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Innovative Krebsbehandlung
Masernviren schicken Myelom-Zellen in den Tod

Onkologie. - Plasmazellen sind eigentlich die Waffenfabriken des Immunsystems. Sie stellen Antikörper her, mit denen sich der Köper gegen Krankheitserreger zur Wehr setzen kann. Beim Multiplen Myelom lösen diese Plasmazellen Krebs aus, sie wandern ins Knochenmark. Sie zerstören die Knochen und unterbinden die Herstellung roter Blutkörperchen. Außerdem schwächen sie das Immunsystem. Eine Behandlung ist schwierig. Jetzt haben amerikanische Wissenschaftler erstmals sechs Patienten mit Viren behandelt, um den Krebs zu bekämpfen.

Von Joachim Budde | 13.06.2014
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    Masernviren, hier mit normalen Körperzellen, werden gegen Myelom-Tumoren in Stellung gebracht. (dpa/picture alliance)
    Die Patientin hatte bereits alles versucht. Weder die Chemo- noch die Strahlentherapie hatten ihrem Multiplen Myelom dauerhaft Einhalt gebieten können. An ihrer Stirn war ein Tumor von 3 Zentimetern Durchmesser gewachsen. Den hatte ihre Familie "Evan" getauft, wie die Frau in einem Fernsehinterview verriet.
    "I had a plasmacytoma which my family named Evan."
    Zusammen mit fünf anderen Patienten, die in fortgeschrittenem Stadium an dieser Krebserkrankung litten, nahm die knapp 50jährige an einer Studie der Mayo Clinic im US-Bundesstaat Minnesota teil. Die Ärzte gaben den Patienten Infusionen mit abgeschwächten Masern-Viren. Die sollten den Krebs bekämpfen. Die Wahl dieser Viren war alles andere als zufällig: Masern-Viren verschaffen sich Zutritt zu Zellen über den Rezeptor CD46, der auf den Myelom-Krebszellen besonders häufig vorkommt. Die Erreger wandeln die Zellen in Virenfabriken um, sodass schließlich das Immunsystem der Patienten auf sie aufmerksam wird – die Abwehr tötet die Krebszellen mitsamt der Viren ab. Die Ärzte verabreichten den Probandinnen eine geradezu enorme Viren-Dosis: Zehn Millionen Mal soviel, wie Menschen bei einer Impfung erhalten, sagt Dr. Roberto Cattaneo , der seit Jahren an der Mayo Clinic an Virentherapien gegen Krebs forscht.
    "Bei einer der sechs Probandinnen ging der Krebs vollständig zurück, einer anderen ging es ein paar Monate besser, dann kehrte die Krankheit wieder. Diese beiden hatten so wenig Antikörper gegen Masern, dass sie nicht mehr nachweisbar waren."
    In diesen Patientinnen konnten sich die Masern-Viren also unbehelligt über den Blutkreislauf verteilen und zu den Krebszellen gelangen. Daran hat das multiple Myelom seinen Anteil, denn es zerstört die vielfältigen Immunzellen der Menschen, die es befällt.
    "Auf diese Weise löscht die Krankheit die natürliche Abwehr aus, darum haben Myelom-Patienten extrem wenig Antikörper gegen alles inklusive Masern, und darum war dieser Krebs der erste, bei dem man versucht hat, ihn über die Blutbahn mit einem Virus zu bekämpfen."
    Bisherige Versuche mit anderen Viren waren in erster Linie dann erfolgreich, wenn man die Erreger direkt in die Tumoren spritzte. Es waren jedoch meist Tests in einem frühen Stadium mit sehr wenigen Patienten. Lediglich ein Herpes-simplex-Virus ist so weit entwickelt, dass es möglicherweise kurz vor der Zulassung steht. Dennoch sei die Studie der Mayo Clinic ein kleiner Durchbruch, sagt Dr. John Bell, der am Centre for Innovative Cancer Research des Hospital Research Instituts im kanadischen Ottawa an ähnlichen Therapien forscht.
    "Das aufregende an der Mayo-Studie: In der Theorie wussten wir, dass wenn man einem Patienten eine ausreichend hohe Viren-Dosis verabreicht, die Erreger es zum Tumor schaffen und ihn töten können. Und diese Dosis haben die Autoren hier gefunden. Wir müssen noch genau herausbekommen, wie viel wir wem wann verabreichen müssen, aber diese Studie ist sehr, sehr ermutigend, weil wir bei hohen Virendosen weitreichende Immuneffekte in Krebspatienten auslösen können."
    Mehrere Gruppen auf der ganzen Welt versuchen jetzt, maßgeschneiderte Viren herzustellen, die das Immunsystem effektiver unterlaufen und noch gezielter Krebszellen angreifen können. Doch dazu müssen die Forscher noch mehr darüber verstehen, wie die Viren tatsächlich wirken. Maßgeschneiderte Viren könnten zudem die Nebenwirkungen reduzieren. Die Patientin, bei der die Virentherapie anschlug, bekam hohes Fieber, schwere Kopfschmerzen und litt unter heftiger Übelkeit. Zu ihrem Glück ließen die Nebenwirkungen schon nach 36 Stunden nach. Zu der Zeit begann auch der Tumor auf ihrer Stirn zu schrumpfen. Nach sechs Wochen war Evan ganz verschwunden.