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Inklusion im Vordergrund

Es ist ein deutschlandweit einmaliges Projekt, dass Anfang August in Frechen gestartet wurde: Ein Förderzentrum für Fußballer mit geistiger Behinderung. Bis Jahresende soll eine komplette Fußballmannschaft auf dem Platz stehen.

Von David Zajonz |
    "Hoch, hoch, du musst das Knie hochnehmen! Hoch, ja, hoch, hoch, hoch das Ding, hoch, reiß das Knie hoch!"

    Das Knie muss hoch. Beim Training auf dem Gelände des 1.FC Köln gibt Willi Breuer lautstarke Anweisungen.

    "Ist auch schwierig, aber ich will einfach paar Grundelemente sehen"

    Breuer ist sportlicher Leiter des Fußball-Leistungszentrums Frechen - einem Sportzentrum für Fußballer mit geistiger Behinderung. Gerade wird das Zentrum ausgebaut. Breuer und Trainer Malte Strahlendorf haben deshalb zum Probetraining eingeladen. Bis Jahresende soll hier eine komplette Fußballmannschaft auf dem Platz stehen, erklärt Strahlendorf.

    "Wir werden über Freundschaftsspiele, über Benefizspiele Wettkämpfe bestreiten. Es ist ganz wichtig, dass die Jungs auch hin und wieder ein Spiel haben. Denn nur Training ist langfristig gesehen gerade für den Kopf, für die Emotion nicht förderlich. Das heißt wir brauchen auch das Spiel, um gewisse Fähigkeiten zu fördern."

    In Deutschland sei das Förderzentrum einmalig, betont Strahlendorf. Die Jugendlichen arbeiten hier hauptberuflich und ganztags als Fußballer. Ziel sei es auch, die Spieler an Vereinsmannschaften zu vermitteln.

    "Die Spieler, die bei uns teilnehmen, die sollen langfristig alle in den Regelsport Fußball, also in die umliegenden Vereine, eingebunden werden. Da kooperieren wir mit den ortsansässigen Vereinen im Raum Köln, Aachen und Frechen, wo wir langfristig die Spieler einbinden wollen. Die können dann auch an den Trainings abends und an den Spielen am Wochenende teilnehmen. Das unterstützen wir und da bilden wir Kooperationen mit den Vereinen."

    In den Vereinen begegnen sich Spieler mit und ohne Handicap auf Augenhöhe. Für den sportlichen Leiter Willi Breuer steht dieser Inklusionsgedanke im Vordergrund.

    "Wir sind auf dem Clubgelände des 1. FC Köln, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir hier sind. Man begegnet sich, ich hatte eben noch den Trainerkollegen Stephan Engels getroffen, wo natürlich gefragt wird: ´Wer ist das? Was machen die hier?` Wunderbar! So kommt man also zusammen. Ich kann mich erinnern an ein Gespräch, wo jemand sagte: ´Meine eigene Behinderung ist die, dass ich nie Kontakt zu Behinderten hatte.` - und das machen wir hier wunderbar.
    Olli, gut, aber schon wieder zu weit, Olli. Spiel ihn in den Kreis hinein – sehr gut. Ruhig Tobi, ruhig Tobi, prima, gut"

    Breuer hat Erfahrung mit Fußballern mit geistiger Behinderung. Bei der WM 2006 trainierte er die deutsche Nationalmannschaft.

    "In der Regel haben die Spieler keine großen körperlichen Defizite, aber kognitive Defizite. Das heißt also das Abstrahieren, Dinge selber umsetzen, die ich jetzt nur verbal erkläre, ist oft schwierig. Da muss man einfach nach dem System gehen ´Begreifen durch Begreifen`, Körperkontakt, man muss sie führen, bildhafte Sprache ist ein ganz wichtiges Element.
    Wenn wir jetzt einen Zweikampf haben, dann muss ich mal – wenn der Basti den Ball hat – dann muss ich mal nach da reagieren, da muss ich mal nach da reagieren. Da muss ich aber auch mein Körpergewicht verlagern. Wenn ich das nicht tue, komme ich von hier nicht weg."

    Finanziert wird das Projekt durch die Bundesagentur für Arbeit, die Gold-Kraemer-Stiftung und den Landschaftsverband Rheinland. Prominente Unterstützer sind unter anderem Ex-Fußballmanager Rainer Calmund und Michael Reschke, der Teammanager von Bayer Leverkusen.
    Seit August wird im Förderzentrum ganztags trainiert. Beim Vorläufer des Projekts, einem Freizeitangebot, war auch schon der 21-jährige Erik dabei.

    "Ich bin seit vier Jahren jetzt hier dabei beim Leistungszentrum Frechen. Ich spiele im Verein in Golzheim und bis jetzt ist es gut da, in dem Verein."

    Der zweite alte Hase, Eriks Mannschaftskollege Olli, freut sich auf die neuen Mitspieler.

    "Nur mit zwei Leuten ist ja langweilig. Da kannst du ja auch vorm Fernseher sitzen und Fernsehguggen. Aber mit mehreren macht es einfach mehr Spaß."

    Ob die neuen Bewerber wirklich mitmachen können, hängt vom Verlauf des Probetrainings ab. Und auch davon, wie sich die Spieler selbst entscheiden. Die Eltern von Bewerber Niklas sind von dem Förderzentrum jedenfalls begeistert.

    "Also das, was wir bis jetzt gesehen haben: Sehr, sehr positiv, klar."

    "Zumal man ja auch ganz klar sagen muss, der Niklas hat ja seine Behinderung schon immer – und so eine Möglichkeit hat er noch nie bekommen."

    Der 24-jährige Andy ist mit seiner Betreuerin beim Probetraining. Auch er will das Team verstärken – als Defensivspieler mit Torjägerqualitäten.

    "Ich spiele lieber mit nach hinten – Verteidiger. Weil Verteidiger, da kommen die Gegner zu mir, da muss ich die stoppen, dann lauf ich nach vorne und schieße ein Tor."

    Das Trainingsspiel endet übrigens torreich: 11:11-Unentschieden.