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Inszenierte Schnappschüsse

Gregory Crewdsons großformatige Bilder zeigen die US-amerikanische Realität, verfremdet durch gestellte Szenen und eine extrem künstliche Lichtregie. Seine Fotografie suggeriert dabei, dass es in dieser Realität nichts gibt, das man nicht schon zur Genüge kennt.

Von Carsten Probst |
    Diese Fotografie wirkt so amerikanisch, wie Fotografie aus den USA nur wirken kann. Nein, mehr noch als das, "hyper-amerikanisch" wäre wohl das richtige Wort, wenn es das gäbe. Bild für Bild steigert sich dieser Eindruck, so dass der Blick zunächst regelrecht aufprallt auf Klischees, die einem dazu einfallen wollen über "das heutige Amerika" oder "die amerikanische Fotografie".

    Damit ist man Gregory Crewdsons Bildern auch schon beinahe auf den Leim gegangen, denn Crewdson arbeitet mit Klischees wie derzeit kaum ein zweiter, er schichtet sie geradezu übereinander, trägt dick auf, so passioniert wie mancher Maler seine dicken Farbschichten auf die Leinwand. Crewdsons Bilder wirken eher wie hyperrealistische Gemälde, und ihr Format von 1,50 mal 2,20 Metern unterstreicht diese Absicht.

    Es sind aber eben "künstliche Gemälde", digitale Ausdrucke, und ihr oft gesuchter Panorama-Blick über die amerikanischen Durchschnittslandschaften der Gegenwart mit ihren Einfamilienhäusern ist nicht wirklich ein Blick, der sich für die naive Erkundung der Realität öffnet. Im Gegenteil suggeriert er sofort, dass es in dieser Realität nichts gibt, das man nicht schon zur Genüge weiß und kennt, und dabei ist sie derart trostlos und eintönig, dass man kaum länger hinsehen kann und will.

    Dass man es aber dennoch tut, liegt daran, dass Crewdson ihre Durchschnittlichkeit durch filmische Zitate, gestellte Szenen und eine extrem künstliche Lichtregie derart übersteigert, dass sich ein Verfremdungseffekt einstellt, der den Schauder vor dem Gewöhnlichen schnell in ein aufreizendes Ekelgefühl wendet. So betrachtet ergeht einem hier ganz ähnlich wie mit Gemälden von Edward Hopper - im Unterschied zu diesem jedoch lässt Crewdson nicht einmal den Hauch einer Emotion oder einer lyrischen Anwandlung zu.

    Die alles erstickende Gewalt des Künstlichen, die seine Bilder ausstrahlen, ist die eigentliche Botschaft Crewdsons, fast genüsslich führt er dem Betrachter auch noch die Mittel der liebevoll aufwendigen Verkünstlichung selbst vor, wenn er eine ganze Reihe von Bildern nur der Vorbereitung und Inszenierung der Szenen widmet, dem Schminken seiner Darsteller, den Lichtproben, den einzelnen Bildvarianten, so als wollte er sagen: Lasst alle Hoffnung fahren, Inszenierung ist die einzige Realität, alles sogenannte "Authentische" ist ausgelöscht.

    Als Beispiel "Tafel Nr. 65", ein sehr gemäldehaftes Großformat aus der Serie "Beneath the Roses" (Unterhalb der Rosen) über die Tristesse von vorstädtischen Liebesbeziehungen, entstanden zwischen 2003 und 2005. Nachtaufnahme, perfekt filmisch ausgeleuchtet in der Bildmitte eine junge Frau mit nackten Füßen auf einer Vorstadtstraße, im Hintergrund ein großer Baum und ein Einfamilienhaus mit Hollywoodschaukel.

    Die Frau hält ihre Schuhe in der Hand und steht in sich gekehrt da, als habe sie noch keine Zeit gehabt, daran zu denken, sie anzuziehen. Am linken Bildrand hinter ihr erkennt man die Rückfront eines Taxis mit offener Tür, im Fond ist die Deckenbeleuchtung angegangen und zeigt die Hinterköpfe des Taxifahrers und einen jungen Mannes, beide starren geradeaus und drehen sich nicht nach der offenbar eben ausgestiegenen Frau um. Nach dem Motto " Was davor geschah?" kann jeder leicht erraten, dass es sich hier um eine klassische Trennungsszene handelt.

    Aber es wäre ein grobes Missverständnis, wenn man Crewdson unterstellte, er wolle damit Gefühle beim Betrachter erregen, Mitleid oder bedächtiges Kopfnicken über die Krisen junger Leute. Die Künstlichkeit der Szenen bezieht alle Gefühle mit ein, die Beziehungswünsche, die hier vielleicht zerbrochen sind ebenso wie die Wiedererkennungseffekte und die Identifikation beim Betrachter.

    Der gewaltige Aufwand, den Crewdson mit seinen Inszenierungen treibt, gilt nur einem Ziel, dem akribischen Nachweis, dass es in einer Mediengesellschaft keine wahren Gefühle mehr geben kann, dass alles bereits vorgedacht und immer nur wieder zitiert und zwischen Filmbildern und Realität hin- und herkopiert wird, so dass die Grenzen sich auflösen. Realität existiert nur noch als Gedanke, als Wunschtraum, während längst alles, bewusst oder unbewusst, nach filmischen Vorbildern abläuft.

    Die Botschaft ist nun nicht eben neu. Crewdson selbst, der 1962 in Brooklyn/New York geboren wurde, bezieht sich selbst ja ausdrücklich auf seine berühmten Vorbilder wie William Eggleston oder Cindy Sherman, und man kann getrost auch noch aber Jeff Wall und Philip-Lorca Dicorcia als Pioniere der digitalen Realitätsverfremdung hinzunehmen. Künstlichkeit der Lebemswelt als Thema ist ohnehin spätestens seit Warhol etabliert.

    Crewdsons Fotografien provozieren jedoch nicht durch Schrillheit, sie wirken auf den ersten Blick viel diskreter mit ihren verführerisch schönen Hollywood-Filmfarben. Dabei jedoch sind sie mindestens so doppelbödig und ausweglos wie die Realität selbst.