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Installation mit Speckkäfer

Junge Kunst altert schneller. Sie rostet, gammelt, verblasst, löst sich auf. Materialien wie Schokolade, Gummi oder PVC stellen Museums-Konservatoren vor schwierigste Aufgaben, man kann sogar von einer neuen Wissenschaftsdisziplin reden. Ein Besuch im Rathgen Forschungslabor in Berlin und im Baseler Tinguely-Museum.

Von Martina Keller |
    Ein Montagmorgen im Baseler Tinguely-Museum. Für die Öffentlichkeit sind die Ausstellungsräume geschlossen, für Restaurator Reinhard Bek ist es ein normaler Arbeitstag. In der Galerie im ersten Geschoss des Museums beginnt er seinen Rundgang.

    Installation mit Speckkäfer. Restauratoren retten vergängliche Kunst.
    Von Martina Keller


    "Hier sind einige wenige Werke des Frühwerks von Jean Tinguely ausgestellt, das sind die 1950er-Jahre, das sind alles noch Wandobjekte, ... wir können mal die Mes étoiles nehmen, das sind ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – sieben Wandreliefs, die schwarz bemalt nebeneinander an der Wand hängen und über ein Schaltpult bedient werden können."

    Jedes der sieben schwarzen Wandreliefs besitzt einen kleinen Motor. An jedem Motor wiederum sind Drahtgebilde befestigt, die wie Rührbesen aussehen. Bei Knopfdruck klopfen diese Rührbesen auf Dinge, die der Künstler in den 1950er-Jahren auf der Straße gefunden und in seine Reliefs montiert hat: ein Blech, eine Bettflasche, eine Blechdose.

    Tinguely, der Schweizer Bildhauer, hat Töne in die bildende Kunst gebracht. Concert pour sept peintures heißt sein Werk im Untertitel – Konzert für sieben Gemälde. Doch Maschinen sind nicht für die Ewigkeit, Bewegung bedeutet Verschleiß. Schon seit 1958 arbeiten die Motoren, klopfen die Rührbesen. Wie lange werden die Wandreliefs den Besuchern des Museums erhalten bleiben?

    "Die Motoren sind sehr stabil, aber das, was an den Motoren dreht, die kleinen Rührbesen, die den Draht bewegen, und der Draht haut dann gegen die Blechteekessel und Eimer, da ist eine große Abnutzung, deswegen müssen wir die Rührbesen doch immer austauschen, das geht leider nicht anders, sonst würden die Werke nicht funktionieren können, was in dem Fall nicht geht - sie müssen funktionieren, sonst könnten wir die Werke nicht rezipieren: Man muss sie ja hören und sehen können."

    Restaurator Bek hat die Aufgabe, Tinguelys Werke zu erhalten. Im seinem ersten Beruf war er Schiffsbauer – keine schlechte Grundlage für die Arbeit mit den bewegten Maschinen des Künstlers. Technisches Verständnis allein reicht aber nicht. Bek hat sich intensiv mit der Tribologie beschäftigt, der Wissenschaft vom Verschleiß. Sie hilft ihm, die Lebensdauer der einzelnen Skulpturen zu schätzen. Von den Prognosen hängt ab, wie oft und wie lang Besucher die Werke in Betrieb nehmen dürfen. Wenn beispielsweise die Wandreliefs ihr Konzert beendet haben, dauert es mehrere Minuten, bevor eine Computerschaltung sie für ein neues Konzert freigibt. Mindestens ebenso wichtig wie die Materialwissenschaft ist die historische Recherche.

    "Das ist die Frage über die Idee, die Intention des Künstlers zuallererst, dann ist es die Frage über den Besitzer, wer ist der Besitzer und in welchem Zusammenhang stehen die Werke zum Besitzer, ... es ist die Frage der Materialität im Verhältnis zur Funktion und was das Werk ausdrückt. Wir haben ja ein Werk, das besteht aus Dingen, aber die Dinge tun was, weil wir haben einen Motor daran, oder eine Sirene oder ein Licht, das tut ja etwas, und damit hat das Werk einen Ausdruck, der jenseits des Materiellen ist, und diesen Ausdruck muss man zuallererst mit der historischen Recherche begreifen und beschreiben, ... es hat keinen Sinn zu sagen, hier haben wir es mit einem Holzbrett und einem Wasserkessel aus den 1950er-Jahren zu tun und mit einem Motor – das wäre viel zu kurz gegriffen."

    Umfassend sollen Tinguelys Werke dokumentiert werden. Keine einfache Aufgabe, wenn eine Konstruktion im Extremfall so hoch ist wie ein halbes Haus, aus lauter Industriemüll besteht und ein Bauplan, wenn überhaupt, nur im Kopf des verstorbenen Künstlers existierte. Über eine Aluminiumtreppe hat Bek eine begehbare Skulptur erklommen, 7 Meter hoch, 7 Meter breit, 17 Meter lang: die Große Méta-Maxi-Maxi Utopia. Tinguely hat hier riesige Holzräder verbaut, einen Theatervorhang, ein Karussellpferd, die rote Reinigungsbürste einer Autowaschanlage. Von einem Steg blickt Bek nach unten.

    "Drei Meter unter uns befindet sich ein Wasserbecken, ein pinkes Wasserbecken, ... aus ganz dünnem Kunststoff, und in diesem Wasserbecken steht eigentlich - im Moment nicht - eine kleine Puppe, eine 30 Zentimeter hohe Keramikpuppe, sie hält zwei Tauben in der Hand und diese Tauben spritzen Wasser in das Kunststoffbecken hinein, und hier haben wir einige Probleme:

    Zum einen das Kunststoffbecken, weil es sehr dünner Kunststoff ist, ist über die Jahre brüchig geworden und hat Risse bekommen, wurde dann von Tinguely und seinen Assistenten notdürftig repariert, von hinten mit glasfaserverstärktem Kunststoff und Silikon, aber es wurde nie richtig dicht, und da das mit Wasser gefüllt ist, müssen wir hier im Museum sehr darauf schauen, dass es wirklich dicht ist, und deshalb haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir das Originalwasserbecken, aus dünnem Kunststoff in Aluminium nachgießen lassen und in genau der gleichen Farbe spritzen lassen. Ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen, man sieht keinen Unterschied.

    Die Puppe mit den zwei Tauben ist ... mit einer pinken Farbe übergossen, sie ist heute nicht darin, weil sie hat plötzlich begonnen Blasen zu schlagen. Wir sind noch nicht weiter im Behandlungskonzept. Weil die Farbe muss wieder gefestigt werden, aber dann bleibt die Frage: Wie schützen wir sie vor dem Wasser? Da muss wahrscheinlich ein Schutzüberzug auf die Farbe drauf gebracht werden, und das ist ein größeres Unterfangen."

    Wenn Bek nicht weiter weiß, tauscht er sich mit Kollegen aus. Es gibt vergleichsweise wenige Experten, die sich weltweit mit der Wissenschaft von der Restaurierung moderner Kunst beschäftigen. Man kennt sich und trifft sich, auf internationalen Konferenzen. Ein Dauerthema dort sind die Kunststoffe und Farben aus den Fabriken der chemischen Industrie. Sie sorgen oft für Überraschungen, meist für unangenehme. Im Depot des Hamburger Bahnhofs – dem Museum der Gegenwart in Berlin - gammelten knallrote Plastikpropfen in einem alten Marmeladenglas vor sich hin.

    "Wir haben dieses schöne Projekt mit den Elastomerteilen, diese Installation von Bogumir Ecker, wo die roten, uns allen vertrauten Gummiteile nicht mehr fest sind, sondern langsam flüssig werden und ihre Form verlieren. Was da besonders erschreckend ist, dass es so schnell abläuft. Wenn ein Verwitterungsprozess über Jahrhunderte läuft, ist es was anderes, als wenn er über Jahre oder sogar Monate abläuft, da ist es für unser Labor sehr spannend gewesen, mit dieser forensischen Arbeit rauszufinden, was könnte die Ursache sein, dass diese Objekte sich so schnell und so irreversibel verändern."

    Stefan Simon leitet das Rathgen Forschungslabor in Berlin, gegründet vor 123 Jahren und damit das älteste Museumslabor der Welt. Anfragen aus Deutschland und aller Welt gehen hier ein. Das kleine Team um Simon erstellt rund 150 Gutachten im Jahr. Sein Rat war zum Beispiel gefragt, als Anselm Kiefers Installation Volkszählung vom Speckkäfer befallen wurde. Das Insekt hatte sich über die 60 Millionen Erbsen hergemacht, die in der Installation verbacken sind. Mit Stickstoff begasen, lautete die Empfehlung der Experten. Damit sich der Käfer nicht noch auf neue Beute stürzt.

    Auch um die roten Gummipfropfen im Marmeladenglas haben sich Simons Leute gekümmert. Sie wurden inzwischen ausgetauscht.

    "Da konnte man nichts mehr machen, da geht es eher darum, erstmal zu klären, ob das etwas ist, was allen Objekten bevorsteht, oder ob es nur spezifische einzelne Objekte waren, die den Sonderweg der Verwitterung so schnell gegangen sind. Das ist die erste Frage, und die zweite Frage ist: Kann man etwas im Umfeld der Objekte verändern, um die Haltbarkeit zu erhöhen, brauchen die Objekte mehr oder weniger Licht, brauchen sie höhere oder niedrigere Temperaturen, brauchen sie mehr oder weniger Feuchte? Und in dem Fall war das Ergebnis im Labor ganz klar, dass drauf geachtet werden muss, dass die Feuchte nicht zu hoch wird. Höhere Feuchten führen sehr schnell zu einem exponentiell ansteigenden Verfall dieser Elastomere, also es darf nicht zu feucht sein."

    Das Rathgen-Forschungslabor besitzt einen hochgerüsteten Gerätepark, für Untersuchungsverfahren wie Röntgenfluoreszenzanalytik oder Atomabsorptionsspektroskopie. Die Wissenschaftler sind Detektive und Zukunftsforscher zugleich.

    "In vielen Fällen weiß man ja auch heute noch nicht mal, was auf uns zukommt in den nächsten 10, 20, 30 Jahren. In vielen Fällen, die wir für die Museen bearbeiten, stehen wir immer vor ganz neuen Herausforderungen, wo man erst mal anfangen muss: Woraus bestehen die Objekte, das ist die Grundfrage. Dann ist das nicht mehr so einfach, das ist nicht nur Marmor und Bronze, das ist eine Vielzahl von Polymeren, die in Frage kommen, dann ist die Frage, was sind das für Polymere, wie sind die hergestellt worden, sind da Additive drin, und natürlich sind die meisten dieser Materialien nicht dafür hergestellt worden, lange zu halten."

    Simon ist ein gefragter Mann. Im seinem Büro türmen sich Berge von Papier, auf dem Schreibtisch steht ein großer Wasserspender, davor eine Gartenliege. In den letzten Tagen hat der Chef hier übernachtet, ein Bericht musste fertig werden. Morgen fliegt er nach Mailand. Fast hat man ein schlechtes Gewissen, dass er sich Zeit für eine Führung nimmt.

    "Das ist praktisch unser Mikroskopie-Labor, hier kommen Proben rein, die werden angeschaut, natürlich schaut man sich die Objekte auch immer mit den eigenen Augen an, aber wir sind ja da begrenzt, wir können ja nur sehen, was wir mit den eigenen Augen sehen, elektromagnetische Strahlung zwischen 400 und 700 Nanometer, sagen die Wissenschaftler dann dazu, und hier im Labor wird das Fenster, das uns zugänglich ist, noch mal radikal erweitert. Das ist eigentlich so das Herz des Labors, weil hier die meisten Informationen generiert werden, die letztendlich in unsere Arbeit einfließen."

    "Haben Sie im Moment ein Spektrum drin, Frau Pausewein? Auf dem Diamanten, dass man mal sieht, wie klein die Proben sind?"

    Ungewöhnliche Materialien sind hier im Labor nichts Ungewöhnliches, und die Grenzen zwischen moderner Kunst und Kulturgut fließend.

    "Die Weihnachtsmänner wollen sie sehen?"

    Ja!

    "Die Schokoladenweihnachtsmänner?"

    "Ja!"

    "Das ist so der richtige Aha-Effekt, wenn man den, wo hab ich ihn denn, wiedersieht, weil ich kenn den auch aus meiner Jugend, das ist ein alter, aus den 70er-Jahren vielleicht, und wenn man den mal wiedersieht, sagt man, den kenn ich doch (lacht) Sarotti ist das wohl gewesen, mit so nem Papierhütchen und einem kleinen Weihnachtsbaum, auch aus Papier, und mit dem Lächeln, das ist doch sehr typisch gewesen, ich hab so richtig den als alten Freund erkannt, als ich den in der Sammlung wiederfand."

    Regine-Ricarda Pausewein ist Chemisch-technische Assistentin im Rathgenlabor. Eine ganze Kiste voller Schokoladenweihnachtsmänner hat sie geliefert bekommen, sie stammen aus dem Museum für Europäische Kulturen in Berlin, eine private Sammlerin hat sie gestiftet. Das Museum will wissen, ob die uralte Schokolade womöglich mit Gift gegen Käferfraß behandelt wurde – und wie man das beseitigen könnte.

    "Alle Proben sehen genau gleich aus, immer nur nach alter Schokolade."

    "Man sieht eben auch nicht, dass da mal was drauf gesprüht wurde, ich hab das mir sehr gut unterm Mikroskop angesehen und bin ziemlich sicher, dass man irgendwelche Flecken sehen müsste."

    "Die Sammlerin hat das vielleicht gemacht, wird vermutet, aber ... das einzige was für die Vermutung sprach, war dass eben jetzt kein Käferbefall mehr ist. Aber unser Käferspezialist ... sagt, naja, Käfer sind auch Feinschmecker, vielleicht gehen die gar nicht an alte Schokolade."

    "Da haben wir hinten noch unser richtiges Labor ..."

    "Bitte schön, hier ist es auch gleich ein bisschen lauter ..."

    Der letzte Raum hinten rechts ist das Chemielabor. Hier ist Simon in seinem Element.

    "Ich hab in den 80ern studiert. Da wurde Greenpeace in Deutschland gegründet, da gab es die Dünnsäureverklappung, da gab's das Waldsterben, und wer damals Chemie studiert hat, hat sich schon überlegt, ob er letztendlich Haarfestiger oder Schuhcreme entwickeln will - oder ob er irgendwas Richtiges machen will."

    Simon hat sich für was Richtiges entschieden. Er untersuchte, was saurer Regen mit Stein- und Bronzedenkmälern macht, dozierte später an der Technischen Universität München, arbeitete am Getty Conservation Institute in Los Angeles und wurde Gastprofessor an der X'ian Jiaotong Universität in China. In Berlin betreut er die Forschung junger Restaurierungswissenschaftler.

    "Hier sehen Sie ein lustiges Experiment an der Wand: Unter relativ kontrollierten Bedingungen wird ein bestimmtes Objekt bestrahlt, und was wir hoffen zu sehen ist, dass sich Veränderungen ergeben, also dass ... die Farbstoffe sich verändern. Die Bestrahlungsleistung ist sehr, sehr hoch, das ist ein Vielfaches der natürlichen Strahlung, so dass wir einen Prozess, der im Museum bei gedämmtem Licht über Jahrzehnte dauern würde, hier versuchen zu beschleunigen, weil wir uns das auch nicht leisten können, dass jeder Versuch Jahre dauert."

    Vergänglichkeit hat viele Facetten. Bei manchen Werken der modernen Kunst gehört sie bereits zum Konzept.

    "Das hier sind zwei sogenannte Multiples von Joseph Beuys, einmal die Rose für direkte Demokratie und das andere die Capri-Batterie."

    Ein Multiple ist ein Werk, das nicht nur einmal existiert, sondern mehrfach. Die Rose für direkte Demokratie gibt es in verschiedenen Sammlungen.

    "Die Rose für die direkte Demokratie ist ein Messkolben, wie man ihn in chemischen Laboren findet, der ist unten mit ein bisschen Wasser gefüllt und in diesem Messkolben steht eine rote Rose ... und der ist außen auch beschriftet mit so einem Lackstift, wo der Titel draufsteht, Rose für direkte Demokratie, unterzeichnet Joseph Beuys."

    Ulrich Lang ist Restaurator im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.

    "Wie man hier sieht, das ist ein bisschen peinlich für mich, die Rose ist schon wieder welk, die soll immer frisch sein, ... also Beuys hat sich mit dem Restaurator unterhalten, was die Aufgaben eines Restaurators sind - man hat natürlich die Vorstellung, dass die Restauratoren immer erst dann kommen, wenn ein Schaden das ist, aber es ist im Grunde bei uns anders rum, dass wir versuchen dafür zu sorgen, dass die Werke gar nicht erst kaputt gehen, im Fall der Rose, dass sie nicht welk wird. Und dann hat Beuys sich die Arbeit für die Restauratoren ausgedacht, weil er es eine wunderbare Vorstellung fand, dass jeden Montagmorgen ein Restaurator mit weißen Handschuhen eine rote Rose durch das Museum trägt, um es wieder im Glaskolben zu platzieren."

    Lang hat einen Vertrag mit einem Blumenladen abgeschlossen, der liefert jeden Montag eine frische Rose ins Museum. Das aktuelle Exemplar lässt den Kopf hängen, weil der letzte Vertrag zu spät verlängert wurde. Doch morgen wird eine frische Rose im Glaskolben stehen. Zu einem Frankfurter Obsthändler pflegt Lang ebenfalls gute Beziehungen.

    "Gleich daneben ist die Capri-Batterie, was wir sehen hier, so steht es auch in der Beschreibung: schwarze Glühbirnenfassung, gelbe Glühbirne und Zitrone. Tatsächlich, aus der Glühbirnenfassung geht kein Kabel weg, sondern da ist eine Fassung, die man direkt in den Stecker stecken kann, ... und statt den Stecker in eine Steckdose zu stecken, hat er sie in eine Zitrone gesteckt. Jetzt ist diese Zitrone auch schon nicht mehr ganz frisch, die ist nicht gelb, sondern geht ins Bräunliche, das ist aber in dem Fall richtig so, ich habe auch notiert, wann ich diesen Stecker in die Zitrone gesteckt habe, denn in dem Konzept von Beuys steht: Nach 1000 Stunden Batterie wechseln. Nun kann man sich das ausrechnen, 1000 Stunden sind drei Monate, und deswegen wird diese Zitrone erst nach drei Monaten gewechselt und soll für den Besucher sichtbar verschrumpeln."

    Ein klares Konzept, ein schönes, schlichtes Werk. Lang hat aber auch mit anderen Herausforderungen zu tun. Oben, in der dritten Ebene des Museums, steht eine Installation des italienischen Künstlers Mario Merz. Zwei Iglus, ineinander gebaut und jeweils von Stahlkonstruktionen gestützt. Das kleinere Iglu besteht aus Sandsteinplatten, wie sie auch das Museum außen verkleiden. Das größere hat Wände aus durchsichtigen Glasscheiben. Sie werden von Schraubzwingen gehalten, eine fragile und spannungsreiche Konstruktion. An den Ecken der Scheiben hat der Künstler noch Siegel aus Tonklumpen angebracht.

    Vor zehn Jahren sollten die Iglus für einige Zeit ins Museumsdepot. Mit ihren Maßen von mehreren Metern Höhe und Durchmesser passte die Installation nicht in den Aufzug. Sie musste komplett zerlegt werden. Aber möglichst so, dass sie irgendwann wieder genau gleich aufgebaut werden konnte.

    "Wir hatten einen Geodäten eingeladen – ein Geodät ist ein Landschaftsvermesser - weil egal wo er in welchem Gelände steht, er kann an jedem Ort jede Fläche oder jeden Raum vermessen und berechnen, und das haben wir uns zunutze gemacht - einen Geodäten eingeladen, der einen beliebigen Nullpunkt im Raum sich sucht und von dort aus wieder verschiedene Bezugsmesspunkte um das Iglo herum setzt. Das wird alles in Computer eingelesen und kann jeder Zeit wieder ausgelesen werden, und damit jede Glasscheibe einzeln vermessen werden konnte, hat jede Glasscheibe an jeder Bruchkante einen Messpunkt bekommen, oben links, oben rechts, unten links unten rechts. Und so hat jede Scheibe vier Punkte und jede Scheibe hat eine eigene Nummer bekommen, und es ist, wenn man sich das hinterher anschaut, eine Art Datenwolke, aus der man das Objekt rekonstruieren kann."

    Zehn Jahre lagerten die zerlegten Iglus im Depot. Nun kann man sie wieder in der Ausstellung bewundern.

    "Man kann an diesen Tonsiegeln sehr gut sehen, dass es uns gelungen ist, das Wiedereinmessen des Objekts sehr präzise wieder hinzubekommen. Die Messfehler, die bei so einem großen Objekt natürlich entstehen - wenn man auf der einen Seite anfängt, die großen Glasscheiben hinzustellen, wird das Stahlgestänge sich auch bewegen, und dann muss man das zurückdrücken - man kann hier sehen, dass das Tonsiegel um ungefähr zwei bis drei Millimeter von der Schraubschwinge absteht, ... und das ist der Messfehler, den wir beim Wiederaufbau hatten, und da war ich schon erstaunt, dass es uns so präzise gelungen ist bei diesem Werk."

    Der große Lastenaufzug ist so etwas wie die Schlagader des Frankfurter Museums. Hier muss alles durch, was mit Kunst oder Technik zu tun hat. Vier Tonnen kann der Aufzug tragen. Als er vor 20 Jahren gebaut wurde, gab es kaum einen größeren in Europa. Restaurator Lang fährt ins Untergeschoss, ins Depot. Hier wartet eine Arbeit von Jochen Flinzer darauf, mal wieder den Besuchern präsentiert zu werden.

    "Das hier ist so ein Paarvent, ... der ist mit einem grünen, ganz schlichten, aber auch schon gemusterten Stoff gespannt, und darauf hat er geklebt ganz banale, so aus Bahnhofsbuchhandlungen solche Rätselseiten, Kreuzworträtsel oder andere Rätselseiten. Und die einzelnen Seiten aus dem Heft rausgerissen, hier auf diesen Paravent geklebt, die hat er dann im Grunde ausgefüllt, aber nicht mit einem Kugelschreiber oder Beistift, wie man das üblicherweise macht, sondern mit einem roten Faden."

    Die Stickerei von Flinzer ist 24 Jahre alt. Kein Alter für ein Kunstwerk, dennoch ist es gefährdet: Das Zeitungspapier vergilbt schnell und reißt leicht, der Faden aus Nähseide bleicht aus.

    "Jede Alterung, die stattfindet, lässt sich im Grunde nicht mehr rückgängig zu machen, jedes Licht, das da drauffällt, jede Korrosion, jeder Zerfall, der in dem Papier stattfindet oder die Vergilbung oder Verblassung von Farben, die stattfindet, ist ein Prozess, den wir nicht mehr rückgängig machen können. Wir können den einfach stattfindenden Zerfall nicht wirklich aufhalten, wir können nur versuchen, ihn zu verlangsamen. Deshalb gibt es auch die Vorschriften, dass man, wenn man Grafik ausstellt, nicht mehr als 30 bis 50 Lux haben sollte, in der Ausstellung für Malerei sind es bis 300 Lux, für noch empfindlichere Dinge wie rote Seidenfäden oder Federn, da soll es sogar noch deutlich unter 30 Lux sein."

    Als Lang das Depot verlässt, löscht er das Licht. In einem dunklen Raum halten sich Kunstwerke eben am besten. Bloß dass sie dann niemand mehr sieht.

    Keller:

    "Haben Sie eigentlich schon mal was Schlimmes erlebt, dass Ihnen irgendwas richtig kaputt gegangen ist?"

    Lang:

    "Ja, schon , es war bisher zum Glück - toi toi toi - noch nichts, was zu dauerhaften Schäden geführt hätte, aber wir haben zum Beispiel die Arbeit von Gregor Schneider oben, wo in einem Raum, der nachgebaut ist ... von dem Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven, der ist hier als Installation in unserem Museum. Und es war dem Künstler, dem Gregor Schneider, ganz wichtig, dass der Raum nicht so aussieht, als wäre er nagelneu gemacht, sondern es wurden extra - die frisch geweißelte Wand wurde noch schmutzig gemacht, die Fugen von den Steinplatten wurden noch ein bisschen gefärbt, ... und dann kam die Scheibe zuallerletzt, eine riesige Schaufensterscheibe, und da hat er mir gesagt, ... diese Scheibe soll bitte so schmutzig, wie sie vom Glaser kommt, so soll sie bitte bleiben, so soll sie eingesetzt werden. Und es war, glaube ich, der Abend vor der Eröffnung, und es war große Aufregung im Haus, und endlich alles fertig, und diese Scheibe kam dann doch noch rechtzeitig, obwohl sie schon länger bestellt war, und dann war ich so froh, dass sie hier ankam ... und auch so schmutzig war, wie sie der Künstler haben wollte. Und dann sitzen wir hier abends um acht Uhr, und es kommt noch der Kollege von der Reinigungsfirma und sagt mir ganz stolz: 'Und ulli, ich hab es sogar noch geschafft diese Scheibe da sauber zu machen für die Eröffnung morgen'. Und in dem Moment bin ich wirklich rückwärts umgefallen, und ich konnte einfach nicht mehr, weil schon die Anspannung so groß war, und dann war diese Scheibe wirklich blitzblank geputzt. Wir haben dann eben sein altes Putzwasser genommen und haben noch ein bisschen Staub und Dreck dazugetan ... und haben selber die Scheibe wieder beschmutzt und haben sie quasi selbst wieder patiniert, ... und am nächsten Tage kam der Künstler und es kam der Direktor, und ich hab dann zwar erzählt mit einem Augenzwinkern, was uns am Vortag passiert ist, aber sie waren beide ganz begeistert von der Scheibe, dass sie genauso aussieht, als käme sie gerade frisch von der Straße. So etwas kommt fast ständig vor, und das ist nur ein vielleicht fast lächerliches Beispiel, für die Aufregung, die hier manchmal herrscht, aber das ist, wenn man es ernst nimmt, und das tun wir hier alle sehr, um welche Details es manchmal geht in der Gegenwartkunst."

    "Tja, der Titel des Werks ist Frigo Duchamp, und das ist tatsächlich Marcel Duchamps Kühlschrank oder einer von Marcel Duchamps Kühlschränken, aus einem Atelier in New York, den er Tinguely zur Verfügung gestellt hat - als Kühlschrank, nicht als Kunstwerk."

    Marcel Duchamp war ein französisch-amerikanischer Objektkünstler, der den Kunstbegriff radikal in Frage stellte. Gefundene oder gekaufte Gegenstände, etwa ein Männerpissoir, erklärte er zum Kunstwerk. Tinguely hat den geschenkten Kühlschrank umgebaut, als Hommage an Duchamp.

    "Tinguely hat dann das ganze Innere des Kühlschranks signalrot ausgesprüht und das Ganze mit einer Feuerwehrsirene versehen, die angeht, wenn man den Kühlschrank aufmacht. Restauratorisch haben wir hier Gott sei Dank kaum Schwierigkeiten: Er geht. Der Assistent von Tinguely hat die Klappe des Kühlschranks, den Griff, einmal restauriert, oder repariert, das ist wahrscheinlich der bessere Ausdruck , und seitdem läuft der Kühlschrank ganz gut, und ich bin sehr froh darüber, weil sonst hätten wir große Schwierigkeiten, vor allem mit der Sirene."

    Eines der Lieblingswerke von Bek ist die Méta-Harmonie II, eine imposante Skulptur von knapp vier Metern Höhe, sieben Metern Breite und 1,60 Metern Tiefe. Tinguely selbst hat das Werk eine Tonmischmaschine genannt. Und gemischte Töne sind wahrhaftig zu hören, wenn die Besucherin die Skulptur per Knopfdruck in Bewegung versetzt.

    "Da ist ein Klavier mit verbaut, zwei Harmoniums, mehrere Perkussionsinstrumente, nicht nur professionelle, sondern auch Schüssel und Teller, es sind Becken, kleine Xylofone, und all das gibt neben dem Maschinensound von den Motoren die große Kakofonie."

    Eine Donald-Duck-Figur aus Kunststoff, ein hölzerner Pinocchio und ein Holzschuh hämmern auf das Klavier. Sehr langsam hin- und herrollende Räder bedienen zwei elektrische Orgeln. Die Orgeln sind die einzigen Instrumente, die nicht durch Schläge erklingen. Aus Sicht des Restaurators eine echte Herausforderung: Klöppel sausen auf Klangkörper nieder, wenn sie durch Radkurbeln niedergedrückt und dann losgelassen werden. Doch jeder Kontakt zwischen Klöppel und Kurbel bedeutet Verschleiß. Bek hat an dieser Skulptur nicht weniger als 36 Kurbelräder gezählt. Um die Klöppel vor Abnutzung zu schützen, hatte schon Tinguely Bronzehülsen darüber geschlagen. Bek und seine Helfer führen diese Tradition fort. Eine Maßnahme im Sinne des Künstlers? Tinguely liebte Bewegung und hasste Stillstand. Er hat sogar einmal gesagt, es sei ihm recht, wenn seine Maschinen sich im Laufe der Jahre selbst zerstörten.

    "Das ist eine kokette Haltung eines Künstlers dem Publikum gegenüber Ich glaube, es gibt keinen Künstler, der nicht gerne sein Werk im Museum sieht und es nicht auch sehr gerne dort erhalten sehen möchte, insofern nehme ich das nicht ernst. Ich nehme sehr ernst, dass er die Lebendigkeit, das Leben, das Frohe, das pure Leben – das ist das Zentrum seiner Kunst und seines Fühlens gewesen, insofern nehme ich das ernst, aber nicht was seine Skulpturen angeht. Da gibt es viele gegenteilige Geschichten, dass er ins Museum kam und wollte, dass nichts mehr passiert und dass das Werk konserviert wird für die Zukunft."

    Installation mit Speckkäfer. Restauratoren retten vergängliche Kunst.
    Von Martina Keller.

    Produktion: Robert Steudtner, Redaktion: Christiane Knoll