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Inhalieren statt injizieren

Medizin.- Zwar gehören die Masern zu den Kinderkrankheiten, harmlos sind sie aber keinesfalls. In Indien sterben jährlich 200.000 Kleinkinder daran. Wissenschaftler wollen dort im kommenden Jahr einen neuen Impfstoff testen. Das Besondere: Er wird nicht gespritzt, sondern eingeatmet.

Von Arndt Reuning | 17.08.2009
    In seiner Hand quetscht Bob Sievers einen Kautschukball zusammen. Wäre dieser Zerstäuber mit dem Masernimpfstoff beladen gewesen, hätte der Luftstoß das feine Pulver in eine faustgroße Plastiktüte geblasen.
    "Dadurch füllt sich die Tüte mit dem Aerosol. Und hier über dieses Mundstück kann ein etwas älteres Kind oder ein Erwachsener daran saugen. Einfach nur ein Lungenzug, und schon hat man es eingeatmet."

    Der Staub besteht aus nur Mikrometer großen Teilchen eines Masernimpfstoffes. Ein abgeschwächter Erreger, der sich in anderer Form bereits bewährt hat.
    "In Wasser gelöst und dann zerstäubt, wurde der Impfstoff bereits im Jahr 1989 bei einem Masernausbruch in Mexiko erfolgreich erprobt. Wir dachten, wir könnten diesen feuchten Nebel einfach trocknen. Die kleinen Partikel sollten wesentlich stabiler sein und sich viel länger lagern lassen. Wir haben herausgefunden, dass das tatsächlich auch der Fall ist."
    Inhalieren statt injizieren heißt daher das Motto des Chemikers von der University of Colorado in Boulder. Ein pulverförmiger Impfstoff bietet sich besonders für entlegene Gebiete in Entwicklungsländern an. Dort, wo es an Elektrizität zum Kühlen eines Flüssigimpfstoffes und eventuell auch an sterilen Nadeln für die Spritzen mangelt.
    "Überall in den Entwicklungsländern besteht ein Bedarf nach kostengünstigen, einfachen Methoden, die Gesundheit zu verbessern. Und unser Verfahren gehört dazu. Selbst heutzutage noch fordern die Masern die meisten Todesopfer – von allen Krankheiten, gegen die es Schutzimpfungen gibt."

    Damit das Impfstoff-Pulver auch bis in die feinen Verästelungen der Lunge vordringen kann, müssen die Partikel besonders klein sein. Robert Sievers und seine Mitarbeiter haben das geschafft, indem sie die Teilchen aus einem besonderen Lösungsmittel herstellen: aus überkritischem Kohlendioxid. Das ist CO2, welches in seinen physikalischen Eigenschaften sowohl einem Gas als auch einer Flüssigkeit ähnelt. Darin bildet der Impfstoff mikroskopisch kleine Kügelchen, die sich schnell trocknen lassen. An Rhesusaffen hat dieser feine Staub schon bewiesen, dass er vor einer Maserninfektion schützt. Nun sind erste Test an menschlichen Patienten geplant.
    "Wir werden unsere klinischen Studien nächstes Jahr in Indien beginnen. Und wir hoffen, dass wir damit so viel Erfolg haben, dass unser System weite Verbreitung findet. Wir versuchen auch, diese Technologie zur Verabreichung von Antibiotika gegen Tuberkulose zu verwenden. Ich denke, wir können sehr schnell und einfach zeigen, dass unser System mit anderen Pulverinhalatoren vergleichbar ist und für viele verschiedene Anwendungen genutzt werden kann. Das Gerät selbst könnte also schon viel früher auf dem Markt sein als unser Impfstoff."

    In Konkurrenz dazu stehen Vakzine, die in genveränderten Früchten und Gemüsesorten hergestellt werden. Die sogenannte Impfbanane könnte direkt gegessen werden – und so die Gesundheitsvorsorge von Menschen in entlegenen Gegenden sicherstellen.
    "Beide Methoden haben ihre Berechtigung. Ich denke, es ist großartig, wenn jemand so etwas schafft, aber natürlich muss man dann für jeden einzelnen Impfstoff eine eigene Frucht entwerfen, die am besten funktioniert. Ein Aerosol aus einer Tüte einatmen – ich denke, das ist ein allgemeiner Ansatz, der sich für viele verschiedene Anwendungen eignet."
    Am Ende ist es auch eine Frage des Preises, welcher Impfstofftyp das Rennen macht. Robert Sievers glaubt, eine Dosis der Pulver-Vakzine für rund 25 US-Cent herstellen zu können.