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Institut für Sozialstrategie soll Menschen ins Gespräch bringen

Michael Köhler: In Zusammenarbeit mit der Universität in Jena, dem Bereich Ethik in den Wissenschaften, hat der Theologe, Philosoph, Ökonom und Unternehmer Ulrich Hemel in Laichingen ein Institut für Sozialstrategie gegründet. Laichingen, das liegt so zwischen Ulm und Stuttgart. Nun ist das so eine Bezeichnung, Institut für Sozialstrategie, das könnte auf ein angegliedertes Institut der Post, der Gewerkschaft oder einer Wohlfahrtseinrichtung sein. Drum habe ich Ulrich Hemel gefragt, um was geht es bei Sozialstrategie?

Ulrich Hemel im Gespräch mit Michael Köhler |
    Ulrich Hemel: Sozialstrategie bezieht sich im Wortsinn auf zwei Bereiche: Das eine, das Soziale, hier verstanden als das Ganze der Gesellschaft und das Ganze eines anderen, das Thema Strategie, das heißt, wie kommen wir mit unserer Gesellschaft weiter, wie können wir gut und vernünftig miteinander leben und auskommen trotz der verschiedenen Interessen und Konflikte, die in der Gesellschaft da sind, und wie schaffen wir es, in der zusammenwachsenden globalen Zivilgesellschaft, das eben auch zu organisieren. Die Aufgabe dieses Instituts für Sozialstrategie ist in meinen Augen, eben Beiträge zu leisten für die Gestaltung der globalen Zivilgesellschaft.

    Köhler: Nun ist das etwas, was nicht ganz neu ist. Wenn ich beispielsweise an die Liberalismus- oder Kapitalismuskritik der amerikanischen Kommunitaristen denke, so in der Nachfolge der Postmoderne der 80er-Jahre. Wenn ich dran denke, dass die Krise moderner Gesellschaften schon viele diagnostiziert haben, Entsolidarisierung, Werteverfall, Identitäts-, Sinnkrisen, Neuorientierung auf Gemeinwohl, was ist das Neue bei Ihnen? Oder anders gefragt, wie wollen Sie das durchsetzen?

    Hemel: Das eine ist, dass etwas nicht neu sein muss, um gut zu sein, das andere ist, dass es ja auch nicht darum geht, eine Diagnose zu stellen, sondern die Aufgabe des Instituts ist hier tatsächlich ein Brückenschlag zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Das bedeutet, dass das Institut sich eher hier als ein Impulsgeber für den gesellschaftlichen Dialog versteht. Und das wiederum ist von höchster Aktualität und auch von höchster Bedeutung. Denn was wir in unserer Gesellschaft erleben, ist ja gerade eine massive Erosion des Vertrauens zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Instanzen und Institutionen. Und es ist aus meiner Sicht ein Zeichen der Hoffnung und der Ermutigung, wenn ein solches Institut Menschen ins Gespräch bringt. Wir hatten gestern beispielsweise Leute aus ganz unterschiedlichen Bereichen beim Gründungsakt da, und genau das ist ja schon etwas Besonderes und auch etwas Typisches und Spezielles für dieses neue Institut für Sozialstrategie.

    Köhler: Das Wort, Professor Hemel, klingt auf mich ein bisschen befremdlich, das Wort sozial und Strategie, weil Strategie in der Umgangssprache was Planvolles meint, was Beabsichtigtes, was Längerfristiges, aber ursprünglich auch ein militärischer Begriff ist aus der Heerführung. Sie wollen aber nicht das Soziale herbeizwingen, oder?

    Hemel: Ohne Strategie wird der Erfolg eine Sache des Zufalls. Und Deutschland ist immer wieder auch in Situationen geraten, die das Zufällige nicht gerade zu so einem Vorteil haben werden lassen. Denken Sie an die massenhafte Einwanderung in den letzten 40 Jahren in Deutschland, aber wir haben kein Konzept, um wirklich gut miteinander zu leben. Ich mache Ihnen ein kleines Beispiel: Es ist für mich vollkommen unverständlich, dass jemand, der beispielsweise türkische Eltern hat und hier in Deutschland aufwächst, vielleicht auch eine gute Schulbildung hat, hinterher als Bildungsinländer betrachtet wird und mit einer Vielzahl von faktischen Diskriminierungen zu kämpfen hat. Dieses Problem ist vielen Menschen überhaupt nicht bewusst, es ist aber ein Problem. Und wir können das Problem relativ einfach lösen, indem wir die Vielfalt als Reichtum betrachten und indem wir es einfach zulassen, dass die Leute eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Ganz einfaches Beispiel.

    Köhler: Eins Ihrer Ziele besteht darin, die Gestaltung einer globalen Zivilgesellschaft zu befördern. Was heißt das, ich überspitze es mal, die Mullahs in Teheran abzuschaffen, zu vertreiben?

    Hemel: Da sprechen Sie von einem politischen Ziel, das man haben kann oder nicht haben kann. Wenn Sie dieses Thema Religion, was ja mit den Mullahs im Iran mitschwingt, nehmen, gibt es in der Tat ein sehr konkretes Ziel. Das Institut für Sozialstrategie setzt sich ein für die Einrichtung eines Rats der Religionen, weil das Zusammenleben von Religionen in einer demokratischen Gesellschaft sehr, sehr viele Herausforderungen mit sich bringt. Zu diesen Herausforderungen gehört eben auch, wie weit geht die Toleranz, wo hört die Toleranz auf, wo sind Mindestspielregeln, die man von jeder Religion erwarten muss in einem demokratischen Staat, wo sind aber auch Mindestspielregeln, die jede Religion erwarten darf im Sinne von Respekt für die eigenen Sitte und Gebräuche.

    Köhler: Ich sehe ein bisschen noch ein anderes Problem, Generationenproblem. Ungedeckte Wechsel auf die Zukunft haben ja schon viele angemahnt. Sie kennen noch die Gründung des 2003 ins Leben gerufenen Bürgerkonvents oder die arbeitgebernahe Initiative "Neue soziale Marktwirtschaft", die ähnlich kritisch aufgetreten sind. Wir haben diese Wiederaufbauverpflichtung der Kriegsgeneration nicht mehr, weil die Generation einfach weniger wird. Stattdessen erleben wir im gehobenen Management Korruption, Selbstbedienmentalität, Finanzskandale usw. Das führt dann zu Loyalitätsverlusten auch in Belegschaft und Gesellschaft. Wie kann man so was ändern?

    Hemel: Sie haben eben das Stichwort vom Wiederaufbau gewählt. Ich stimme Ihnen zu, der Wiederaufbau ist nicht das drängendste Problem. Was wir als Problem haben, ist die Integration in unsere Gesellschaft. Und diese Grundfrage nach einer positiven Gestaltung des Zusammenlebens, die steht für mich im Vordergrund. Und ich kann nicht erkennen, dass diese Grundfrage so nachhaltig und so intensiv bearbeitet würde, wie wir es in unserer heutigen Gesellschaft brauchen.

    Köhler: Da gibt es was zu tun. Ulrich Hemel über Sozialstrategie, Impulse und Brückenschläge für eine zivile Gesellschaft.