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"Insgesamt wird der Knoten halt gerade nicht zukunftsfähig"

In Stuttgart regt sich immer mehr Widerstand gegen das Bahngroßprojekt "Stuttgart 21". Matthias Lieb vom Verkehrsclub Deutschland Baden-Württemberg bemängelt, dass das Geld an anderer Stelle fehle, "weil es jetzt in Stuttgart verbraten wird". Und der Reisende profitiere auch nicht davon.

Matthias Lieb im Gespräch mit Georg Ehring | 27.08.2010
    Georg Ehring: Es wird voll werden heute in Stuttgart. Tausende Demonstranten wollen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" verhindern. Das soll aus dem Kopfbahnhof einen Durchgangsbahnhof machen und auf diese Weise die Verbindungen verbessern. Doch das Projekt hat einen Großteil der Bürger gegen sich aufgebracht. Dagegen ist auch der Verkehrsclub Deutschland, eine Organisation, die sich eigentlich für mehr Bahnverkehr und weniger Auto ausspricht. Mit seinem Landesvorsitzenden für Baden-Württemberg, mit Matthias Lieb, bin ich jetzt telefonisch verbunden. Guten Tag, Herr Lieb.

    Matthias Lieb: Hallo, Herr Ehring.

    Ehring: Ja, Herr Lieb, wie sieht das Projekt denn aus Kundensicht aus? Welche Verbesserungen erst mal sind zu erwarten?

    Lieb: Ja. Eigentlich sollte ja "Stuttgart 21" den Bahnknoten Stuttgart zukunftsfähig gestalten. Doch das wurde eigentlich vom VCD und anderen Verbänden schon immer kritisiert, dass gerade "Stuttgart 21" zu gering dimensioniert ist und damit neue Engpässe schafft. Es gibt zwar einzelne Fahrzeitverkürzungen auf gewissen Relationen, doch insgesamt wird der Knoten halt gerade nicht zukunftsfähig ausgebaut. Das hat jetzt vor Kurzem auch ein Gutachten im Auftrag des Landes Baden-Württemberg bestätigt, welches zwei Jahre allerdings geheim gehalten worden war.

    Ehring: Aber Kopfbahnhöfe, wo der Zug die Richtung wechseln muss, kosten doch eigentlich Zeit. Und Stuttgart ist bisher ein solcher Kopfbahnhof. Warum bringt das dann keine Verbesserungen?

    Lieb: Nun, der Kopfbahnhof ist einer der leistungsfähigsten Kopfbahnhöfe in Deutschland, dadurch, dass man ohne Kreuzungen ein- und ausfahren kann - herfür dient das sogenannte Tunnelgebirge im Vorfeld -, dass der Fahrzeitverlust durch den Kopfbahnhof sehr gering ist. Das hängt letztendlich mehr an der Dauer des Ein- und Aussteigens, aber weniger jetzt an dem umständlichen Rein- und Rausfahren. Man kann das auch mit Frankfurt vergleichen, da fährt man kilometerweit die gleiche Strecke rein und wieder raus. Dort hätte also ein Durchgangsbahnhof zeitlich viel größere Vorteile. Dort hat man es aber unterlassen, weil sich das nicht lohnt. In Stuttgart, wo der Vorteil eigentlich kleiner ist, da soll sich das nun lohnen. Das ist nicht nachvollziehbar. Die Kosten sind ständig gestiegen. Die Fahrgäste werden auch keine großen Vorteile haben. Heute kann man im Kopfbahnhof barrierefrei ohne Treppen steigen umsteigen. Zukünftig haben sie deutlich weniger Bahnsteige zum Umsteigen, sie müssen diese über Treppen und Aufzüge erreichen. Der Bahnsteig selber hat einen Höhenunterschied von Anfang bis Ende von über sechs Metern, der liegt also im Gefälle, was normalerweise für einen Bahnhof gar nicht genehmigungsfähig ist. Hier ist also eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden.

    Ehring: Wo sind denn die Engpässe in Baden-Württemberg, die auch nach wie vor bestehen bleiben? Sie sagten ja gerade eingangs, dass der neue Bahnhof in Stuttgart eigentlich sogar noch zu gering dimensioniert sei.

    Lieb: Ja. Es ist jetzt weniger der Bahnhof an sich, sondern die gesamte Gleisanlage, die bei "S 21" neu gebaut wird, die zu eng ist. Aber tatsächliche Engpässe haben wir in Baden-Württemberg im Rheintal. Dort hat man 1987 begonnen, die Rheintalbahn auszubauen, hat man auch Verträge mit der Schweiz, dass die Strecke bis 2020 fertig sein soll. Die Schweiz baut da ihre Alpentunnel, um den Güterverkehr vom LKW auf die Schiene zu verlagern. Dazu ist es notwendig, dass auch die Güterzüge schon in Deutschland fahren können. Das passiert gerade aber nicht. Wie gesagt, man hat erst 25 Prozent fertiggestellt, obwohl Baubeginn 1987 war. Und 2020 will man fertig werden. Das Geld ist auch nicht da, weil es jetzt in Stuttgart verbraten wird. Wir haben gleichzeitig von Mannheim nach Frankfurt eine große Überlastung. Das heißt, zusätzliche ICE-Züge können auf dieser Strecke gar nicht fahren, können also zukünftig auch nicht zusätzlich nach Stuttgart fahren, wenn dieser Engpass dort nicht behoben wird.

    Ehring: Befürworter führen die Strecke nach Ulm als großen Vorteil an. Sind die Vorteile da gar nicht so groß?

    Lieb: Die Vorteile nach Ulm - man muss sehen: Auf dieser Strecke fahren seit der damaligen Planung 1994/95 heute weniger Züge als damals, obwohl anderswo der Verkehr zugenommen hat. Das zeigt also, dass hier kein Engpass ist, der notwendigerweise jetzt behoben werden muss. Man hat an anderer Stelle wichtigere Engpässe, die behoben werden sollten. In der Tat ist es so, dass die Geislinger Steige steil ist und die Züge nur langsam hochfahren können. Tatsächlich baut man jetzt mit der Neubaustrecke eine neue, noch steilere und noch länger steile Strecke. Man hat hier einen verlorenen Höhenverlust. Die alte Geislinger Steige war insofern günstig gebaut, dass nur die Höhe von 590 Metern überschritten werden muss. Heute steigt man zusätzlich 160 Meter in die Höhe und verliert das anschließend wieder. Also auch vom Energieverbrauch her ist das sehr ungünstig.

    Ehring: Herzlichen Dank! – Das war Matthias Lieb, der Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland in Baden-Württemberg.

    Lieb: Vielen Dank.