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Initiative gegen sexuelle Gewalt
Prävention heißt, Kinder stark und selbstbewusst machen

Handyfotos aus der Umkleide, begrapschen in der Klasse - sexuelle Gewalt macht vor Schulen nicht Halt. Damit Schulen mehr Präventionsarbeit leisten können, wurde in vielen Bundesländern Infomaterial verschickt. Einige Schulen haben mittlerweile Anlaufstellen für Schüler eingerichtet, doch vielen fehlt das Geld.

Von Meriem Benslim | 06.11.2018
    Eine Frau hält ihre Handfläche Richtung Kamera. Darauf steht "Stop".
    In Prävention-Workshops lernen Schüler, dass sie "Nein" sagen sollten, wenn eine andere Person eine Grenze überschreitet (imago stock&people)
    "Wir haben festgestellt, dass über diese Information hinaus eigentlich gar nichts passiert ist. Wir halten es für erforderlich, dass in den Schulen für diese Arbeit auch Zeitressourcen zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, dass Kolleginnen und Kollegen, die das zu ihrer Herzensangelegenheit machen, dass die dafür auch Anrechnungsstunden bekommen. Das ist aber überhaupt gar nicht passiert", sagt Dorothea Schäfer, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in NRW.
    Das Landesschulministerium in NRW bestätigt diese Einschätzung sogar und weißt die Verantwortung für die Art der Prävention den Schulen zu. Aus dem Ministerium heißt es: "Die Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" bietet Informationen und Hilfestellungen, damit die Schulen Konzepte zum Schutz vor sexueller Gewalt erarbeiten können. Die Schulen in NRW entscheiden in eigener Verantwortung, welche Projekte sie zu dem Thema umsetzen möchten", so Ministeriumssprecher Moritz Börner.
    Schulen sollten Ansprechperson benennen
    Das Land hat keine zusätzlichen Stellen in den Schulen geschaffen oder Gelder vor Ort bereitgestellt. Genau das wird auch von der bundesweit bekannten Präventionsstelle "Zartbitter" in Köln scharf kritisiert. Andere Bundesländer, wie Bremen, hätten im Gegensatz zu NRW in die Kampagne tatsächlich investiert. Auch die Lehrergewerkschaft GEW sieht hier das größte Problem.
    "Ganz konkret stellen wir uns vor, dass in den Schulen eine Ansprechperson gibt, das klar ist, wenn Schülerinnen und Schüler sich belästigt fühlen, dass sie wissen, wen sie sich wenden können."
    Immerhin gibt es trotzdem Schulen in NRW, die solche Anlaufstellen für Schüler eingerichtet haben. Aus Eigenantrieb, abseits der großen Kampagne. Eine dieser engagierten Schulen ist in Lindlar, einer kleinen Gemeinde im Bergischen Land. Stefan Wittkampf leitet hier eine Grundschule. Für seine Schüler gibt es jedes Jahr Workshops oder Theaterstücke, die er zusammen mit der Beratungsstelle "Zartbitter" organisiert.
    "Die Kinder der zweiten Klassen, haben ein Programm durchlaufen, Mut tut gut, heißt das. Da bekommen die Kinder drei Tage in spielerischen Workshops vermittelt, dass sie Rechte haben, wie man sich schützen kann", erzählt Stefan Wittkampf.
    Kinder lernen, eigenen Grenzen aufzuzeigen
    In dem Kurs lernen die Kinder laut "Stopp" zu sagen, wenn ihnen ein Kind oder ein Erwachsener zu nahe kommt. Auch der achtjährige Philipp hat den Workshop besucht.
    "Wir haben gelernt, dass wir nicht so "He he, Stopp…" sagen sollen, sondern man mit einem ernsten Gesicht Stopp sagt. Weil man nämlich lacht, dann denkt der andere "hä, der findet das doch witzig". Dann macht er weiter."
    Philipps Klasse hat außerdem ein Theaterstück angeschaut. In dem Stück spielen die Schauspieler "Arzt und Patient". Auf der Bühne wird klar gesagt, dass kein Kind dem anderen etwas in den Po, die Scheide oder in die Nase stecken darf. Und auch, dass die Kinder "Nein" sagen sollten, wenn ein anderes Kind eine Grenze überschreitet, erklärt die siebenjährige Sophia.
    "Da ging’s um drei Kinder, die waren im Kindergarten. Da haben die mit ihren Freunden gespielt. Und da wollte dann auch ein Großer mitspielen. Und der wollte immer bestimmen und seinen Penis zeigen und das wollten die nicht und dann haben die das der Kindergartenerzieherin gesagt. Dann hat die das mit dem abgeklärt und dann hat er das auch nicht mehr gemacht."
    Prävention leider noch kein Standard
    In der Präventionsarbeit gehe es besonders darum, die Kinder stark und selbstbewusst zu machen, sagt Schulleiter Wittkampf. So könnten die Kinder klar sagen, was sie wollen.
    "Dass dann Kinder kommen und sagen: Frau Lehrerin, das und das ist mir passiert. Ich will das nicht und das andere Kind hat nicht gehört. Das heißt, die Kinder fordern dann von den Erwachsenen Hilfe und Unterstützung ein", sagt Wittkampf.
    So viel Präventionsarbeit ist allerdings kein Standard an NRWs Schulen. Die lehrernahen Gewerkschaften sagen, vielen Schulen fehle dafür das Geld dafür. Das kann der Zweitklässler Philipp nicht verstehen. Er findet, alle Lehrer und Schüler sollten Workshops und Theaterstücke gegen sexuelle Gewalt besuchen.
    "Dann würden die Erwachsenen nämlich auch mal sehen, dass man dann auch aufhört. Also, dass man dann nicht direkt weitermacht: der ist ja eh kleiner als ich. Dass man dann auch aufhört."