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InklusionsmanagerInnen im Sport
"Wir sind Experten in eigener Sache"

Wenn Behinderte in einem Verein mitmachen wollen, dann schrecken viele Verantwortliche zurück. Häufig ist unklar, wie die Inklusion gestaltet werden kann. Der DOSB hat deshalb zwei Gruppen Sport-Inklusionsmanager an Vereine und Sportbünde vermittelt. Das Besondere: Die Teilnehmer selber sind behindert.

Von Lea Löffler | 04.10.2020
Neun Mal hört Sina Eghbalpour das Summen der Türöffner auf dem Weg zur Arbeit. Ohne die technische Hilfe käme sie nur schwer selbstständig zur Arbeit, denn sie hat die Glasknochenkrankheit. Schon das Öffnen der Türen wäre sonst ein großes Problem für sie. Auf längeren Strecken nutzt sie einen Rollstuhl. Für ihren Arbeitgeber, den Stadtsportbund Aachen, ist ihre Behinderung kein Problem.
Seit 2017 arbeitet Eghbalpour als Sport-Inklusionsmanagerin. Ihre Aufgabe ist auf der einen Seite Behinderte über Sportangebote zu informieren. Und noch wichtiger: Sport-Vereinen bei der Inklusion zu helfen.
"Wir überlegen, welche Angebote wir entwickeln können. Wie wir den Prozess, sozusagen von der Idee bis zur Umsetzung, mit den Vereinen gehen können. Ich glaube auch, dass wir einfach zusammen eine gute Beratung machen können, hinsichtlich Barrierefreiheit oder wenn es um Übungsleiter geht," erklärt die studierte Sozialarbeiterin ihre Tätigkeiten.
In einem weiteren Bereich konnte das Team um Eghbalpour schon viel bewirken: in der Ausbildung von Übungsleitern, die inklusiv arbeiten, wie Geschäftsführerin Nadine Frey erzählt:
"Das ist auch nochmal bundesweit interessant, weil es gibt keine Übungsleiterscheine Inklusion. Das heißt, der erste Einstieg in den Breitensport, den Übungsleiterschein, den gibt es nicht mit dem Schwerpunkt Inklusion."
Sina Eghbalpour und Nadine Frey, die Geschäftsführerin des Stadtsportbunds Aachen
Sina Eghbalpour und Nadine Frey, die Geschäftsführerin des Stadtsportbunds Aachen (Löffler/Dlf)
Zusammen mit der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen haben sie den ersten bundesweiten Übungsleiter Inklusion erschaffen, den können die StudentInnen ab dem neuen Semester als Teil ihres Studiums wählen.
Sina Eghbalpur ist über ein Projekt des DOSB und des Bundesamtes für Arbeit und Soziales an die Anstellung beim Stadtsportbund Aachen gekommen. 2017 wurden insgesamt elf Stellen für Sport-Inklusionsmanager erschaffen. Voraussetzung hierfür: die Bewerber müssen behindert sein. So wollte der DOSB Menschen einsetzen, die selbst im Alltag die Probleme fehlender Inklusion hautnah erleben.
"Ich bin keine paralympische Sportlerin, deswegen habe ich gedacht: Darf ich mich denn trotzdem bewerben?", fragte sich Eghbalpour damals. "Und habe dann gedacht, eigentlich hast du dein eigenes Sportverständnis oder deinen eigenen Sportbezug. Und die Physiotherapie und das Laufen lernen immer wieder, und habe mir dann selber gesagt, eigentlich kannst du dich darauf bewerben und habe das zum Glück auch gemacht."
Nach den zwei Jahren, die vom DOSB finanziert wurden, konnte Eghbalpour drei weitere Jahre von der "Aktion Mensch" unterstützt werden. Danach wird sie eine Festanstellung erhalten. Acht von elf Sport-InklusionsmanagerInnen von 2017 wurden übernommen, manche unbefristet, andere auf Projektbasis.
"Ja, das ist leider auch eine kleine Kritik an dem Projekt, weil das leider nicht so nachhaltig gedacht war. Man muss sagen, dass Inklusion ein Prozess ist. Und man braucht sehr viel Zeit dafür und viele Jahre, bis man da ankommt, wo wir hinwollen."
"Wir müssen ins Gespräch kommen"
Auf Projektbasis wurde auch Vera Thamm beim katholischen Sportverband DJK übernommen. Die 30jährige hat Dysmelie, ihre Arme sind seit der Geburt fehlgebildet. In der DJK war auch sie Ansprechpartnerin für Inklusion im Sport. Im aktuellen Projekt betreut sie einige Freiwillige, die zu Helfern bei Großveranstaltungen ausgebildet werden. Das Team besteht aus Menschen mit und ohne Behinderung. Auch hier kann Thamm mit Erfahrung punkten:
"Wir sind Experten in eigener Sache und wir können halt sagen: schaut mal hier, das kann so und so funktionieren. Wir müssen einfach mit allen anderen ins Gespräch kommen und ich glaube dafür ist die Rolle der Sport-Inklusionsmanager sehr sehr wichtig."
Die Arbeit bei der DJK macht ihr Spaß, dennoch wäre ihr lieber, wenn es ihren Job gar nicht geben müsste: "Also im Grund genommen arbeite ich auf die Abschaffung meines Berufs hin, weil ich mir wünschen würde, dass das einfach Normalität wird, dass das überhaupt nicht mehr wichtig ist irgendwann, ob da jemand ist der unter dem Begriff inklusiv läuft, sondern dass wir einfach sehen: Das sind Menschen wie alle anderen auch"
Gruppen für Behinderte oder inklusive Gruppen?
Wie viele Barrieren allein durch Kommunikation abgebaut werden konnten, ist Thamm durch ihre Inklusionsarbeit bewusster denn je geworden. Sie selber war Leistungsschwimmerin, ist bei den Paralympischen Spielen in London 2012 gestartet und hat ihren Master in Rehabilitation und Gesundheitsmanagement an der Deutschen Sporthochschule Köln gemacht.
Mit der Hochschule arbeiten auch Sina Eghbalpour und ihr Team eng zusammen. Eine Studie in Aachen soll erstmals ermitteln, was Behinderte für Wünsche und Anforderungen an den Sport haben. Gefragt wird unter anderem, ob sie lieber Sport mit anderen Behinderten oder in inklusiven Gruppen machen wollen.
"Deswegen ist die Erhebung so wichtig an der Stelle, dass wir Menschen mit Beeinträchtigungen mal befragen: was wollt ihr denn eigentlich? Man geht ja eigentlich immer davon aus, ja das was wir machen braucht ihr alles. Und da nimmt man ihnen eigentlich schon die Mündigkeit in dem Punkt," erklärt die Geschäftsführerin des Sportbundes Aachen Nadine Frey.
Inklusion braucht Mut
Denn natürlich haben nicht alle dieselben Wünsche. Eghbalpour fühlt sich beim inklusiven Rollstuhl-Handball am wohlsten. Das Team, das sie leitet, besteht je zur Hälfte aus Behinderten und nicht Behinderten Sportlern.
Den Ergebnissen der Studie soll dann eine Handlungsempfehlung folgen. Und die könnte in Aachen als Modellkommune erstmals umgesetzt werden.
Bevor Eghbalpour in Aachen den Job antreten konnte, musste ihr Arbeitsweg barrierefrei gemacht werden. 50.000 Euro hat der Umbau gekostet. Ein lokaler Verband hat den größten Teil hiervon übernommen, erst danach hat sich die Stadt Aachen an das Thema herangetraut und ebenfalls einen Teil gezahlt. In Sina Eghbalpours Augen muss man mutig sein für Inklusion. Daran wird sie jeden Tag erinnert, auch wenn sie durch die neuen, summenden Türen zur Arbeit geht.