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Insolvenzen im Fußball
Häufiger pleite in den unteren Ligen

110 deutsche Fußballvereine aus den obersten fünf Ligen haben in den vergangenen 21 Jahren einen Insolvenzantrag gestellt. Besonders viele Insolvenzen gab es ab der dritten Liga abwärts. Eine Untersuchung von Sportökonomen sagt: Struktur- und Regeländerungen sind die Ursache.

Von Heinz Peter Kreuzer | 08.04.2018
    Der Regionalligist KSV Hessen Kassel hat 2017 Insolvenz angemeldet - und ist seit Anfang 2018 wieder schuldenfrei.
    Der Regionalligist KSV Hessen Kassel hat 2017 Insolvenz angemeldet - und ist seit Anfang 2018 wieder schuldenfrei. (dpa / picture alliance / Christian Hedler)
    Die erste und zweite Bundesliga scheinen ein rettendes Ufer für Vereine zu sein. Die beiden Top-Ligen blieben trotz hoch verschuldeter Klubs weitgehend von Insolvenzen verschont. Nur Waldhof Mannheim und der SSV Ulm haben in den vergangenen 21 Jahren den Gang zum Insolvenzrichter antreten müssen.
    "Einmal aufgestiegen in die zweite Liga bin ich unter dem Schutz der DFL. Es gibt da auch Rettungsschirme, die also kurzfristige Kapitalnotstände regulieren können. Arminia Bielefeld hat einmal dieses Darlehen in Anspruch genommen, diesen Rettungsschirm der DFL", sagt Daniel Weimar. Der Sportökonom von der Universität Duisburg-Essen hat gemeinsam mit Stefan Szymanski von der Universität Michigan Insolvenzen im Fußball untersucht.
    Der Sicherungsfonds der Deutschen Fußball-Liga ist mit zehn Millionen Euro gedeckt. Er soll finanzschwachen Klubs helfen, kurzfristig Liquiditätsengpässe zu überbrücken, damit im Interesse aller Vereine der Spielbetrieb nicht gefährdet wird. Bielefeld hat im April 2011 als erster Profiverein diesen Sicherungsfond in Anspruch genommen. Die Ostwestfalen erhielten ein Darlehen von 1,25 Millionen Euro, um die drohende Insolvenz abzuwenden.
    Funktionierendes Lizenzierungsverfahren der DFL
    Neben dem Rettungsschirm sei eine Ursache für die geringe Insolvenz-Quote auch das funktionierende Lizenzierungsverfahren in der DFL. Diese Sicherheit lockt die unterklassigen Klubs genauso wie die deutlich höheren Einnahmen aus Fernsehgeldern und Sponsoring, erklärt Daniel Weimar: "Also versuchen alle Vereine in einem Rattenrennen von der dritten, vierten, fünften Liga in die zweite Bundesliga aufzusteigen. Nur bei Verfehlung dieser Ziele kollabiert das System in den dritten und vierten Ligen."
    Die Gründe für die häufigen Pleiten in den unteren Klassen sind vielfältig: Mitverantwortlich, so Ökonom Weimar, seien unter anderem neue Strukturen im Ligensystem. Als Beispiel nennt er: "Die Einführung der dritten Liga - konnten wir in unseren Daten nachweisen - hat zu einer signifikant höheren Insolvenzwahrscheinlichkeit geführt. Nach drei Jahren haben wir deutlich mehr Insolvenzen gesehen."
    Denn die dritte Liga gilt als teure Profiliga unter dem Dach des DFB. Sie erhält keine Solidarzahlungen von oben, wie die zweite von der ersten Liga. Stattdessen müssen sogar noch Teile der geringen Erträge aus TV-Einnahmen an die Regionalligisten abgegeben werden. Dazu kommt: Bis 2015 bedeutete die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Zwangsabstieg für den betroffenen Verein. Doch seither kommt es bei einer Insolvenz lediglich zu einem Abzug von neun Punkten.
    Bei ihren Untersuchungen sind die Ökonomen zu der Erkenntnis gekommen, dass einige Vereine dies jetzt zu ihren Gunsten nutzen, so Weimar. "Denn neun Punkte sind nicht so bedeutsam wie der Komplettabstieg. Also strategisch könnten sich Fußballunternehmen und Vereine überlegen, wenn man die neun Punkte verkraften kann zum Ende der Saison, könnte man für die Sanierung die Insolvenz erklären und hätte dann keinen sportlichen Schaden davon."
    Sanierung durch Insolvenz?
    Sanierung durch Insolvenz? Sechs Klubs haben 2017 Insolvenz angemeldet. Davon sind drei - der FSV Frankfurt, VfR Aalen und Hessen Kassel - schon wieder schuldenfrei. Das Insolvenzplanverfahren mache das möglich, erklärt Friedbert Striewe, Fachanwalt für Insolvenrecht, im MDR-Fernsehen. Es sei wichtig, "dass Vermögensgegenstände eben nicht versilbert werden, dass sie dem Unternehmen weiter zur Verfügung stehen, dass Geldgeber auf ihre Ansprüche verzichten - häufig gibt es da einen großen Kapitalschnitt oder Darlehensschnitt, dass vielleicht nur noch zehn oder 15 Prozent der Forderungen ausgezahlt werden."
    Beim Beispiel Kassel spielten die Gläubiger mit. Und die Unterstützung im Umfeld war ebenfalls enorm. Mehrere hunderttausend Euro kamen bei einer Crowdfundingaktion der Fans, einem "Rettungsspiel" gegen den VfL Wolfsburg und einem Benefizkonzert zusammen. Und auch die Unternehmen der Region zogen mit, sagt Kassels Vorstand Jens Rose: "Viele von den Sponsoren, die früher auch Sponsoring betrieben haben, haben teilweise erhöht. Wir haben keinen Hauptsponsor mehr, ich denke mal, unser Hauptsponsor sind die Menschen dieser Region und die Fans des Vereines, die in der Summe doch sehr viel zusammenbringen."
    Das Engagement von Fans, Sponsoren und Kommunen wie in Kassel ist im Fußball weit verbreitet. Auch der FC Gütersloh stand vergangenes Jahr vor der Auflösung. Aber dank einer Rettungsinitiative konnte der Antrag noch zurückgenommen werden. Kein Einzelfall. Auch die Insolvenz bedeutet nicht das endgültige Aus. Zwar sind 32 Klubs erst einmal von der Bildfläche verschwunden, aber 21 sind - wenn auch unter anderem Namen - wieder gekommen.