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Inspirator für Joseph Beuys

Noch bis Ende Januar feiert das Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg sein 100-jähriges Bestehen. Wilhelm Lehmbruck kam vor 125 Jahren am 4. Januar 1881 als Sohn eines armen Bergarbeiters in Duisburg-Meiderich zur Welt. Für Joseph Beuys wurde er zum Inspirator.

Von Sigrid Nebelung | 04.01.2006
    "Ich möchte meinem Lehrer Wilhelm Lehmbruck danken."

    Das sagte kein Geringerer als Joseph Beuys in seiner Dankesrede zur Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises 1986 in Duisburg.

    "Ich sah eine Skulptur von Lehmbruck und unmittelbar ging mir die Idee auf: Skulptur – mit der Skulptur ist etwas zu machen. Alles ist Skulptur."

    Elf Tage nach seiner Rede starb Beuys – zurück blieb seine mythisch inspirierte Rückbesinnung auf Lehmbruck. Seit Beuys nimmt die Nachwelt diesen Künstler anders wahr.

    Wilhelm Lehmbruck kam als Sohn eines armen Bergarbeiters zur Welt, 1881 in Duisburg-Meiderich, im selben Jahr wie Picasso. Doch im Vergleich mit dem Jahrhundert-Genie hat Lehmbrucks früher Tod eine eigenartige Distanz bewirkt.

    Er besuchte nur die Volksschule, muss aber früh durch sein zeichnerisches Talent aufgefallen sein, denn sein Lehrer erreichte es, dass der Junge mit Hilfe eines Stipendiums die Düsseldorfer Kunstgewerbeschule und später die Kunstakademie besuchen konnte.

    Düsseldorf gilt zu jener Zeit als die konservativste Kunststadt Deutschlands. Umso bemerkenswerter ist Lehmbrucks Unzufriedenheit mit dem Akademismus. 1904 zieht ihn die große Rodin-Ausstellung in Düsseldorf in ihren Bann. Die wuchtigen Plastiken des Franzosen beeindrucken ihn zutiefst. Wie zu Rodin kommen?

    Vorläufig verdient er seinen Lebensunterhalt mit Grabmälern und Büsten für reiche Industrielle. Im Sammler Carl Nolden findet er früh einen Gönner, der erste Reisen ermöglicht, nach Italien und 1907 endlich nach Paris, wohin ihn immer wieder Ausstellungsbeteiligungen ziehen. 1910 übersiedelt er mit seiner Familie ganz nach Paris.

    Mit einem scharfen Schnitt fällt seine Vergangenheit, fällt alles Provinzielle von ihm ab. Er, der "schweigsame Westfale", nimmt teil am Künstlerleben des Montparnasse, geht aus und ein im "Café du Dôme".

    1973 berichtete Lehmbrucks jüngster Sohn Guido:

    "Aus den Erzählungen meiner Mutter weiß ich, dass im Jahre 1910/11, wie mein Vater in Paris war, er Maillol und dessen Werk kaum kannte. Er war damals mit Modigliani befreundet, er war mit Archipenko eng befreundet."

    Und Rodin?

    "Sein Weg in Paris begann bei Rodin. Rodin nahm ihn aber damals nicht als Schüler an. Und so hat er sich auch sehr schnell wieder von Rodin gelöst."

    Lehmbrucks Frau Anita, eine Düsseldorfer Kaufmannstochter, die ihm drei Söhne schenkte, übernahm den geschäftlichen Part im Künstlerhaushalt und stand ihm Modell.

    Die "Stehende weibliche Figur" ist Lehmbrucks erste überlebensgroße Vollplastik, die in Paris entstand – in ihrer vollendeten Ruhe und Statuarik sein erstes Meisterwerk. Die "Große Kniende" im Jahr darauf markiert den Wendepunkt: Einen Giacometti vorausnehmend, reduziert er das Volumen seiner Figuren nun bis zu einem Punkt, an dem alles Seelische bloßgelegt ist und der Kern einer Existenz sichtbar wird. Zeitgenössische Betrachter empfanden die Hinwendung vom Runden, Weichen zum Gedehnten, Eckigen in Lehmbrucks Formensprache als "gotisierend".

    Lehmbruck stellte "Die Kniende" im Herbstsalon 1911 im Grand Palais aus. Sie erregte Aufsehen und war bald in allen großen Ausstellungen zu sehen. Als einziger Deutscher war er mit ihr 1913 auf der berühmten "Armory Show" in New York vertreten.

    Das Ende ist bekannt. Im Dritten Reich wurde "Die Kniende" von den Nazi-Ideologen verfemt. Sohn Manfred, der Architekt, der später das Lehmbruck-Museum in Duisburg baute, in einem Interview:

    "Ich bin ja dann auch in der "Entarteten"-Kunstausstellung gewesen und das hat mich natürlich zutiefst erschüttert, wie da diese "Kniende", die ja, möchte ich sagen, irgendwie das Edelste und Reinste ist, was ich mir vorstellen konnte, nun in dieser Weise verstanden worden ist."

    Wilhelm Lehmbruck ist das alles erspart geblieben. Er hatte nach den Katastrophen des Ersten Weltkriegs, der ihn aus Paris vertrieb, den Freitod gewählt, hatte am 24. März 1919 in Berlin den Gashahn aufgedreht. Nicht nur das Nachkriegs-Chaos, auch eine unglückliche Liebe zu der jungen Schauspielerin Elisabeth Bergner und die unheilbare Krankheit Syphilis hatten ihn in tiefe Depressionen gestürzt. Nach der "Knienden" sind der "Emporsteigende Jüngling", "Der Gestürzte" und der "Sitzende Jüngling" Meisterwerke dieser Leidensphase.

    Beuys schloss seine Dankesrede an Lehmbruck nicht zufällig mit den Worten:

    "Ich möchte dem Werk von Wilhelm Lehmbruck seine Tragik nicht nehmen."