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Innovationen
Wie Podcasts das Radio beleben

Immer mehr neue Podcasts kommen auf den Markt - von Verlagen, Streaminganbietern und Privatpersonen. Innovative Audio-Formate werden zunehmend außerhalb der Radiosender entwickelt. Die profitieren aber trotzdem davon.

Von Stefan Fries | 18.09.2018
    Die Redaktion von Cybercrime, einem Podcast von hr-info, vor dem Logo der Sendung. Henning Steiner (2.v.r) und Oliver Günther (ganz r.) sind die beiden Redakteure des Podcasts.
    Podcasts wie "Cybercrime" vom hr sind auch fürs traditionelle Radioprogramm eine Bereicherung. (hr)
    Anfang September in Hamburg. Zum neunten Mal wird der Deutsche Radiopreis verliehen – mit einer Premiere.
    Max Giesinger: "Der Deutsche Radiopreis für die beste Sendung geht an: FluxFM! Patrizia Schlosser und Tim Kehl, 'Im Untergrund'. Herzlichen Glückwunsch."
    Kommentator: "Ja, hier hat quasi auch ein Podcast gewonnen."
    Podcasts werden beim Deutschen Radiopreis eigentlich nicht ausgezeichnet. Die Reihe "Im Untergrund" war nur deshalb preiswürdig, weil sie auch im Radio lief: beim Berliner Privatsender FluxFM. Produziert hat sie der Streaminganbieter Audible aber ursprünglich als Original-Podcast. Hören konnte ihn erstmal nur, wer ein Abo bei Audible hat.
    Trailer/Patrizia Schlosser: "'Im Untergrund' ist eine Suche. Nach den drei letzten ehemaligen Mitgliedern der Rote Armee Fraktion, RAF. Eine Frau, zwei Männer, seit über 25 Jahren untergetaucht. Klang das okay so? Und: Ich mach diese Suche nicht alleine, sondern zusammen mit meinem Vater, einem Polizisten im Ruhestand."
    Patrizia Schlosser und Tim Kehl stehen bei der Verleihung des Radiopreises auf der Bühne
    Autorin Patrizia Schlosser und Audible-Redakteur Tim Kehl haben Anfang September den Deutschen Radiopreis in der Kategorie "Beste Sendung" gewonnen. (dpa / Axel Heimken)
    "Podcast ist formatfreier als Radio"
    Radiosender waren beim Thema Original-Podcast bisher zurückhaltend. Was öffentlich-rechtliche Sender als Podcasts veröffentlichen, läuft in der Regel vorher im Radio. Dabei sitzen hier die eigentlichen Experten in Sachen Audioproduktion. In die Lücke gestoßen sind Streaminganbieter wie Audible, Spotify und Deezer, die inzwischen mehrere Dutzend Original-Podcasts im Angebot haben, ebenso wie große Verlage wie etwa Spiegel und Zeit. Hinzu kommen freie Produzenten wie etwa das Podcast-Label Viertausendhertz und Autorinnen wie Nora Hespers. Sie war in diesem Jahr gleich mit zwei Podcasts für den Grimme Online Award nominiert.
    Hespers: "Weil der Podcast formatfreier ist als das Radio. Also wir alle kennen die Stundenuhr, wir wissen, wir müssen uns da in Formate einpassen. Ich find’s manchmal ein bisschen schwierig, Themen in Zeit zu passen anstatt es umgekehrt zu machen und zu sagen, die Zeit passt sich dem Thema an. Und den Vorteil an Serien, finde ich, ist: Ich bau 'ne Verbindung auf, also zu Protagonisten, zur Geschichte, ich bekomme Entwicklungen und Prozesse mit, das alles ist in kurzen oder in Einzelstücken nicht so möglich."
    Jingle "Cybercrime"/Henning Steiner: "Das Lukaskrankenhaus in Neuss. Am Mittwoch, dem 10. Februar 2016. Aschermittwoch."
    O-Ton: "Aschermittwoche sind ja eigentlich nie normale Tage im Rheinland, sondern sie sind eigentlich dann hoffentlich der Erholungstag nach langem Karneval."
    Steiner: "Doch Erholung wird es 2016 an diesem Tag nicht viel geben."
    Podcasts von Radiomachern finden Weg zurück ins Radio
    2015 hat Henning Steiner vom Hessischen Rundfunk zusammen mit Oliver Günther damit begonnen, zum Thema Kriminalität im Internet zu recherchieren. Je länger die Recherche ging, umso klarer wurde, dass es dafür im Infosender hr-info eigentlich keinen passenden Sendeplatz gibt.
    "Es ist von allem so ein bisschen was. Wir haben durchaus Dialogelemente drin, wo der Kollege Oliver Günther und ich miteinander sprechen im Studio, wir haben aber auch szenische Elemente, die tatsächlich so ein bisschen ans Hörspiel erinnern, wir haben von allem tatsächlich so ein bisschen. Und es ist kein klassisches Feature, es ist kein Hörspiel, es ist kein Magazin, es ist eine Mischform, würde ich sagen."
    Eigentlich nur als Podcast geplant, fand "Cybercrime" aber seinen Weg zurück zu hr-info. Die zweite Staffel ist gerade gestartet - und läuft jetzt jeden Montagabend. Ein Format, für das es also eigentlich keinen Sendeplatz gab, hat damit durch die Hintertür doch noch einen Sendeplatz im linearen Radio gefunden.
    Jingle "WDR5 - die Polit-WG"/Max von Malotki: "Endlich Wochenende, herzlich willkommen zur meinungsfreudigsten Wohngemeinschaft Deutschlands…"
    Auch die WDR5-"Polit-WG" sollte eigentlich nur online laufen, hat jetzt aber ihren festen wöchentlichen Sendeplatz im Radio gefunden. Auch hier unterhalten sich drei bis vier Kollegen über aktuelle politische Themen. Im Deutschlandfunk ist es der Politik-Podcast aus dem Hauptstadtstudio, der inzwischen schon zweimal im Radio gelaufen ist. Die Redakteure schätzen daran vor allem, dass sie in Gesprächen unter Kollegen auch ihre eigene Arbeit transparent machen können.
    Radio ist kompakter und aktueller als Podcasts
    Dass diese Form auch ins Radio zurückfindet, sehen einige Macher auch kritisch - erwartet eine breite Hörerschaft im Radio doch gerade in Sendern wie dem Deutschlandfunk eine strengere journalistische Herangehensweise. Das Radio ist kompakter, aktueller und auch distanzierter - nicht jeder mag das Ausführliche und Nahe vieler Podcasts.
    Dessen Darstellungsformen sind ohnehin nicht komplett neu: Monolog, Gespräch, Hörertalk, O-Ton, Feature, Hörspiel – alles Erfindungen des Radios. Im Podcast werden sie aber neu zusammengesetzt und persönlicher präsentiert. Selbst wenn das eine den Weg ins andere findet – komplett ersetzt wird das Radio nicht, glaubt Podcasterin Nora Hespers.
    "Radio kann weiter Radio sein, und Podcast kann Podcast sein. Die können gut nebeneinanderher existieren, die können sich gegenseitig befruchten. Also es kann ja sein, dass ich ein Thema mache fürs Radio und dann feststelle, boah, da ist so viel Fleisch dran, ich mach da ne Podcastserie zu."
    Dass Sender neue Ideen nicht im Radio ausprobieren, sondern erst mal im Podcast, findet auch hr-Redakteur Henning Steiner nicht verwerflich.
    "Also ich glaube schon, dass Radio profitiert von solchen Experimenten und profitiert auch von solchen Formaten, weil sie eine Bereicherung sein können fürs Radio, wenn sie dann im Radio auch ausgespielt werden, aber ich glaube nicht, man müsste jede Woche im Radio so etwas wie Cybercrime haben. Das ist so ein positives Addon, das ist was, was das Klassische durchbricht, für die Hörer ein Aha-Erlebnis sein kann, aber nichts, was bestehende Formate zwingend ersetzen sollte."