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Inkarnation und Antipode der Romantik

Die Verse Joseph von Eichendorffs lesen sich wie ein Kompendium all dessen, was man mit Romantik verbindet. Doch raunenden Nationalkult oder die Lust an schwarz grundiertem Schauer sucht man bei ihm vergeblich.

Von Cornelie Ueding | 10.03.2013
    "Es war als hätt der Himmel ..."

    "Mondnacht". Ein Lied, schrieb Theodor W. Adorno, wie aus dem "Lesebuch Gottes". Und für Thomas Mann war Eichendorffs "Taugenichts":

    "... nichts als Traum, Musik, ... ziehender Posthornklang, Fernweh, Heimweh, Leuchtkugelfall auf nächtlichen Park, törichte Seligkeit, sodass einem die Ohren klingen und der Kopf summt vor poetischer Verzauberung und Verwirrung."

    Lange hat man Eichendorff auf Innigkeit und Waldesrauschen festgelegt, und so steht er bis heute merkwürdig ungreifbar und leider auch unbegriffen da, als Ikone einer poetischen Sakralität. Eichendorff war die Inkarnation der Romantik, zugleich aber auch ihr Antipode: kein hektisches Pendeln zwischen Konfessionen, kein raunender Nationalkult, keine Flucht in altdeutsche Mythologie, keine Lust an schwarz grundiertem Schauer. Nur Sehnsucht. Sehnsucht nach Aufbruch und Ausfahrt, bevor die Katastrophen des irdischen Alltags ihn erreichen können. Dabei hätte der am 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz geborene und am 26. November 1857 verstorbene schlesische Freiherr Joseph Karl Benedikt von Eichendorff, der seinen Lebensunterhalt als preußischer Beamter verdienen musste, allen Grund gehabt, verbittert auf die ausgebliebene Karriere und die vielen Schicksalsschläge seines Lebens zu reagieren. Sein Fluchtweg führte in die Poesie: Eine Poesie, die das Tödliche in den Untergrund drängt und die Misere zwielichtig geheimnisvoll umgeht.

    "Denn was ist überhaupt Poesie? Doch gewiss nicht bloße Schilderung oder Nachahmung der Gegenwart und Wirklichkeit. Ein solches Übermalen der Natur verwischt vielmehr [die] geheimnisvollen Züge, [... wodurch sie] zum Kunstwerk wird ... und den Geisterblick fühlbar macht, womit die verborgene Schönheit ... zu uns reden möchte."

    Ein Übersetzer also, den wieder Tausende andere ihrerseits zu übersetzen versuchten: kaum ein Dichter, dem, wie Eichendorff, das Schicksal von über 5000 Vertonungen zuteil geworden wäre.

    Meistens fein und differenzierend, häufig aber auch in jener gleichermaßen vergröbernden wie popularisierenden Form volltönender biedermeierlicher Männerchöre – die unser Eichendorff-Bild bestimmten. Es gibt keinen zweiten so tiefgründigen Philisterhasser wie Eichendorff, was nicht verhinderte, dass er seinerseits zum Idol der Philister wurde. Viele seiner vor allem aus dem Nachlass veröffentlichten Prosaskizzen stehen bis heute im Schatten seines Romanerfolgs "Aus dem Leben eines Taugenichts" – doch gerade sie verraten einen ebenso witzigen wie kritischen Zeitgenossen. So das Novellenfragment "Unstern":

    "Nun stirbt bei der Tafel selbst plötzlich ein Rat, der … zu viel Austern gegessen. Großer Rumor. Der Minister deutet sogleich an, dass ich die Stelle haben soll und empfiehlt mich dem anwesenden … Präsidenten. Ich begleite nun als Leidtragender den verstorbenen Rat zu Grabe. Entsetzliche Floskeln und Lobhudeleien über die erstaunlichen unsterblichen Verdienste des Dahingeschiedenen. Die andern trinken tüchtig Wein im Leichenhause, weil es kalt ist, und erwärmen sich ordentlich herzlich für den Verstorbenen."

    In diesem Text greift Eichendorff, der stets alles Persönliche aus seinen Romanen und Gedichten getilgt hatte, unverschlüsselt auf eigene Erfahrungen zurück: auf sein Jurastudium und 29 Jahre preußischen Staatsdienst in untergeordneter Position. Dieser Romantiker der Schutzlosigkeit und des "als ob", eingeklemmt zwischen Aktendeckeln und Chören, Philistertum und Pseudoauthentizität, war zuweilen sogar spöttischer Zeuge des Verfalls der Romantik, nicht ihr naiver Vertreter:

    "Zwischen Akten, dunklen Wänden
    bannt mich Freiheitbegehrenden
    nun des Lebens strenge Pflicht,
    und aus Schränken, Aktenschichten
    lachen mir die beleidigten
    Musen in das Amtsgesicht.
    [...]
    Ein Gedicht soll ich euch spenden:
    Nun, so geht mit dem Leidenden
    nicht so strenge ins Gericht!
    Nehmt den Willen für Gewährung.,
    kühnen Reim für Begeisterung,
    diesen Unsinn als Gedicht !"