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Insekten im Radarstrahl

Biologie. - Zoologen kennen weltweit 4700 Libellenarten, alleine in Mitteleuropa etwa 85. Ein weißer Fleck im Leben der Libellen ist für die Wissenschaftler aber die Zeit nach der Geburt und vor der Paarung. Italienischen Forschern und einem deutschen Kollegen ist es nun gelungen, Licht in das Dunkel der Geschlechtsreife von Libellen zu bringen.

Von Thomas Migge |
    Kurz nach ihrer Geburt verlassen Libellen ihren Schlüpfort, und das mit bis zu 85 Kilometern pro Stunde. Erst zwei Monate später tauchen sie dort wieder auf. Beobachtet haben dies Sönke Hardersen und seine Kollegen des "Italienischen Nationalzentrums für das Studium und die Bewahrung der Biodiversität". Sie verfolgten die Libellen im Wald "Bosco della Fontana", nicht weit von der Stadt Mantua entfernt. Dafür nutzten sie nicht die herkömmlichen Methoden der Telemetrie. Dafür waren die Tiere zu winzig. Stattdessen benutzten die Forscher ein Verfahren, bei dem die Libellen von Radarstrahlen erfasst werden, berichtet Sönke Hardersen:

    "Das Gute an dieser Technik ist, dass die kleine Antenne an die Libelle angeklebt wird und keine eigene Batterie haben muss, sondern das Signal wird nur reflektiert, wird also von der Antenne und der Diode aufgenommen und dann wird die Frequenz verdoppelt und wieder zurückgestrahlt"

    Die Libellenforscher empfangen das von der Diode zurückgeschickte Signal über ein tragbares Radargerät mit Antenne. Das Ding ist nur zwei Kilogramm schwer und hat einen Kopfhörer. Damit wird der Radarstrahl in Akustik umgewandelt. Auf einer Landkarte wird dann der Standort der auf diese Weise aufgespürten Libelle eingetragen. So weiß der Forscher, in welche Richtung sich seine Libelle bewegt und wo sie sich gerade aufhält. Doch wie kommt eine Libelle zu einer Antenne? So einem Insekt kann nicht einfach ein Antennenhalsband umgebunden werden, wie das bei größeren Tieren der Fall ist. Zwei Stunden nach dem Schlüpfen der Libelle wird die Diode plus Antenne auf dem hart werdenden Chininpanzer geklebt. Diode und Antenne wiegen nur rund ein Achtel des Körpergewichts der Libelle. So stören sie nicht bei den Flugkünsten der Tiere. Die Antennen aus haardickem Kupferdraht hat eine Spannweite von acht Zentimeter und sieht ein wenig aus wie Zimmerantennen fürs Fernsehen. Hardersen und seine Kollegen hätten auch nur die runde Diode mit einem Durchmesser von zirka einem Millimeter aufkleben können, aber die zusätzlichen Antennen geben den Forschern eine größere Reichweite, um die jeweiligen Signale zu empfangen. Sönke Hardersen:

    "Wir haben mit zwei Arten gearbeitet: die eine heißt der Spitzenfleck, auf Latein Libella fulva. Da hat sich gezeigt, dass die Tiere innerhalb von fünf Tagen nur 200 Meter weit geflogen sind vom Schlüpfort. Die sind sehr standorttreu geblieben. Im Gegensatz dazu die Herbstlibelle, die hat sich sofort vom Schlüpfort entfernt und da kamen wir mit unserem Gerät nicht hinterher."

    Wo halten sich also die geschlüpften Libellen auf, bevor sie nach zwei Monaten wieder an ihren Ursprungsort zurückkehren? Hardersen und seine Kollegen fanden heraus, dass die flügge gewordenen Insekten vor allem auf Bäumen sitzen. In einer Höhe zwischen zwei und 30 Metern und für den Menschen so gut wie unauffindbar. Das kann aber der Forscher dank seiner Radaranlage und mit einer Dreiecksberechnung:

    "Wenn die Libelle fest sitzt oder sich nur wenig bewegt, kann ich natürlich den Standort ändern und über eine Triangulation an zwei Punkten die Libelle ansteuern und dann weiß ich, da wo die beiden Geraden sich schneiden, das sitzt die Libelle und damit kann ich auch die Höhe bestimmen"

    Das wichtigste Resultat der Forschungen in Norditalien besteht darin, dass sie die große Bedeutung von Wäldern in der Nähe der Schlüpforte der Libella fulva definitiv nachweisen konnten. Will man diese gesetzlich geschützte Insektenart dauerhaft erhalten, so das Fazit der Forscher, dann dürfen diese Wälder nicht abgeholzt werden. Ein für die Experten überraschendes Forschungsergebnis ist die Flugtätigkeit der im Volksmund Spitzenfleck genannte Libella fulva: sie fliegt nicht weit. Im Gegenteil. Die fünf Tage lang erforschten Libellen flogen nicht mehr als 25 Meter nach oben und unten, nach rechts und links und das nur im Bereich einiger wenigen Bäume. Erstaunlich wenig Flugaktivitäten für Insekten, die von der Geschwindigkeit her in wenigen Sekunden weit über 50 Meter fliegen könnten.