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Inseln der Seligen

Theo Albrecht, einer der Aldi-Gründer, gab sich Zeit seines Lebens unauffällig und lebte zurückgezogen - trotz massiven Reichtums. Zwei Autoren haben sich unabhängig voneinander nun der Spezies der Reichen und Superreichen angenommen: der Konjunkturforscher Gustav A. Horn mit seinem Buch "Des Reichtums fette Beute" sowie Christian Rickens mit "Ganz oben".

Von Raoul Löbbert | 11.07.2011
    Es ist eine Expedition der besonderen Art, auf die sich Christian Rickens - Redakteur beim "Manager Magazin" da begibt. Der Journalist, der sich vor fünf Jahren in seinem Buch "Die neuen Spießer" schon mit dem Phänomen der "neuen Bürgerlichkeit" auseinandersetzte, reist nun nach "Ganz oben" und schaut, wie "Deutschlands Millionäre leben" – so der Untertitel seines neuen Buches. Was er findet, sind Inseln der Seligen.

    Vom Drogeriekettenbetreiber und Hobby-Anthroposophen Götz Werner bis zu den Luxus-Campingwagen-Herstellern Stephanie und Gerhard Volkner hörte sich Rickens von Sylt bis Bayern die Sorgen und Nöte der Menschen an, die sich nach allgemeiner Meinung eigentlich keine Sorgen zu machen bräuchten. Wie ein Ethnologe auf Stammeserkundung klassifiziert und kategorisiert der Journalist dabei seine seligen Insulaner auf dem Fundament der Sinus-Milieuforschung und gibt jedem Phänotyp eine eigene Beschriftung. Da sind die Konventionell- und die Statusorientierten, die liberal-intellektuell- und die etabliert Vermögenden. Letztere beschreibt Christian Rickens so:

    "Etabliert Vermögende sehnen sich nach Harmonie in ihrer Familie, die auch nach außen vorgezeigt wird. Sie engagieren sich besonders stark im Ehrenamt, doch gegen die sinnlosen Oberflächlichkeiten der Bussi-Gesellschaft hegen etabliert Vermögende eine tiefe Abneigung. Tief im Inneren sehnen sie sich nach Einfachheit, Ruhe und Wohlbefinden."

    Doch zwischen den verschiedenen Milieus der Reichen existieren für den Journalisten durchaus Gemeinsamkeiten: das ausgeprägte Familien- und Netzwerkdenken etwa oder das Pflichtgefühl, der Gesellschaft, etwas zurückgeben zu müssen, indem sie spenden oder stiften – um Gutes zu tun. Und um damit gleichzeitig Steuern zu sparen. Sein Fazit:

    "Wir sind in Deutschland mit unseren Millionären gar nicht so schlecht bedient – zumindest im internationalen Vergleich. Die Reichen in Deutschland geben sich nur selten einem derart ostentativen Luxuskonsum hin wie ihre Standesgenossen in anderen Weltregionen. Auch reiche Müßiggänger gibt es in Deutschland kaum. Die Deutsche Oberschicht definiert sich quer durch alle Milieus vor allem über ihre Arbeit."

    Nur erschafft Deutschlands Oberschicht - anders als viele Unternehmer nach dem Zweiten Weltkrieg - diesen Reichtum nicht mehr aus dem Nichts. Sie erbt ihn meist nur noch. Mit dem Verlust an kreativem Potenzial verliert, so Rickens, die Oberschicht zunehmend an gesamtgesellschaftlicher Prägekraft. Eine Elite, die nichts mehr erschafft, sondern nur noch verwaltet, ist keine Elite mehr, stellt er fest. Und statt die Reichen an ihre gesellschaftliche Gestaltungsverantwortung zu erinnern, schnürte die Politik dagegen lange in einem Verzweiflungsakt Steuergeschenkpakete. Christian Rickens erklärt die Folge:

    "Finanziell gesehen war es nie angenehmer als heute reich zu sein. [...] Nein, ums Wohl unserer Millionäre müssen wir uns heute keine Sorgen machen, denen geht es gut in Deutschland. Sorgen müssen wir uns eher darüber machen, wie es uns mit den Millionären geht."

    Und wie geht es uns mit unseren Millionären? Darauf bleibt der Autor die Antwort schuldig. Seine bei aller analytischen Schärfe oft amüsante, manchmal aber auch am Rand des Boulevardesken entlang schlitternde Binnenansicht, erlaubt keinen Blick nach draußen. Was denken die Nicht- oder Nicht-ganz-so-Reichen, die Doppelhaushälftenbesitzer oder Hartz-IV-Empfänger über eine Elite, die sich zunehmend verkapselt in ihrem schönen Inselreich?

    Antworten auf manche dieser Fragen liefert dagegen Gustav A. Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch er beschäftigt sich in seinem Buch "Des Reichtums fette Beute. Wie die Ungleichheit unser Land zerstört" mit der seltenen Spezies der Reichen. Und die Antwort, die Rickert schuldig bleibt, klingt bei Horn schon im Buchtitel an: Deutschlands Armen geht es gar nicht gut mit Deutschlands Reichen. Und so ist die zunehmende Bereicherung weniger auf Kosten vieler für Horn der Hauptgrund für die zurückliegende Finanzkrise, deren Folgen und Zustandekommen der Konjunkturforscher in seinem Buch analysiert. Mehr noch: In den immer reicher werdenden Reichen sieht Horn wohl nicht zu Unrecht eine der größten ethisch-moralischen Herausforderungen unserer Zeit. Von der Gesellschaft ernst genommen wird sie aber nicht. Die Schlussfolgerungen des linken Ökonomen jedoch wirken zuweilen unnötig appellativ, so als wolle er unbedingt das Sprachrohr der Armen und Benachteiligten sein: Nach Horns Überzeugung ist der in seiner Zunft nach wie vor tonangebende Neokonservatismus Schuld an der Malaise:

    "In Deutschland, wo die Dogmatik des ökonomischen Mainstreams mit besonderer Inbrunst gepflegt wird, ist von einer Zeitenwende des ökonomischen Denkens kaum etwas zu spüren. Noch immer gilt hier vor allem derjenige als ökonomisch vernünftig, der die Beute des Reichtums zu erhöhen verspricht."

    Horns Folgerung: Ungleichheit muss beseitigt und Reichtum umverteilt werden. Denn:

    "Jeder soll ein Stück vom Kuchen haben. Nur auf diese Weise lässt sich vermeiden, dass sich immer mehr Reichtum zusammenballt. Reichtumsklumpen erhöhen die Risiken einer Volkswirtschaft."

    Das mag für manchen Wirtschaftsliberalen nach einer aus der Mode gekommenen Form der kämpferischen Sozialromantik klingen. Doch verbirgt sich sowohl hinter Gustav A. Horns zum Teil überschäumender Rhetorik wie hinter Christian Rickens manchmal etwas flapsigen Innenansichten des Reichtums ein bemerkenswerter Befund: Das Auseinanderklappen der Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland mit zwei Dingen einher: Zum einen mit dem Nicht-Verhältnis der Gesellschaft zum Reichtum und zum anderen mit der sich daraus ergebenden Verantwortung fürs Gemeinwesen. Reiche sind Positivbeispiele für sozialen Aufstieg. An ihrem Leben und Schicksal orientieren sich Mittel- und Unterschicht. Umso wichtiger ist es für eine Gesellschaft, ihre Reichen kennen und verstehen zu lernen. Christian Rickens und Gustav A. Horn leisten mit ihren Büchern insoweit, was alle Entdecker anstreben, wenn sie sich auf Expedition begeben: Sie machen das Unbekannte bekannt.


    Gustav A. Horn: "Des Reichtums fette Beute
    Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert". Campus Verlag, 270 Seiten, 24,90 Euro. ISBN: 978-3-593-39347-6


    Christian Rickens: "Ganz oben. Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben." Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 18,95 Euro. ISBN: 978-3-462-04280-1