten zusammengetragen hat, war die Spendenbeschaffung ein wichtiges Kapitel in den Aktivitäten des Dienstes. Sie schreibt, dass Firmen zahlten, die der Union nahestehen, CDU und CSU selbst und dann war da ja noch die Scheinbeschäftigung von Stauffenbergs und seiner Sekretärin bei der bayerischen Landesregierung.

    "Vor allem am Anfang kann man sagen, war die Mehrzahl der Gelder aus Parteigeldern, vor allem eben von der CDU, und später dann, Ende der 70er-Jahre waren das eben öffentliche Gelder, die aus dem Landesetat von Bayern kamen, die speziell für so genannten positiven Verfassungsschutz eingesetzt werden sollten."

    Stefanie Waske hat, obwohl eine Dissertation der Ausgangspunkt des Buches war, keinen trockenen historischen Text geschrieben. Sie schreibt im Präsens, so als verfolge sie einen aktuellen Skandal, sie beschreibt die Personen, ihre Eigenarten und ihre Lebensläufe so prall und gegenwärtig, dass man erwartet, die handelnden Figuren abends noch in der Tagesschau zu sehen. Diese Lebendigkeit wirkt auf den Leser, obwohl es den Nachrichtendienst schon lange nicht mehr gibt:

    "Das Ganze endete dadurch, dass Helmut Kohl an die Regierung kam, das war sicher eine sehr wichtige Sache, aber das Zweite war, dass einer der Hauptlieferanten des Nachrichtendienstes, der Herr Langemann, meinte, ein Buch schreiben zu müssen, und dadurch bekam auch der Stauffenberg-Dienst Öffentlichkeit, die er vorher nicht hatte, und dann gab es einige Informanten, die sagten, wir möchten nicht mehr, und auch ein Kooperationspartner ist abgesprungen, und dann wurde die ganze Sache schwierig."

    Zwar ist der Vorgang nunmehr Vergangenheit, die meisten Akteure sind tot. Was aber bei den meisten Lesern vorhalten dürfte, ist die Empörung über Vergangenes und das daraus entstandene Misstrauen gegenüber den Parteien, die glauben, sie seien wichtiger als der Staat und stünden über dem Votum der Wähler und über der Rechtsordnung. Dass diese Mentalität, die Stefanie Waske aufgezeigt hat, nicht mit dem Untergang des unionseigenen Nachrichtendienstes endete, zeigt der CDU-Spendenskandal. Insofern ist Stefanie Waskes Buch über die Schlapphüte der Union eine wichtige Arbeit über die Geschichte unserer Demokratie.

    Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten! Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg", Carl Hanser Verlag, 304 Seiten, 19,90 Euro