Meurer: Wie fatal ist es für Sie, dass der Rettungsversuch für Babcock gescheitert ist?
Schröder: Das ist immer fatal, weil es da um Schicksale von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht, verursacht in diesem Fall ganz offenkundig durch schwere Managementfehler. Und dann landet das dann sehr häufig bei der Politik. Wir helfen wo wir können, weil wir Verantwortung verspüren für die Lebensschicksale für die Beschäftigten - offenkundig anders als der eine oder andere in dem Management des Unternehmens, über das wir reden. Es ist aber nicht zu Ende. Die erste Runde, der Versuch also, die Insolvenz abzuwenden, die ist fehlgeschlagen, ist gescheitert am Widerstand einiger Banken - nicht aller, muss man sagen. Aber jetzt ist es ja so, dass die Insolvenzverfahren nicht zuletzt dem Ziel dienen, das zu erhalten in den Unternehmen, was zu erhalten ist. Und darauf werden jetzt alle Kräfte zu konzentrieren sein.
Meurer: Wie bewerten Sie denn das Verhalten der beiden Banken, denen das Risiko Babcock zu groß geworden war?
Schröder: Ja gut, ich kenne nicht die Einzelheiten, deswegen muss ich mich mit Bewertungen zurückhalten. Aber offenkundig ist es nicht gelungen, die Banken dazu zu bewegen, die Geschäftspolitik so einzurichten, dass ein Insolvenzverfahren vermieden werden kann. Ich sage noch einmal: Jetzt in der zweiten Runde geht es darum, im laufenden Verfahren - und das sieht das neue Insolvenzrecht, das wir geschaffen haben, ja ausdrücklich vor - in diesem laufenden Verfahren zu retten, was zu retten ist. Und nach dem, was ich weiß - ich habe mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten telefoniert -, gibt es durchaus Chancen, einen großen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Und darauf muss man jetzt alle Kräfte konzentrieren. Im übrigen glaube ich, dass es an der Zeit ist, dass die nach Aktienrecht zuständigen Gremien, vor allen Dingen also der Aufsichtsrat, auch über eine neue Führung für das Unternehmen nachdenken - eine Führung, die den Insolvenzverwalter angemessen unterstützen kann.
Meurer: Der Bund und die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hatten ja eine ziemlich hohe Staatsbürgschaft sozusagen schon bereitgehalten. Hat die Politik, also Sie selbst in diesem Fall und Wolfgang Clement in diesem Fall sozusagen darauf verzichtet, auf Biegen und Brechen - vielleicht wie im Fall Holzmann - den Konzern zu sanieren?
Schröder: Nein, es geht nicht um Biegen und Brechen, sondern wir brauchen ja Partner, wenn wir eine solche Sanierung machen wollen. Und die Partner standen, anders als in dem Beispiel, das Sie genannt haben, jetzt so nicht zur Verfügung. Also kommt es darauf an, im Insolvenzverfahren das zu erreichen was erreichbar ist, nämlich den größten Teil der Arbeitsplätze zu retten. Das erscheint möglich, wenn alle Beteiligten, also die Unternehmensleitung, der Aufsichtsrat und die beteiligten Banken sich genau diesem Ziel verpflichtet fühlen. Ich halte das für erreichbar, und deswegen soll man den Kampf nicht aufgeben. Das werden wir auch nicht tun. Es geht um fast 10.000 Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, speziell in Oberhausen, und es geht - Sie haben es gesagt - weltweit um 22.000, und es geht letztlich um einen Konzern, der ja, was die Auftragslage angeht, durchaus gut dasteht. Und diese Aufträge, diese Arbeitsmöglichkeiten müssen jetzt abgearbeitet werden.
Meurer: In Nordrhein-Westfalen könnten ja die Bundestagswahlen entschieden werden - Nordrhein-Westfalen als das bevölkerungsreichste Bundesland. Würden Sie einräumen, dass Babcock ein neuer Rückschlag für die SPD ist?
Schröder: Nein, ich glaube, die Menschen wissen schon zu unterscheiden, wer die Verantwortung für offenkundiges Fehlmanagement hat und wer nicht. Aber von uns wird erwartet, und dieser Erwartung werden wir auch gerecht, dass wir uns um die Arbeitsplätze kümmern. Das wird ja gelegentlich von der Opposition kritisiert, aber das muss dann die Opposition gegenüber den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verantworten.
Meurer: Von Düsseldorf nach Nürnberg, Herr Bundeskanzler. Da werden heute die neuesten Arbeitsmarktzahlen bekanntgegeben. Sie hatten ja schon selbst damit gerechnet, dass sie eher schlecht sein werden. Sie sind im Juni so schlecht, wie im Juni seit 1998 nicht mehr. Ist das ein schlechtes Zeugnis für die Arbeit der rot-grünen Bundesregierung?
Schröder: Nein, ich glaube, dass man weiß, dass die Aufschwungtendenzen, die es gibt, den Arbeitsmarkt noch nicht erreicht haben, dass wir zu verkraften haben einen der größten Wirtschaftseinbrüche im letzten Jahr, den es in den letzten 10 Jahren gegeben hat. Das ist nicht meine Auffassung, das ist die Auffassung der Vereinten Nationen, die in einem Bericht davon gesprochen haben. Und insofern musste man mit diesen Schwierigkeiten rechnen. Hinzu kommt, dass wir - anders als in früheren Jahren - nicht Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu Wahlkampfzwecken eingesetzt haben. Das hat die alte Regierung getan, wir haben das nicht getan. Es gibt eine Differenz, was die Junizahlen angeht bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: Im Juni 1998 waren das 400.000, jetzt sind es noch 182.000, weil wir nicht der Meinung waren, dass man mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Wahlkampf machen sollte.
Meurer: Dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland vielleicht auch hausgemachte Gründe hat - würden Sie dem zustimmen?
Schröder: Ich glaube nicht, dass man davon reden kann. Wir haben in 2000 ein gutes Jahr gehabt, einen Rieseneinbruch dann im Jahr 2001, und wir müssen jetzt sehen, dass wir über Wachstum einerseits und durch die Arbeitsmarktreformen, die eingeleitet sind und die weitergeführt werden - das ist ja mit dem Stichwort 'Hartz-Kommission' verbunden -, dass wir dadurch auch auf dem Arbeitsmarkt Entlastung bekommen. Und ich gehe davon aus, dass das auch gelingen kann.
Meurer: Wäre es besser gewesen, auf dem Arbeitsmarkt früher Reformen anzuschieben, als jetzt sozusagen 'auf dem letzten Drücker' vor den Wahlen?
Schröder: Wir haben das ja getan. Mit dem Job-Aktiv-Gesetz ist eine Vorlage gemacht, auf die das, was die Arbeit der Hartz-Kommission angeht, aufbaut...
Meurer: ...aber das hat offenkundig nicht gereicht...
Schröder: ...das hat offenkundig nicht gereicht, das ist klar. Und deswegen werden wir das, was organisatorisch geschehen muss - das ist ja in der Umsetzungsphase nach den aufgetretenen Fehlentwicklungen zu Anfang des Jahres, und wir werden konsequent den Kurs der Reformen auf dem Arbeitsmarkt sozial, sensibel und sozial verantwortbar - aber auch deutlich weitergehen. Wir werden also noch unmittelbar nach Vorlage des Hartz-Konzeptes mit seiner Umsetzung beginnen, soweit das ohne Gesetzgebung möglich ist, denn Gesetzgebungsschritte sind in dem letzten Monat dann nicht mehr möglich.
Meurer: Aus Ostdeutschland wird eine Rekordarbeitslosigkeit gemeldet. Was haben Sie dem Osten noch zu bieten, was können Sie dem Osten überhaupt anbieten, dass es in Zukunft besser werden soll?
Schröder: Ich denke, es ist ein differenziertes Bild, das man dort zeichnen muss. Auf der einen Seite gibt es Wachstum in der gewerblichen Wirtschaft, und auf der anderen Seite haben wir immer noch riesige Schwierigkeiten in der Bauwirtschaft. Und das ist ein Bereich, der im Osten besonders stark ist. Und deswegen setzen wir sehr stark auf gewerbliches Wachstum, und wir unterstützen das durch Entwicklung und Forschungspolitik. Das ist die Strategie, die wir für richtig halten.
Meurer: Was sagen Sie denn zu der Kritik, die aus Ostdeutschland kommt, dass die Vorschläge der Hartz-Kommission, also der Kommission unter Leitung des VW-Personalvorstands, den Osten überhaupt nicht in den Blick nehme?
Schröder: Das wird so nicht sein. Wir haben uns vereinbart, dass es auch speziell, was den Osten angeht, maßgeschneiderte Vorschläge geben wird. All denen, die jetzt Kritik üben, denen würde ich wirklich raten, das Ergebnis, das ja Mitte August vorliegen soll, einmal abzuwarten. Dann wird man sehen, dass dieser Vorwurf sicherlich falsch ist.
Meurer: Herr Schröder, schneiden wir noch ein außenpolitisches Thema an. Das wichtigste Thema in diesen Tagen ist wohl der Streit mit den Vereinigten Staaten um den Internationalen Gerichtshof. Gestern wurde der Verdacht laut, Großbritannien würde die Pro-Gerichtsfhof-Valenz der Europäer verlassen. Unterläuft London ein gemeinsames Vorgehen der Europäer?
Schröder: Ich habe darüber keine Informationen, ich gehe auch nicht davon aus, dass das so sein wird. Ich gehe immer noch davon aus, dass es im Weltsicherheitsrat zu einem vernünftigen Kompromiss kommt, der die Probleme löst. Und im übrigen gehöre ich zu denjenigen, die immer wieder darauf hinweisen, dass unter Freunden - und Deutschland und Amerika, und Europa und Amerika sind Freunde - es gelegentlich auch Meinungsverschiedenheiten gibt. Die muss man sachlich lösen, aber man darf sie auch nicht dramatisieren.
Meurer: Geht diese Meinungsverschiedenheit diesmal nicht ans Grundsätzliche? Immerhin geht es um die Existenz, um die Funktion des Internationalen Strafgerichtshofs, der gegen Menschenrechtsverbrechen und Kriegsverbrechen vorgehen soll.
Schröder: Es ist sicher eine Meinungsverschiedenheit über ein wichtiges Thema, und ich denke, dass im Weltsicherheitsrat insbesondere es die Verantwortung der Ständigen Mitglieder ist, aber auch der anderen, dafür zu sorgen, dass es einen vernünftigen Kompromiss gibt. Man arbeitet daran, und jede Form der Dramatisierung halte ich für falsch.
Meurer: Wie kritisch sehen Sie das Verhalten der USA in dieser Frage?
Schröder: Wir haben eine andere Position. Ich habe es deutlich gemacht, aber ich denke, dass unter Freunden auch unterschiedliche Positionen möglich sein müssen, und dass gerade unter Freunden die Verpflichtung besteht, aufeinander zuzugehen und den Versuch zu machen, eine solche Meinungsverschiedenheit auch so zu lösen, dass solide Arbeit - auch gerade in internationalen Fragen - weiter möglich ist.
Meurer: Dann vielleicht umgekehrt: Haben Sie ein gewisses Verständnis, wie mancher anderer...
Schröder: ...es ist nicht meine Aufgabe, jetzt über Dinge zu reden, die noch im Fluss sind. Meine Aufgabe ist, dazu beizutragen, dass es zu einem vernünftigen Kompromiss kommt. Und davon gehe ich aus.
Meurer: Das war Bundeskanzler Gerhard Schröder bei uns heute morgen im Deutschlandfunk. Herr Schröder, besten Dank. Ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Urlaub und auf Wiederhören.
Schröder: Auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio