Dienstag, 19. März 2024

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Instrument des Nationalsozialismus
Wissenschaft für die Kriegsführung

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft wirkte im Nationalsozialismus mit: Es lieferte der Wehrmacht wichtige Informationen und entwickelte Konzepte zur Maximierung der Macht Deutschlands. Heute fragen sich Forschende, wie eine erneute Instrumentalisierung der Wissenschaft verhindert werden kann.

Von Ursula Storost | 27.02.2020
Parade der deutschen Besatzungstruppen in Oslo, 20. April 1941.
Das Institut für Weltwirtschaft stellte der Wehrmacht Informationen bereit, die diese für die Überfälle auf Dänemark und Norwegen brauchte (akg-images)
Die Decken des holzgetäfelten Treppenhauses im Kieler Institut für Weltwirtschaft sind hoch. Die Flure lang. Im ersten Stock die Präsidentengalerie, Bilder aller bisherigen Direktoren. Andreas Predöhl, der von 1934 bis 1945 das Institut leitete, ist neuerdings umgezogen, sagt die wissenschaftliche Geschäftsführerin Sonja Peterson:
"Also sozusagen von dem Zentrum um die Ecke gezogen, auf eine andere Wand umgezogen mit einem Kommentar dazu, einem allgemeinen Kommentar zu der Epoche und mit einem kurzen Kommentar, damit man das auch einordnen kann."
Ein nützliches Instrument der NS-Kriegsführung
Die Professorin für Umwelt- und Klimapolitik zeigt auf den Text unter dem Bild: Willfährig im Dienste der Kriegswirtschaft. Predöhl übernahm im März 1934 die Leitung und damit, so kann man es lesen, "wurde das Institut zu einem nützlichen Instrument für Wirtschaftspolitik und Kriegsführung des ‚Dritten Reichs‘."
Der Historiker Doktor Gunnar Take vom Institut für Zeitgeschichte in München hat jetzt die Geschichte des Kieler Weltwirtschaftsinstituts akribisch aufgearbeitet. Er fand heraus:
"Die Kontinuität über den Ersten und Zweiten Weltkriegs hinweg. Dass das IfW also, gegründet vor dem Ersten Weltkrieg sich massiv in die Kriegsforschung im Ersten Weltkrieg eingesetzt hat und da für die totalisierte Kriegswirtschaftsführung sich engagiert hat. Und insofern konnten sich die Institutsmitarbeiter im Zweiten Weltkrieg auf eine gewisse institutionelle Kontinuität berufen."
Noch in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2004, in der durchaus schon kritisch auf die NS-Zeit geblickt wurde, heißt es:
"Dass das Institut keine Handlungsoptionen hatte, sondern dass es unter Druck stand im Nationalsozialismus und dass sich der Direktor dem Regime angedient habe, um seine Mitarbeiter zu schützen."
Gauleiter Hinrich Lohse dankte persönlich
In Wahrheit war das Institut ein Bestandteil des nationalsozialistischen Systems, sagt Gunnar Take. 1933 wurden führende Forscher wegen ihrer jüdischen Herkunft zum Teil mit "brachialer Gewalt" aus dem Institut vertrieben. Das IfW wurde eine Stätte für Sozial- und Wirtschaftslehre des Nationalsozialismus in Deutschland. Viele hochrangige Personen der Reichs- und Wehrmachtsführung sprachen dem damaligen Leiter dafür ihren Dank aus. So wie Gauleiter Hinrich Lohse 1939. Er war später einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der lettischen Juden:
"Dass es Ihnen auch weiterhin gelingen möge, wie bisher, in Treue zur nationalsozialistischen Weltanschauung die Arbeit in Ihrem einzigartigen Institut zum Wohle des Ganzen zu leisten, und der Wissenschaft zu dienen, ist mein Wunsch. Heil Hitler!"
Zum Wohle des Ganzen entwickelte Andreas Predöhl das Konzept des völkischen Optimums:
"Nicht als wissenschaftliches Konzept, sondern als wissenschaftspolitischen Kompromiss. Das bedeutet also, dass einerseits die Institutstradition gewahrt wird, echte Wissenschaft zu betreiben, dem aber eine nationalsozialistische Zielperspektive überzustülpen. Das Ziel ist, die Macht Deutschlands zu maximieren. Diesen Zustand bezeichnet er als völkisches Optimum."
Je mehr eroberte Länder, desto größer das "völkische Optimum"
Das Institut, so Gunnar Take, forschte fortan für den deutschen Wirtschaftskrieg. Das bedeutete, je mehr Länder man erobern konnte, umso größer würde der Wirtschaftsraum und damit das völkische Optimum:
"Dass also wenn man ganz Kontinentaleuropa kontrolliert, den kontinentaleuropäischen Großraum endlich erobert, dann kann man in diesem Raum auch einen Freihandel zulassen, ohne dass Deutschland das verwundbar machen würde. Das ist also die Zielperspektive Großraum, die durchaus einen Freihandelsaspekt hat. Aber den Zweck hat die deutsche Macht, die ja militärisch erobert worden ist, wirtschaftlich abzusichern."
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts stellten Regierung und Wehrmacht die Informationen bereit, die gebraucht wurden, um die Angriffskriege durchzuführen:
"Das fing bereits im Herbst, Winter 1939/40 an, als die Wehrmacht Informationen brauchte, um den Überfall auf Dänemark und auf Norwegen durchführen zu können. Und da hat man auf das IfW zurückgreifen können, wo in der Bibliothek und im Archiv, im sogenannten Wissensspeicher, die Informationen schnell verfügbar und abrufbar waren und zusammengestellt werden konnten. Und der Wehrmacht in einer Vielzahl von Berichten zugeleitet wurden."
Arbeit auf vollen Touren für den Endsieg
Das Institut, so Gunnar Take lieferte während der mehr als fünf Jahren dauernden Kriegszeit Hunderte von Analysen, Datensammlungen und Gutachten. Und die IfW-Ökonomen waren hoch erfreut über deren Nützlichkeit für den NS Staat. So schrieb Andreas Predöhl elf Tage nach dem deutschen Angriff auf Polen an den von den Nazis abgesetzten Institutsgründer Bernhard Harms:
"Das Institut arbeitet auf vollen Touren an frischen, aktuellen Aufgaben und steht in enger fast herzlich telefonischer Verbindung mit der für das Institut im Augenblick vernünftigsten Stelle, dem Wehrwirtschaftsamt der Wehrmacht."
Die Institutsmitarbeiter machten diesem Amt auch konstruktive Vorschläge zur Neuplanung der eroberten polnischen Gebiete, "und das hatte insofern einen ganz starken Verbrechensaspekt als dass dieses Gebiet, was in Polen nach rein wirtschaftsrationalen Gesichtspunkten neu geplant werden sollte ja erst von den Menschen, die dort gelebt haben, geleert werden musste. Das heißt, diese Menschen mussten erst vertrieben und getötet werden, um dann das Land neu nach idealisierten wirtschaftsrationalen Gesichtspunkten aufzubauen."
Als Funktionsträger des nationalsozialistischen Regimes, so Gunnar Take, seien Andreas Predöhl und seine Kollegen nachweislich über alles, was in Deutschland und den besetzten Gebieten passierte, bestens informiert gewesen: über die Konzentrationslager, den Holocaust und "auch dem Aspekt des Holocaust durch die mobilen Einsatzgruppen, gerade in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs. Man hat zum Beispiel kooperiert mit dem Leiter einer Einsatzgruppe, also eines Todesschwadron in der SU, der die Ermordung von 90.000 Menschen organisiert hat. Das war ein ehemaliger Institutsmitarbeiter, der 1933/34 im Institut war."
Wissenschaftliche Technokraten ohne tiefere Fragen
Im Dezember 1945 wurde Andreas Predöhl auf Anweisung der britischen Militärbehörden entlassen. Ab 1947 arbeitete er aber wieder als Professor. Erst an der Kieler Universität, dann an der Universität in Münster. 1965 wurde er Gründungsdirektor des Deutschen Übersee-Instituts in Hamburg. Heute, so der Ex-Vizepräsident des IfW Professor Rolf Langhammer, stelle sich für das Institut die Frage, was Forscherinnen und Forscher tun müssten, um nicht wieder in so eine Situation zu geraten:
"Und da geht es vor allen Dingen um eine Frage: Können wir als Wissenschaftler Ziele, die man uns gibt, widerspruchsfrei akzeptieren? Sind wir nur die Technokraten, die Zielmitteloptimalität letztlich erforschen, also die bekommen die Ziele vorgesetzt, die hinterfragen wir nicht. Und dazu suchen wir dann die optimalen Mittel raus. Das hat das Institut damals getan."
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IfW hätten heute einen Ethikkodex, sie würden transparent arbeiten und alle ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Aber Wissenschaft sei generell nicht gefeit davor, zur Denkfabrik für Herrschende zu verkommen. Rolf Langhammer nennt als Beispiel:
"Dass man aus dem amerikanischen Handelsministerium fabrizierte Gutachten bekommt, die die Position des Präsidenten stützen, obwohl sie wissenschaftlich und auch ethisch gesehen nicht haltbar sind."