Gedränge schon am frühen Nachmittag im Einkaufszentrum Seepark der Schweizerischen Migros-Warengenossenschaft in Kreuzlingen am Bodensee: Vor allem Mütter mit ihren Kindern schieben sich um diese Tageszeit an den Regalen vorbei: Nudeln, Suppen, Käse und vieles andere mehr wandert in die Einkaufskörbe. Für Stenka Feger ist das ein gewohntes Bild: Seit Jahren bereits sorgt sie im Seepark Kreuzlingen dafür, dass die Regale wieder nachgefüllt werden.
Wir fangen ziemlich um halb Neun an und hören um 18.30 Uhr auf, wobei wir dann Aufräumarbeiten und was noch dazu zählt, auch haben. Mittagszeit sind zwei Stunden - die kann man sich selber einteilen, ob man früh geht oder mit der späten Schicht geht. Das ist jedem frei oder, wie man sagt man, jeder Abteilung überlassen, nach Wareneingang oder Ausgang, wie es der Bedarf ist.
So ähnlich, mag man glauben, schaut auch die Arbeit in jedem x-beliebigen deutschen Supermarkt aus, beispielsweise in der nur fünf Autominuten entfernten baden-württembergischen Nachbarstadt Konstanz. Doch ein paar wesentliche Unterschiede zwischen der Verkäuferin, die in der Schweiz arbeitet, und ihrer Kollegin drüben in Konstanz gibt es schon:
Wir haben jetzt weniger Feiertage als unsere deutschen Kollegen, wir müssen länger arbeiten, und wir haben eine größere Präsenzzeit von 41 Stunden gegenüber Deutschland.
Das klingt ziemlich ungemütlich. Umso mehr erstaunt, dass Stenka Feger, die eigentlich aus Deutschland kommt, seit Jahren bereits im Schweizerischen Migros arbeitet und nicht im Traum daran denkt, nochmals eine Stelle drüben, in Deutschland anzunehmen- trotz der ungünstigeren Arbeitszeiten. Dafür kommt in der Schweiz aber deutlich mehr ins Portemonnaie als bei einem vergleichbaren Job in Deutschland - nicht zuletzt wegen des starken Kurses des Schweizer Franken.
Es sind etwa 20 Prozent mehr, die Sie durch den Franken haben.
Auf der einen Seite weniger Urlaub und Feiertage sowie eine höhere Wochenarbeitszeit, auf der anderen Seite aber ein höheres Einkommen: Das Beispiel der Kreuzlinger Migros-Verkäuferin weist bereits auf einige gravierende Unterschiede zwischen dem deutschen und dem Schweizer Arbeitsmarkt hin. Doch der wichtigste Unterschied zeigt sich ganz woanders als im Supermarkt: Wer die Altbau-Gewölbe des kantonalen Arbeitsamtes im ostschweizerischen St. Gallen betritt, der entdeckt so gut wie keine Gemeinsamkeiten mit einem deutschen Arbeitsamt: Nirgendwo Schlange stehenden Menschen, die auf einen Termin beim Arbeitsvermittler warten; stattdessen fast schon gespenstische Stille auf den Gängen. Der Schreibtisch von Arbeitsamtsdirektor Johannes Rutz erweckt einen aufgeräumten Eindruck - kein Wunder:
Die im Moment aktuelle Arbeitslosenquote im Kanton St. Gallen ist im Moment 1,3 Prozent. Das sind in Zahlen ausgedrückt 2942 Stellensuchende. Wir sind aber unter dem Schweizerischen Durchschnitt.
Der liegt derzeit bei knapp über zwei Prozent. Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Arbeitslosigkeit kommt in der Schweiz so gut wie überhaupt nicht vor; die Fachleute sprechen von Vollbeschäftigung, und die hält bereits seit Jahren an. Warum das so ist? Nun, selbst Experten wie Johannes Rutz tun sich mit einer spontanen Antwort schwer.
Da gibt es natürlich verschiedene Erklärungen. Ich würde meinen, eine der wichtigsten Erklärungen ist sicher ein sehr viel flexiblerer Arbeitsmarkt. Also es hat nicht zu viele einengende Vorschriften, um Arbeitnehmer einzustellen, aber sie auch wieder zu entlassen. Also diese Flexibilität ist es, würde ich meinen, die entscheidend ist. Also ein Arbeitgeber kann sehr gut jemand einstellen, man kann aber auch wieder kündigen, und die soziale Abfederung, die muss natürlich auch stimmen. Und das geschieht vorwiegend in der Sozialpartnerschaft, also dass Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zusammensitzen, dort eine Lösung treffen und nicht der Staat, dass möglichst nicht der Staat diktiert. Die Lohnkosten sind in der Schweiz auch hoch. Aber ich kenne deutsche Unternehmer, die in der Schweiz Filialen betreiben. Und die sagen, der Schweizer Arbeitsmarkt sei darum attraktiv, weil die Arbeitnehmer längere Arbeitszeiten hätten, weniger Ferien. Sie seien weniger krank, und wenn er das alles aufrechne, dann sei hier als Unternehmer tätig zu sein attraktiv.
Der Arbeitsmarkt Schweiz - ein Paradies für Unternehmer? Einiges spricht für diese These - nicht nur die geringere Zahl an Urlaubs- und Feiertagen, auch nicht nur ein Arbeitsrecht, das Arbeitnehmern längst nicht den gleichen Schutz bietet wie in Deutschland. Hinzu kommt ein weiterer wesentlicher Punkt: Wer, trotz aller Vollbeschäftigung, gleichwohl in der Schweiz seinen Job verliert, tut gut daran, sich aus eigenem Antrieb so rasch als möglich nach einer neuen Beschäftigung umzusehen. Michael Both ist Personalchef der Georg Fischer AG; ein großer metallverarbeitender Mischkonzern mit Sitz im Schweizerischen Schaffhausen:
Vor allem die Kontrolle ist sehr viel engmaschiger. Also man muss wirklich, damit man überhaupt Arbeitslosengelder bekommt, nachweisen, dass man sich aktiv um eine Stelle bemüht. Man muss unter Umständen bei Umschulungsprogrammen mitmachen; man muss immer wieder beweisen: Man hat sich beworben, man hat Bewerbungsgespräche geführt. Und werden sehr schnell hier vom Arbeitsamt, die hier sehr effektiv arbeiten, Leute eruiert, die sich ganz wohlfühlen würden in der Arbeitslosigkeit. Und denen wird das Arbeitslosengeld gestrichen. Sie werden gezwungen, wirklich Arbeit aufzunehmen.
Eine Situation, so möchte man meinen, die jedem Schweizer Unternehmer Anlass zu großer Freude gibt: Was will ein Arbeitgeber auch mehr, als gefügige Mitarbeiter, die er, ohne große rechtlichen Hürden, nach Gutdünken mal vor die Tür setzen, mal wieder einstellen kann? Mitarbeiter, die unter Umständen befürchten müssen, vom Arbeitsamt als "arbeitsunwillig" abgestempelt und damit von sämtlichen Bezügen abgeschnitten zu werden? Mitarbeiter, die zudem von einer 35-Stunden-Woche nicht einmal zu träumen wagen? Die Schweiz - ein Paradies für Arbeitgeber ?
Ganz so ist es nicht: Die niedrige Arbeitslosenquote in der Schweiz hat gerade auch aus Sicht vieler Unternehmen ihre Schattenseiten - beispielsweise die, dass viele Firmen händedringend nach qualifizierten Mitarbeitern suchen - oftmals erfolglos. Peter Hassler ist Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes in Zürich:
Ein trockener Arbeitsmarkt bewirkt natürlich Lohndruck. Es ist ganz klar, dass die wenigen Spezialisten jetzt mehr oder weniger ihren Lohn fast selbst bestimmen können. Es ist bis weit in die einfachen Tätigkeiten hin kaum ein Mitarbeiter mehr zu finden oder nur Mitarbeiter, die doch einige Probleme mit sich bringen. Das heißt zwangsläufig, die Firmen jagen sich die Arbeitskräfte förmlich ab. Es gibt bei uns leider schon wieder die Erscheinung, dass Kopfprämien bezahlt werden. Das heißt: Die Mitarbeiter bekommen 2000, 3000 Franken, wenn sie einen anderen Mitarbeiter mitbringen. Das heißt natürlich irgendwo: Abwerben. Das sind letztendlich Kosten, die für die Wirtschaft nicht sehr lohnend sind. Diese Arbeitsplatzwechsel - das kostet immer sehr viel. Also letztlich wird das einen gewissen Lohndruck nach oben geben. Damit werden die Produktionskosten höher, die Konkurrenzfähigkeit etwas schlechter.
Vor allem das "Head-Hunting", die moderne "Kopfgeld-Jagd", ist in der Schweiz viel ausgeprägter als in Deutschland. Während hierzulande eigentlich nur Softwareproduzenten und Finanzdienstleister ihren Mitarbeitern Prämien zahlen, wenn sie qualifizierte Kollegen ins Unternehmen bringen, ist das in der Schweiz anders: Dort zahlt auch schon mal der Metzgermeister seinem Gesellen ein paar tausend Franken, wenn der, angesichts der Personalnot, den dringend benötigten zweiten Metzgergesellen zur Unterschrift unter den Arbeitsvertrag überredet.
Es gibt das schlechthin überall. Also es gibt das im Baugewerbe, es gibt das im Handwerk, beim Elektrofachgeschäft. Es gibt das beim Bäcker, es gibt's überall. Es gibt es vielleicht sogar etwas weniger dort, wo man's erwarten würde, also Banken, Versicherungen. Die zahlen ohnehin leicht höhere Löhne. Statistisch ist das ganz klar. Dort ist vielleicht der Druck fast etwas geringer als beim Handwerk. Also einen guten Handwerker heute zu finden mit Ausbildung, ist außerordentlich schwierig geworden.
Das klingt nun plötzlich, aus Arbeitgebersicht, gar nicht mehr so paradiesisch. Denn abgesehen von der Schwierigkeit, überhaupt gut ausgebildete Leute zu finden, treibt der ausgetrocknete Arbeitsmarkt Löhne und Gehälter nach oben. Dabei können diejenigen Unternehmen, die sich der Nähe zur deutschen, französischen oder italienischen Grenze angesiedelt haben, noch von Glück reden. Dort nämlich bekommen die Schweizer Arbeitnehmer Konkurrenz - von den Arbeitssuchenden aus den benachbarten Grenzregionen. Michael Both, Personalchef der Georg Fischer AG in Schaffhausen:
Sowohl in Schaffhausen wie in Basel ist der Anteil an Grenzgängern, also an Deutschen oder auch an Franzosen in Basel, die jeden Morgen zur Arbeit zu Georg Fischer kommen, ist sehr hoch. Also in Schaffhausen sind das Beispielsweise rund ein Drittel. Wir haben also rund ein Drittel der Belegschaft, ein Drittel der 1100 Personen, die hier arbeiten, kommen jeden Morgen über die Grenze.
So leergefegt wie der Schweizer Arbeitsmarkt nun einmal ist, können sich Unternehmen wie die Georg Fischer AG, die sich in Grenznähe befinden, glücklich schätzen. Denn gerade aus dem deutschen Grenzgebiet gibt es genügend Pendler, die nicht nur wegen des starken Frankenkurses und des hohen Lohnniveaus einen Job in der Schweiz annehmen. Tanja Koloch wohnt im deutschen Konstanz und arbeitet im Schweizerischen Schaffhausen. .
Also ich finde, das Arbeitsklima bei Schweizer Firmen find' ich angenehmer. Das ist sehr viel freundlicher, offener. Die Atmosphäre ist kollegialer und lockerer. Der Umgang untereinander ist recht leger. Also man duzt sich innerhalb der Abteilung gleich vom ersten Tag an. Im Vergleich zu Deutschland ist es sehr viel offener. Also ich würde sagen, die deutschen Firmen sind da ein bisschen....ja konservativer, bisschen steifer im Umgang miteinander.
Abseits solcher atmosphärischer Unterschiede hat Tanja Koloch in den wenigen Wochen, in denen sie in der Schweiz arbeitet, aber auch schon ganz konkret erfahren, inwiefern sich ein Arbeitsplatz in der Schweiz von einer Stelle in Deutschland unterscheidet.
Also die offizielle Arbeitszeit in der Schweiz beträgt, glaube ich, 42,5 Stunden. Wir bei GF arbeiten weniger, wir arbeiten jetzt 40 Stunden und haben zwischen 25 und 28 Tage Urlaub. Also es sind...Normal, im Schnitt, haben wir vielleicht fünf Tage weniger Urlaubsanspruch als in Deutschland und zwei bis drei Tage weniger an Feiertagen. Das heißt: In der Schweiz wird etwas mehr gearbeitet wie in Deutschland aufgrund der tariflichen Situation.
Tarifliche Situation? Die gibt es in dieser Form jenseits des Schweizer Grenzzaunes gar nicht. Flächentarifverträge, wie sie in Deutschland zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften abgeschlossen werden, sind in der Schweiz nicht üblich. Ob die Beschäftigten im nächsten Jahr ein paar Franken mehr im Geldbeutel haben, wird in der Schweiz betriebsintern ausgehandelt. Georg-Fischer Personalchef Michael Both:
Es finden jeden Herbst zwischen den Arbeitnehmern - die ist in jeder Gesellschaft, am Platz Schaffhausen gibt es rund 16 Georg-Fischer-Gesellschaften, und Arbeitgebervertretern finden Gespräche zu diesem Thema statt. Und die ziehen sich über mehrere Tage, Wochen hin, wo man mehrmals zusammenkommt und die Vorstellungen ausdiskutiert. Aber es ist wirklich eine...ein Konsensprozess, es ist nicht ein Konfrontationsprozess, wie das in anderen Ländern oft der Fall ist, wo dann am Ende ein Streik steht. Ausnahmslos ist das bei uns in den letzten 20, 30 Jahren immer im Konsensverfahren abgelaufen. Wir mussten also auch nie die Verbände, also die Gewerkschaften auf Seiten der Arbeitnehmer oder die Arbeitgeberverbände auf Seiten der Arbeitgeber, einschalten in diesen Prozess. Das wäre der nächste Schritt, wenn man sich betrieblich nicht einigen könnte, dass man dann auf Verbandsebene sich bewegen würde, und dort die Verhandlungen weitergeführt würden. Aber dieser Schritt war nicht...Also ich kann mich nicht erinnern, auch in den Akten habe ich nichts gefunden, dass das bei Georg Fischer je einmal der Fall war. :
Dauerhafter Arbeitsfrieden pur - da macht die Georg-Fischer AG Schaffhausen keine Ausnahme; das ist Standard in der Schweiz. Müssten die Eidgenossen morgen einen Streik organisieren - sie wüssten gar nicht, wie so etwas funktioniert. Und darüber freut sich insbesondere Peter Hassler, Geschäftsführer des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes:
Bei uns gibt es eine sehr lange Tradition, seit 1937 das so genannte Friedensabkommen, das den Streik ausschließt. Also es ist so: Bei uns wird nicht gestreikt. Man hat sich auf eine Verhandlungslösung geeinigt in vielen großen Branchen, Maschinenindustrie, Chemie usw., die besagt, dass wenn Diskussionen in den Betrieben entstehen, dass ein Schlichtungsmechanismus Platz greift, überbetrieblich. Die Gewerkschaft, die Arbeitgeberverbände sitzen zusammen. Wir haben hier eine Kultur des Zusammenwirkens, eine sicher kleinräumig begünstigte Kultur, und wir pflegen diese Kultur. Und macht gelegentlich eine Konzession vielleicht, die man anderenorts nicht machen würde. Das stärkt das Ansehen der Gewerkschaften, obwohl der Organisationsgrad bei uns bei etwa einem Viertel aller Arbeitnehmer liegt. Der ist also durchschnittlich in Europa. Aber wir pflegen das vor allem über die Sozialpartnerschaft institutionalisiert. Das ist, glaube ich, eine der Stärken des Werkplatzes Schweiz.
Oder anders herum formuliert: Eine entscheidende Stärke des "Werkplatzes Schweiz" ist die Schwäche der Schweizer Gewerkschaften. Die haben nach dem über 60 Jahre alten Friedensabkommen, das Streik von vornherein ausschließt, kein wirksames Druckmittel in der Hand, um für mehr Urlaub und weniger Wochenarbeitszeit zu kämpfen. Für die meisten Arbeitnehmer in der Schweiz ist ein dauerhafter Arbeitsfriede wichtiger. Viele verbinden damit schließlich eine größere Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. Da tun sich Gewerkschaften schwer bei dem Versuch, Gehör zu finden. Nino Gebrina ist Sekretär bei SMUV. Das steht für "Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verband"- eine Gewerkschaft, die aber längst auch Arbeitnehmer aus anderen Branchen repräsentiert.. Doch die Arbeit als Gewerkschaftssekretär ist in der Schweiz weitaus mühsamer als anderswo.
Man kann sagen: Die Schweizer Gewerkschaften haben nicht die Reputation, wie es die deutschen, die italienischen oder auch französischen Gewerkschaften haben. Also da haben wir schon noch Nachholbedarf. Und wir haben auch mittlerweile auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in Deutschland oder Österreich jetzt auch vor allem, wo man jetzt auch vieles mitbekommt, und auch in die eigene Arbeit miteinbeziehen kann und auch lernen kann daraus.
Alles deutet daraufhin, dass diese grenzüberschreitenden Kontakte für die Schweizer Gewerkschaften in Zukunft wichtiger werden können, als viele dies momentan glauben mögen. Denn erst kürzlich hat die Mehrheit der Schweizer auf einer Volksabstimmung den "bilateralen Verträgen" mit der EU zugestimmt. Darin enthalten ist auch die so genannte "Freizügigkeitsklausel". Und das heißt: Nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren haben grundsätzliche alle EU-Bürger das Recht, in der Schweiz zu arbeiten. Bislang ist dies noch über genau definierte Kontingente für ausländische Arbeitnehmer geregelt. Ausgenommen davon sind nur die Grenzgänger in direkter Nachbarschaft. Kommt jedoch die in den bilateralen Verträgen vereinbarte Freizügigkeit, heißt es für Gewerkschaftssekretär Nina Gebrina auf der Hut sein:
Von unserer Seite, was die bilateralen Verträge anbelangt, ist es ganz klar: Es müssen flankierende Maßnahmen getroffen werden, die vor allem verhindern, dass auch durch - ich sag' jetzt mal - Erhöhung der Arbeitskräfte, die jetzt aus dem EU-Raum in die Schweiz kommen könnten, ein Lohndumping stattfinden würde, weil: Vergleicht man eben die Löhne der Schweiz mit Deutschland, dann ist es natürlich für einen Grenzgänger viel , viel interessanter, in die Schweiz arbeiten zu kommen, wie jetzt in Deutschland. )Man geht davon aus, dass man qualifiziertere Leute bekommt aus dem EU-Raum und darum das Saisonnier-Statut nur noch auf die EU-Länder begrenzt.
Ob aber, nach der Übergangsfrist von fünf Jahren, tatsächlich der große Run arbeitswütiger EU-Bürger auf die Schweiz einsetzt oder nicht, will keiner so genau voraussagen. Ob somit Diskussionen über Lohndumping als langfristige Folge der bilateralen Verträge Berechtigung haben oder nicht - wer weiß das derzeit so genau? Mit wem man auch immer in der Schweiz darüber spricht - überall schimmert Ängstlichkeit und Unsicherheit durch - nicht nur bei den Gewerkschaften, sondern beispielsweise auch bei Peter Hassler vom Schweizerischen Arbeitgeberverband:
Wir sind sehr, sehr unsicher über die Auswirkungen dieses Vertrages. Professoren sagen uns: Die Zuwanderung wird sehr bescheiden sein. Man rechnet aus der EU mit jährlich zusätzlichen 10 000 Arbeitnehmern. Sollte die Konjunktur anhalten, wird die Zuwanderung möglicherweise etwas stärker sein. Tatsächlich heißt die Liberalisierung auch, dass eigentlich der Grenzgänger-Status praktisch wegfällt. Es gibt ihn zwar formell, aber faktisch muss der Grenzgänger nicht mehr in einer ausländischen Grenzzone wohnen. Er könnte auch von Köln kommen. Theoretisch, und das wird auch praktisch so sein, weil der Grenzgänger nicht mehr täglich zurückkehren muss; er muss höchstens noch wöchentlich zurückkehren. Er kann ein Zimmer haben in Zürich, und dann einmal in der Woche mit dem Wagen nach Köln fahren. Und wer will das schon kontrollieren? Also ich denke, letztlich die EU hat einen völlig freien Personenverkehr mit der Schweiz. Und da werden es sich die Arbeitnehmer eben überlegen, ob es sie für vorteilhaft ist bei uns zu arbeiten. Ich gehe davon aus, dass letztlich man lieber in der Heimat arbeitet. Aber wenn man eben in der Heimat keine Chance hat, wenn man keine Stelle hat - man war ein bisschen arbeitslos, sechs, sieben, acht Monate oder mehr, dann kommt natürlich tatsächlich die Frage: Gehe ich ins Ausland? Und für die Deutschen , würde ich sagen, ist die Schweiz sicher eine attraktive Alternative. Für uns würde das sicher bedeuten, dass sich diese Trockenheit auf dem Arbeitsmarkt legt. Das heißt auch: Der Lohndruck würde wieder etwas normalisiert. Und ich denke, insgesamt wäre dies eine positive Entwicklung.
Wieder einmal sind es also vor allem die Unternehmen in der Schweiz, die sich über die bilateralen Verträge am meisten freuen. Denn eines ist klar: Bleibt der Schweizerische Arbeitsmarkt in Zukunft genauso ausgetrocknet wie derzeit, wird auch das Gehalts- und Lohnniveau deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Und das wirkt wie ein Magnet auf Arbeitssuchende überall in der EU. Fallen die Kontinente für EU-Bewerber nach fünf Jahren erst einmal weg, dürfte es zu einer deutlichen Entspannung auf dem Schweizerischen Arbeitsmarkt kommen; Personalmanager wie Michael Both von der Georg-Fischer-AG in Schaffhausen haben dann ein paar Probleme weniger:
Trotzdem versprechen wir uns sehr viel von den bilateralen Verträgen, die die Schweiz mit der EU ja am abschließen ist. Die müssen jetzt nur noch ratifiziert werden. Da sollte im Laufe dieses Jahres passieren, so dass ab 1. Januar 2002 diese bilateralen Verträge in Kraft treten, und dann auch Schritt für Schritt Erleichterungen auf dem grenzübschreitenden Arbeitsmarkt auftreten werden.
Wir fangen ziemlich um halb Neun an und hören um 18.30 Uhr auf, wobei wir dann Aufräumarbeiten und was noch dazu zählt, auch haben. Mittagszeit sind zwei Stunden - die kann man sich selber einteilen, ob man früh geht oder mit der späten Schicht geht. Das ist jedem frei oder, wie man sagt man, jeder Abteilung überlassen, nach Wareneingang oder Ausgang, wie es der Bedarf ist.
So ähnlich, mag man glauben, schaut auch die Arbeit in jedem x-beliebigen deutschen Supermarkt aus, beispielsweise in der nur fünf Autominuten entfernten baden-württembergischen Nachbarstadt Konstanz. Doch ein paar wesentliche Unterschiede zwischen der Verkäuferin, die in der Schweiz arbeitet, und ihrer Kollegin drüben in Konstanz gibt es schon:
Wir haben jetzt weniger Feiertage als unsere deutschen Kollegen, wir müssen länger arbeiten, und wir haben eine größere Präsenzzeit von 41 Stunden gegenüber Deutschland.
Das klingt ziemlich ungemütlich. Umso mehr erstaunt, dass Stenka Feger, die eigentlich aus Deutschland kommt, seit Jahren bereits im Schweizerischen Migros arbeitet und nicht im Traum daran denkt, nochmals eine Stelle drüben, in Deutschland anzunehmen- trotz der ungünstigeren Arbeitszeiten. Dafür kommt in der Schweiz aber deutlich mehr ins Portemonnaie als bei einem vergleichbaren Job in Deutschland - nicht zuletzt wegen des starken Kurses des Schweizer Franken.
Es sind etwa 20 Prozent mehr, die Sie durch den Franken haben.
Auf der einen Seite weniger Urlaub und Feiertage sowie eine höhere Wochenarbeitszeit, auf der anderen Seite aber ein höheres Einkommen: Das Beispiel der Kreuzlinger Migros-Verkäuferin weist bereits auf einige gravierende Unterschiede zwischen dem deutschen und dem Schweizer Arbeitsmarkt hin. Doch der wichtigste Unterschied zeigt sich ganz woanders als im Supermarkt: Wer die Altbau-Gewölbe des kantonalen Arbeitsamtes im ostschweizerischen St. Gallen betritt, der entdeckt so gut wie keine Gemeinsamkeiten mit einem deutschen Arbeitsamt: Nirgendwo Schlange stehenden Menschen, die auf einen Termin beim Arbeitsvermittler warten; stattdessen fast schon gespenstische Stille auf den Gängen. Der Schreibtisch von Arbeitsamtsdirektor Johannes Rutz erweckt einen aufgeräumten Eindruck - kein Wunder:
Die im Moment aktuelle Arbeitslosenquote im Kanton St. Gallen ist im Moment 1,3 Prozent. Das sind in Zahlen ausgedrückt 2942 Stellensuchende. Wir sind aber unter dem Schweizerischen Durchschnitt.
Der liegt derzeit bei knapp über zwei Prozent. Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Arbeitslosigkeit kommt in der Schweiz so gut wie überhaupt nicht vor; die Fachleute sprechen von Vollbeschäftigung, und die hält bereits seit Jahren an. Warum das so ist? Nun, selbst Experten wie Johannes Rutz tun sich mit einer spontanen Antwort schwer.
Da gibt es natürlich verschiedene Erklärungen. Ich würde meinen, eine der wichtigsten Erklärungen ist sicher ein sehr viel flexiblerer Arbeitsmarkt. Also es hat nicht zu viele einengende Vorschriften, um Arbeitnehmer einzustellen, aber sie auch wieder zu entlassen. Also diese Flexibilität ist es, würde ich meinen, die entscheidend ist. Also ein Arbeitgeber kann sehr gut jemand einstellen, man kann aber auch wieder kündigen, und die soziale Abfederung, die muss natürlich auch stimmen. Und das geschieht vorwiegend in der Sozialpartnerschaft, also dass Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zusammensitzen, dort eine Lösung treffen und nicht der Staat, dass möglichst nicht der Staat diktiert. Die Lohnkosten sind in der Schweiz auch hoch. Aber ich kenne deutsche Unternehmer, die in der Schweiz Filialen betreiben. Und die sagen, der Schweizer Arbeitsmarkt sei darum attraktiv, weil die Arbeitnehmer längere Arbeitszeiten hätten, weniger Ferien. Sie seien weniger krank, und wenn er das alles aufrechne, dann sei hier als Unternehmer tätig zu sein attraktiv.
Der Arbeitsmarkt Schweiz - ein Paradies für Unternehmer? Einiges spricht für diese These - nicht nur die geringere Zahl an Urlaubs- und Feiertagen, auch nicht nur ein Arbeitsrecht, das Arbeitnehmern längst nicht den gleichen Schutz bietet wie in Deutschland. Hinzu kommt ein weiterer wesentlicher Punkt: Wer, trotz aller Vollbeschäftigung, gleichwohl in der Schweiz seinen Job verliert, tut gut daran, sich aus eigenem Antrieb so rasch als möglich nach einer neuen Beschäftigung umzusehen. Michael Both ist Personalchef der Georg Fischer AG; ein großer metallverarbeitender Mischkonzern mit Sitz im Schweizerischen Schaffhausen:
Vor allem die Kontrolle ist sehr viel engmaschiger. Also man muss wirklich, damit man überhaupt Arbeitslosengelder bekommt, nachweisen, dass man sich aktiv um eine Stelle bemüht. Man muss unter Umständen bei Umschulungsprogrammen mitmachen; man muss immer wieder beweisen: Man hat sich beworben, man hat Bewerbungsgespräche geführt. Und werden sehr schnell hier vom Arbeitsamt, die hier sehr effektiv arbeiten, Leute eruiert, die sich ganz wohlfühlen würden in der Arbeitslosigkeit. Und denen wird das Arbeitslosengeld gestrichen. Sie werden gezwungen, wirklich Arbeit aufzunehmen.
Eine Situation, so möchte man meinen, die jedem Schweizer Unternehmer Anlass zu großer Freude gibt: Was will ein Arbeitgeber auch mehr, als gefügige Mitarbeiter, die er, ohne große rechtlichen Hürden, nach Gutdünken mal vor die Tür setzen, mal wieder einstellen kann? Mitarbeiter, die unter Umständen befürchten müssen, vom Arbeitsamt als "arbeitsunwillig" abgestempelt und damit von sämtlichen Bezügen abgeschnitten zu werden? Mitarbeiter, die zudem von einer 35-Stunden-Woche nicht einmal zu träumen wagen? Die Schweiz - ein Paradies für Arbeitgeber ?
Ganz so ist es nicht: Die niedrige Arbeitslosenquote in der Schweiz hat gerade auch aus Sicht vieler Unternehmen ihre Schattenseiten - beispielsweise die, dass viele Firmen händedringend nach qualifizierten Mitarbeitern suchen - oftmals erfolglos. Peter Hassler ist Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes in Zürich:
Ein trockener Arbeitsmarkt bewirkt natürlich Lohndruck. Es ist ganz klar, dass die wenigen Spezialisten jetzt mehr oder weniger ihren Lohn fast selbst bestimmen können. Es ist bis weit in die einfachen Tätigkeiten hin kaum ein Mitarbeiter mehr zu finden oder nur Mitarbeiter, die doch einige Probleme mit sich bringen. Das heißt zwangsläufig, die Firmen jagen sich die Arbeitskräfte förmlich ab. Es gibt bei uns leider schon wieder die Erscheinung, dass Kopfprämien bezahlt werden. Das heißt: Die Mitarbeiter bekommen 2000, 3000 Franken, wenn sie einen anderen Mitarbeiter mitbringen. Das heißt natürlich irgendwo: Abwerben. Das sind letztendlich Kosten, die für die Wirtschaft nicht sehr lohnend sind. Diese Arbeitsplatzwechsel - das kostet immer sehr viel. Also letztlich wird das einen gewissen Lohndruck nach oben geben. Damit werden die Produktionskosten höher, die Konkurrenzfähigkeit etwas schlechter.
Vor allem das "Head-Hunting", die moderne "Kopfgeld-Jagd", ist in der Schweiz viel ausgeprägter als in Deutschland. Während hierzulande eigentlich nur Softwareproduzenten und Finanzdienstleister ihren Mitarbeitern Prämien zahlen, wenn sie qualifizierte Kollegen ins Unternehmen bringen, ist das in der Schweiz anders: Dort zahlt auch schon mal der Metzgermeister seinem Gesellen ein paar tausend Franken, wenn der, angesichts der Personalnot, den dringend benötigten zweiten Metzgergesellen zur Unterschrift unter den Arbeitsvertrag überredet.
Es gibt das schlechthin überall. Also es gibt das im Baugewerbe, es gibt das im Handwerk, beim Elektrofachgeschäft. Es gibt das beim Bäcker, es gibt's überall. Es gibt es vielleicht sogar etwas weniger dort, wo man's erwarten würde, also Banken, Versicherungen. Die zahlen ohnehin leicht höhere Löhne. Statistisch ist das ganz klar. Dort ist vielleicht der Druck fast etwas geringer als beim Handwerk. Also einen guten Handwerker heute zu finden mit Ausbildung, ist außerordentlich schwierig geworden.
Das klingt nun plötzlich, aus Arbeitgebersicht, gar nicht mehr so paradiesisch. Denn abgesehen von der Schwierigkeit, überhaupt gut ausgebildete Leute zu finden, treibt der ausgetrocknete Arbeitsmarkt Löhne und Gehälter nach oben. Dabei können diejenigen Unternehmen, die sich der Nähe zur deutschen, französischen oder italienischen Grenze angesiedelt haben, noch von Glück reden. Dort nämlich bekommen die Schweizer Arbeitnehmer Konkurrenz - von den Arbeitssuchenden aus den benachbarten Grenzregionen. Michael Both, Personalchef der Georg Fischer AG in Schaffhausen:
Sowohl in Schaffhausen wie in Basel ist der Anteil an Grenzgängern, also an Deutschen oder auch an Franzosen in Basel, die jeden Morgen zur Arbeit zu Georg Fischer kommen, ist sehr hoch. Also in Schaffhausen sind das Beispielsweise rund ein Drittel. Wir haben also rund ein Drittel der Belegschaft, ein Drittel der 1100 Personen, die hier arbeiten, kommen jeden Morgen über die Grenze.
So leergefegt wie der Schweizer Arbeitsmarkt nun einmal ist, können sich Unternehmen wie die Georg Fischer AG, die sich in Grenznähe befinden, glücklich schätzen. Denn gerade aus dem deutschen Grenzgebiet gibt es genügend Pendler, die nicht nur wegen des starken Frankenkurses und des hohen Lohnniveaus einen Job in der Schweiz annehmen. Tanja Koloch wohnt im deutschen Konstanz und arbeitet im Schweizerischen Schaffhausen. .
Also ich finde, das Arbeitsklima bei Schweizer Firmen find' ich angenehmer. Das ist sehr viel freundlicher, offener. Die Atmosphäre ist kollegialer und lockerer. Der Umgang untereinander ist recht leger. Also man duzt sich innerhalb der Abteilung gleich vom ersten Tag an. Im Vergleich zu Deutschland ist es sehr viel offener. Also ich würde sagen, die deutschen Firmen sind da ein bisschen....ja konservativer, bisschen steifer im Umgang miteinander.
Abseits solcher atmosphärischer Unterschiede hat Tanja Koloch in den wenigen Wochen, in denen sie in der Schweiz arbeitet, aber auch schon ganz konkret erfahren, inwiefern sich ein Arbeitsplatz in der Schweiz von einer Stelle in Deutschland unterscheidet.
Also die offizielle Arbeitszeit in der Schweiz beträgt, glaube ich, 42,5 Stunden. Wir bei GF arbeiten weniger, wir arbeiten jetzt 40 Stunden und haben zwischen 25 und 28 Tage Urlaub. Also es sind...Normal, im Schnitt, haben wir vielleicht fünf Tage weniger Urlaubsanspruch als in Deutschland und zwei bis drei Tage weniger an Feiertagen. Das heißt: In der Schweiz wird etwas mehr gearbeitet wie in Deutschland aufgrund der tariflichen Situation.
Tarifliche Situation? Die gibt es in dieser Form jenseits des Schweizer Grenzzaunes gar nicht. Flächentarifverträge, wie sie in Deutschland zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften abgeschlossen werden, sind in der Schweiz nicht üblich. Ob die Beschäftigten im nächsten Jahr ein paar Franken mehr im Geldbeutel haben, wird in der Schweiz betriebsintern ausgehandelt. Georg-Fischer Personalchef Michael Both:
Es finden jeden Herbst zwischen den Arbeitnehmern - die ist in jeder Gesellschaft, am Platz Schaffhausen gibt es rund 16 Georg-Fischer-Gesellschaften, und Arbeitgebervertretern finden Gespräche zu diesem Thema statt. Und die ziehen sich über mehrere Tage, Wochen hin, wo man mehrmals zusammenkommt und die Vorstellungen ausdiskutiert. Aber es ist wirklich eine...ein Konsensprozess, es ist nicht ein Konfrontationsprozess, wie das in anderen Ländern oft der Fall ist, wo dann am Ende ein Streik steht. Ausnahmslos ist das bei uns in den letzten 20, 30 Jahren immer im Konsensverfahren abgelaufen. Wir mussten also auch nie die Verbände, also die Gewerkschaften auf Seiten der Arbeitnehmer oder die Arbeitgeberverbände auf Seiten der Arbeitgeber, einschalten in diesen Prozess. Das wäre der nächste Schritt, wenn man sich betrieblich nicht einigen könnte, dass man dann auf Verbandsebene sich bewegen würde, und dort die Verhandlungen weitergeführt würden. Aber dieser Schritt war nicht...Also ich kann mich nicht erinnern, auch in den Akten habe ich nichts gefunden, dass das bei Georg Fischer je einmal der Fall war. :
Dauerhafter Arbeitsfrieden pur - da macht die Georg-Fischer AG Schaffhausen keine Ausnahme; das ist Standard in der Schweiz. Müssten die Eidgenossen morgen einen Streik organisieren - sie wüssten gar nicht, wie so etwas funktioniert. Und darüber freut sich insbesondere Peter Hassler, Geschäftsführer des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes:
Bei uns gibt es eine sehr lange Tradition, seit 1937 das so genannte Friedensabkommen, das den Streik ausschließt. Also es ist so: Bei uns wird nicht gestreikt. Man hat sich auf eine Verhandlungslösung geeinigt in vielen großen Branchen, Maschinenindustrie, Chemie usw., die besagt, dass wenn Diskussionen in den Betrieben entstehen, dass ein Schlichtungsmechanismus Platz greift, überbetrieblich. Die Gewerkschaft, die Arbeitgeberverbände sitzen zusammen. Wir haben hier eine Kultur des Zusammenwirkens, eine sicher kleinräumig begünstigte Kultur, und wir pflegen diese Kultur. Und macht gelegentlich eine Konzession vielleicht, die man anderenorts nicht machen würde. Das stärkt das Ansehen der Gewerkschaften, obwohl der Organisationsgrad bei uns bei etwa einem Viertel aller Arbeitnehmer liegt. Der ist also durchschnittlich in Europa. Aber wir pflegen das vor allem über die Sozialpartnerschaft institutionalisiert. Das ist, glaube ich, eine der Stärken des Werkplatzes Schweiz.
Oder anders herum formuliert: Eine entscheidende Stärke des "Werkplatzes Schweiz" ist die Schwäche der Schweizer Gewerkschaften. Die haben nach dem über 60 Jahre alten Friedensabkommen, das Streik von vornherein ausschließt, kein wirksames Druckmittel in der Hand, um für mehr Urlaub und weniger Wochenarbeitszeit zu kämpfen. Für die meisten Arbeitnehmer in der Schweiz ist ein dauerhafter Arbeitsfriede wichtiger. Viele verbinden damit schließlich eine größere Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. Da tun sich Gewerkschaften schwer bei dem Versuch, Gehör zu finden. Nino Gebrina ist Sekretär bei SMUV. Das steht für "Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verband"- eine Gewerkschaft, die aber längst auch Arbeitnehmer aus anderen Branchen repräsentiert.. Doch die Arbeit als Gewerkschaftssekretär ist in der Schweiz weitaus mühsamer als anderswo.
Man kann sagen: Die Schweizer Gewerkschaften haben nicht die Reputation, wie es die deutschen, die italienischen oder auch französischen Gewerkschaften haben. Also da haben wir schon noch Nachholbedarf. Und wir haben auch mittlerweile auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in Deutschland oder Österreich jetzt auch vor allem, wo man jetzt auch vieles mitbekommt, und auch in die eigene Arbeit miteinbeziehen kann und auch lernen kann daraus.
Alles deutet daraufhin, dass diese grenzüberschreitenden Kontakte für die Schweizer Gewerkschaften in Zukunft wichtiger werden können, als viele dies momentan glauben mögen. Denn erst kürzlich hat die Mehrheit der Schweizer auf einer Volksabstimmung den "bilateralen Verträgen" mit der EU zugestimmt. Darin enthalten ist auch die so genannte "Freizügigkeitsklausel". Und das heißt: Nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren haben grundsätzliche alle EU-Bürger das Recht, in der Schweiz zu arbeiten. Bislang ist dies noch über genau definierte Kontingente für ausländische Arbeitnehmer geregelt. Ausgenommen davon sind nur die Grenzgänger in direkter Nachbarschaft. Kommt jedoch die in den bilateralen Verträgen vereinbarte Freizügigkeit, heißt es für Gewerkschaftssekretär Nina Gebrina auf der Hut sein:
Von unserer Seite, was die bilateralen Verträge anbelangt, ist es ganz klar: Es müssen flankierende Maßnahmen getroffen werden, die vor allem verhindern, dass auch durch - ich sag' jetzt mal - Erhöhung der Arbeitskräfte, die jetzt aus dem EU-Raum in die Schweiz kommen könnten, ein Lohndumping stattfinden würde, weil: Vergleicht man eben die Löhne der Schweiz mit Deutschland, dann ist es natürlich für einen Grenzgänger viel , viel interessanter, in die Schweiz arbeiten zu kommen, wie jetzt in Deutschland. )Man geht davon aus, dass man qualifiziertere Leute bekommt aus dem EU-Raum und darum das Saisonnier-Statut nur noch auf die EU-Länder begrenzt.
Ob aber, nach der Übergangsfrist von fünf Jahren, tatsächlich der große Run arbeitswütiger EU-Bürger auf die Schweiz einsetzt oder nicht, will keiner so genau voraussagen. Ob somit Diskussionen über Lohndumping als langfristige Folge der bilateralen Verträge Berechtigung haben oder nicht - wer weiß das derzeit so genau? Mit wem man auch immer in der Schweiz darüber spricht - überall schimmert Ängstlichkeit und Unsicherheit durch - nicht nur bei den Gewerkschaften, sondern beispielsweise auch bei Peter Hassler vom Schweizerischen Arbeitgeberverband:
Wir sind sehr, sehr unsicher über die Auswirkungen dieses Vertrages. Professoren sagen uns: Die Zuwanderung wird sehr bescheiden sein. Man rechnet aus der EU mit jährlich zusätzlichen 10 000 Arbeitnehmern. Sollte die Konjunktur anhalten, wird die Zuwanderung möglicherweise etwas stärker sein. Tatsächlich heißt die Liberalisierung auch, dass eigentlich der Grenzgänger-Status praktisch wegfällt. Es gibt ihn zwar formell, aber faktisch muss der Grenzgänger nicht mehr in einer ausländischen Grenzzone wohnen. Er könnte auch von Köln kommen. Theoretisch, und das wird auch praktisch so sein, weil der Grenzgänger nicht mehr täglich zurückkehren muss; er muss höchstens noch wöchentlich zurückkehren. Er kann ein Zimmer haben in Zürich, und dann einmal in der Woche mit dem Wagen nach Köln fahren. Und wer will das schon kontrollieren? Also ich denke, letztlich die EU hat einen völlig freien Personenverkehr mit der Schweiz. Und da werden es sich die Arbeitnehmer eben überlegen, ob es sie für vorteilhaft ist bei uns zu arbeiten. Ich gehe davon aus, dass letztlich man lieber in der Heimat arbeitet. Aber wenn man eben in der Heimat keine Chance hat, wenn man keine Stelle hat - man war ein bisschen arbeitslos, sechs, sieben, acht Monate oder mehr, dann kommt natürlich tatsächlich die Frage: Gehe ich ins Ausland? Und für die Deutschen , würde ich sagen, ist die Schweiz sicher eine attraktive Alternative. Für uns würde das sicher bedeuten, dass sich diese Trockenheit auf dem Arbeitsmarkt legt. Das heißt auch: Der Lohndruck würde wieder etwas normalisiert. Und ich denke, insgesamt wäre dies eine positive Entwicklung.
Wieder einmal sind es also vor allem die Unternehmen in der Schweiz, die sich über die bilateralen Verträge am meisten freuen. Denn eines ist klar: Bleibt der Schweizerische Arbeitsmarkt in Zukunft genauso ausgetrocknet wie derzeit, wird auch das Gehalts- und Lohnniveau deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Und das wirkt wie ein Magnet auf Arbeitssuchende überall in der EU. Fallen die Kontinente für EU-Bewerber nach fünf Jahren erst einmal weg, dürfte es zu einer deutlichen Entspannung auf dem Schweizerischen Arbeitsmarkt kommen; Personalmanager wie Michael Both von der Georg-Fischer-AG in Schaffhausen haben dann ein paar Probleme weniger:
Trotzdem versprechen wir uns sehr viel von den bilateralen Verträgen, die die Schweiz mit der EU ja am abschließen ist. Die müssen jetzt nur noch ratifiziert werden. Da sollte im Laufe dieses Jahres passieren, so dass ab 1. Januar 2002 diese bilateralen Verträge in Kraft treten, und dann auch Schritt für Schritt Erleichterungen auf dem grenzübschreitenden Arbeitsmarkt auftreten werden.