1. Januar 1985. Die PKS, die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk, geht mit ihrem Programm Aktuell Presse Fernsehen (APF),dem späteren SAT.1., auf Sendung Nur einen Tag später ertönt erstmals die Erkennungsmusik des bis dahin reinen Hörfunksenders RTL auch auf den deutschen Fernsehschirmen.
Sowohl RTLplus wie SAT.1 waren Wunschkinder der damaligen christlich-liberalen Bundesregierung. Seit der Wende 1982 hatten die neuen Bonner Regierungsparteien die Übertragungswege Kabel und Satellit und damit das private Fernsehen in der Bundesrepublik protegiert – die FDP primär aus wirtschaftlichen, die CDU/CSU auch aus ideologischen Gründen.
Wir hatten damals eine sehr linke Szene auch gerade in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ich war Mitglied des Fernsehrates des Zweiten Deutschen Fernsehens und Vorsitzender des Ausschusses für Politik und Zeitgeschehen und habe also dort die Programme sehr genau beobachtet. Wir kriegten es noch einigermaßen hin, im ZDF eine Ausgewogenheit herzustellen. Aber in den vielen Programmen der ARD, von Report, Panorama, Monitor und wie sie alle hießen, war eine absolut linke Schlagseite.
Christian Schwarz-Schilling, in der Kohl-Regierung Bundesminister für Post und Telekommunikation und damals wie heute Befürworter des kommerziellen Fernsehens. Deshalb dauerte es nicht lange, bis dem späteren Kirch-Programm SAT.1 der spöttische Beiname "Regierungssender" oder "Kohl-Kanal" zuteil wurde.
Ich hab’ das nie für sehr ernsthaft gehalten, dass jetzt etwa die Privaten CDU-Sender würden. Wer das glaubte, der war naiv gewesen. Und das glaubten doch ´ne Menge bei der Union, die dann auch gar nicht zufrieden waren und sagten 'das hatten wir uns aber anders vorgestellt’. Ich war dieser Meinung nie.
Mit dem Einzug neuer, privater Programme in die deutsche Fernsehlandschaft vor nunmehr fast zwanzig Jahren stellte sich nicht nur Pluralität in der Presse ein, sondern es begann ein Angleichungsprozess zwischen beiden Ausprägungen des Dualen Systems.
Da gab es auch große Missstände, dass das Programm sehr oberflächlich war, bis dann auch bei den Privaten gute neue Sachen wie Frühstücksfernsehen, Nachrichtenprogramme, Informationsprogramme in großem Stile eingeführt worden sind, was man denen ja gar nicht zugetraut hatte. Das hat sich schon geändert, das möchte’ ich sagen, zumal die Öffentlich-Rechtlichen auch sehr stark Kurs dann auf Oberflächlichkeit genommen haben. Und dann ist der Unterschied ja gar nicht mehr sehr groß gewesen.
Der in der achtziger und neunziger Jahren ständig steigende Erfolg der Privaten und die damit verbundene ständige Ausweitung des Programms brachten auch ein mehr an Nachrichten mit sich. RTL startete das Nachtjournal, das ZDF zog mit heute nacht nach und die ARD mit dem Nachtmagazin, und schließlich im letzten Jahr wiederum SAT.1 für die Kommerziellen mit der Sendung die nacht. Auffallen kann in diesem Informations-Meer nur, wer mit zugespitzten Aussagen und skandalträchtigen Themen den Weg auf den Sender, auf den Bildschirm, auf die Titelseite schafft. Der Mainzer Medienwissenschaftler und Publizist Hans Mathias Kepplinger.
Medien, die einen Skandal sich sozusagen an die eigene Fahne hängen können, die sind in der Öffentlichkeit sehr sichtbar, weil man über sie selber spricht, über die Medien spricht. Und außerdem dient natürlich auch ein solcher Skandal der Imagebildung der Medien, der Prestigebildung der Medien innerhalb des Mediensystems. Bei Journalisten gelten die Medien sehr viel, die häufig und intensiv Skandale produzieren. Also, hier ist sozusagen eine Wirkung nach innen, auf die Konkurrenz, in der Kollegenbeobachtung, wie auch nach außen, auf das Publikum – Reichweite, Akzeptanz, Leserschaftsausweitung -; all das lässt sich mit Skandalen relativ erfolgversprechend machen.
Und das führt auch dazu, dass man dann eben nicht so genau hinguckt und man sagt 'wow, so 'ne tolle Story – wenn ich die bringe, dann bin ich der King bei meinem Chefredakteur oder bei meinem Verleger'. Und dann ist die Gefahr zu sagen 'also komm, ich müßte vielleicht noch diesen oder jenen anrufen, ich müßte das noch 'mal überprüfen, aber die Story ist einfach zu gut, als dass ich sie mir jetzt kaputtmache'.
Der Kommunikationswissenschafter Wolfgang Donsbacher aus Dresden. Das Prinzip ist einfach und verführerisch, aber gefährlich, und es heißt first and fast. Jeder will und soll der Erste sein, der Neuigkeiten, noch besser: vermeintliche Skandale in die Schlagzeilen bringt. Gelingt dies nicht, sollte man als Zweiter unter 'ferner liefen’ wenigstens die "Skandalspirale" ein Stück weiterdrehen.
Die Massivität des Vorwurfs schießt oft weit über das Ziel hinaus. Nehmen Sie mal die Kampfhunde. Zunächst war der Vorwurf: Hier gibt es diese gefährlichen Hunde und die Politik unternimmt nichts. Einige Politiker haben dann auch schnell reagiert, wurden dann auch von den Medien gefeiert wegen ihrer schnellen und massiven Reaktion – und dann kam die nächste Phase: Es stellte sich heraus, dass diese Maßnahmen nicht hinreichend bedacht waren. Und nun haben die gleichen Medien, die zunächst nach schnellen Maßnahmen gerufen haben, die gleichen Medien haben nun die Politiker geprügelt, die so schnell gehandelt haben, mit der Begründung, hier sei doch vollkommen falsch gehandelt worden. Das ist natürlich sehr problematisch und zeigt erneut, wie schwierig es doch ist, wenn sich Politik von den Medien die Vorgehensweise diktieren lässt.
Wo Kampfhunde als Angriffswerkzeug nicht reichen, bringt Bild auch noch ganz andere Kunststücke fertig, macht zum Beispiel aus einem Seil einen Schlagstock und aus einem Handschuh einen Bolzenschneider – so geschehen im Januar 2001, als das Blatt ein Foto einer Demonstration aus dem Jahre 1994 mit Jürgen Trittin veröffentlichte, es aber vor Drucklegung entsprechend bearbeitete, in dem es Bildausschnitt und -unterschrift so wählte, dass ein anderer Zusammenhang entstand. Bevor Bild sich entschuldigt, hatte der Bundesumweltminister damit gedroht, den Deutschen Presserat einzuschalten.
In diesem konkreten Fall hab' ich Probleme damit, das als handwerklichen Fehler im Sinne von Flüchtigkeitsfehler oder Versäumnis einzuordnen. Da drängt sich schon der Verdacht auf, dass es sich um eine ideologische Eintrübung gehandelt hat. Also, insofern eigentlich auch ein bisschen eine enttäuschende Erfahrung wieder. Im Springer-Verlag hat sich ja ein bemerkenswertes Revirement abgespielt im letzten Jahr. Da sind von verschiedenen größeren, zentral wichtigen Blättern Chefredaktionen ausgewechselt worden. Und es ist deshalb nicht so ganz von der Hand zu weisen, dass dieser "Fehler" damit etwas zu tun hatte. Man muss aber auch sagen: Es ist Murks. Es ist ganz schnell aufgedeckt worden. Es gab 'ne große öffentliche Diskussion. Also, die Medien verhandeln auch in einer kritischen Weise als früher und viel transparenter als früher über die eigenen Probleme.
Der frühere Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Siegfried Weischenberg. Politik braucht Zeit; die Medien jedoch verlangen nach schnellem Handeln und sind sich durchaus der Gefahr bewußt, damit falsches Handeln zu provozieren. Die PR-Strategen in den Parteizentralen drängen auf Medienpräsenz ihrer Leute, von der Partei weniger beachtete Politiker hoffen auf öffentliche Wahrnehmung und so heißt es: first, fast und möglichst unverwechselbar zu sein auch für die Politiker. Alexander von Sobeck, ZDF-Korrespondent in Israel, der auch Erfahrungen gesammelt hat als Geschäftsführer von Phoenix und Moderator des ZDF-Politmagazins berlin direkt.
Natürlich sind die Medien ein Korrektiv. Ich würde nicht unbedingt die Meinung teilen, dass sie die 4. Gewalt sind, aber sie kontrollieren. Sie haben natürlich die Aufgabe, darauf zu achten, wie wird Politik gemacht, wie wird Politik auch verkauft. Manchmal hat man ja schon den Eindruck, dass das Verkaufen von Politik häufig wichtiger ist als die Inhalte. Und ich bin wirklich felsenfest der Meinung, dass wir die Themen nicht schaffen.
von Sobeck also ist – wie gehört, "felsenfest" – der Überzeugung, bei der Kreierung von Themen nicht beteiligt zu sein. Medien also nicht als Erfinder, sondern nur als begleitender Berichterstatter?
Häufig sind es ja nicht die Inhalte der alten Geschichten, sondern häufig ist das, was in der Kritik steht, der heutige Umgang mit diesen alten Geschichten. Also: Wie steht ein Minister zu seiner Vergangenheit? Wie hält er es mit Gewalt, damals und heute? Wie hat er bestimmte Aussagen in einem Prozeß gemacht oder im Deutschen Bundestag, und decken die sich dann mit den Tatsachen? Darum geht es ja meistens. Es geht im Fall Fischer oder auch in dem Fall von Ulla Schmidt sicherlich nicht darum, jetzt 20, 25 Jahre alte Geschichten noch 'mal aufzuarbeiten, aber wenn tatsächlich Abweichungen der heutigen Einlassungen zu der damaligen Zeit da sind, dann ist es auch die Aufgabe von Journalisten, das zu vergleichen.
Minister sind ein besonders beliebtes Ziel von Angriffen der Medienbranche. Egal welcher politischen Couleur sie angehören. Der grüne Bundesaußenminister Joschka Fischer wurde im letzten Jahr angegriffen, als Fotos veröffentlicht wurden, die ihn als steinewerfenden 68er zeigten. Weder dieser Sachverhalt noch die Fotos noch seine Vergangenheit insgesamt indes waren neu. Die damals und heute relativ unbekannte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD fand sich im Jahr 2001 wegen privater Geschichten plötzlich auf den ersten Seiten der Presse wieder. Und auch die einstige bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm von der CSU verdankte ihre rasant angestiegene Popularität und damit auch ihren Sturz von erhöhter Fallhöhe den Medien. Das wußte sie auch am Tag ihres nicht ganz freiwilligen Rücktritts im Rahmen der BSE-Krise.
Viele haben von Ihnen darauf gewartet, viele haben auch gewettet darauf – und nun können Sie also entsprechend die Sektkorken knallenlassen, wie Sie das ja gerne haben.
Ob Barbara Stamms vermeintliche BSE-Pannen, Nazi-Vergleiche von Jürgen Trittin oder Plakataktionen von Laurenz Meyer – das waren dankbare Schlagzeilen des letzten Jahres. In den Wahlkampfzeiten des Jahres 2002 müssen neue Skandale herhalten; da kamen diesmal Michel Friedmann und Jürgen Möllemann genau zur rechten Zeit – solange bis sie wiederum abgelöst wurden von nächsten Themen.
Der stern hatte die Kontakte Rudolf Scharpings zu Moritz Hunziger aufgedeckt und damit die Affäre ins Rollen gebracht. Wolfgang Donsbacher.
Wir haben den Druck, der durch die eigene Meinung kommt, die eigenen missionarischen Absichten; und wir haben auf der anderen Seite den Druck der Organisationen, die Druck machen: 'Sie werden bezahlt, damit Sie Auflage machen, damit Sie Quote machen' beim Fernsehen. Und dann muss man eben immer wieder 'ne neue Sau durchs Dorf jagen, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen.
Hier unterscheiden sich die elektronischen also offenbar nicht von den Printmedien: Ob Zuschauerzahl oder Auflagenstärke – der Zuspruch der Konsumenten ist Erfolgsmesser für ein Thema. Zieht es nicht – oder nicht mehr -, ist es höchste Zeit, ein neues zu präsentieren.
Darauf hat die Politik mittlerweile reagiert, zuletzt Bundespräsident Johannes Rau, der vor einer – so wörtlich – "medialen Inszenierung" warnte. Die Politik werde immer mehr ein Teil der öffentlichen Unterhaltung; der Wert einer Information werde häufig nicht mehr an der Wahrheit, sondern an der Attraktivität gemessen.
Können Journalisten also Politiker auch zu Fall bringen? Alexander von Sobeck.
Ein einzelner Journalist mit Sicherheit nicht. Es gibt aber Phänomene, wenn sich in einer bestimmten zugespitzten Situation die Fehlleistungen so häufen, dass dann die gesamte Journaille über denjenigen herfällt, das bestärkt natürlich durchaus manchen Entschluss eines Regierungschefs, einen Minister dann auch aus dem Amt zu entfernen. Aber es sind nicht die Medien, die Minister aus dem Amt schreiben, sondern es sind ihre eigenen Leistungen und Fehlleistungen.
Was Sie heute in den Köpfen der Menschen finden, ist oft gar nicht mehr die Realität, sondern eine von den Medien konstruierte, hergestellte Wirklichkeit,
beschreibt die Meinungsforscherin Professorin Elisabeth Noelle-Neumann die derzeitige Politik- und Medienwelt, die sich geprägt zeigt von einem regelrechten Wettrennen um den nächsten, den "besten" Skandal.
Mehr Skandale in kürzerer Zeit. Eigentlich eine logische Entwicklung, denn irgendwie muss ja auch der Inflation an Nachrichtensendungen und –sendern entsprochen werden, die sich schließlich rechtfertigen wollen. Siegfried Weischenberg vom DJV.
Man kann vielleicht in diesem Zusammenhang 'mal das Schlagwort von der Amerikanisierung anbringen, weil das Ganze doppelgesichtig ist. Auf der einen Seite hat der politische Journalismus an Respektlosigkeit gewonnen, also das, was wir eigentlich so ein bisschen mit amerikanischem Journalismus verbinden: Nachfassen in Interviews, 'ne gewisse Distanz, kritische Kontrolle, auch mehr Investigatives ... Das kann man jetzt verstärkt feststellen. Die Kehrseite der Amerikanisierung ist sicherlich mehr Entertainment als früher, auch 'ne größere Aufgeregtheit, kürzere Verfallzeit von Themen.
Und so verwischen bisweilen die Grenzen zwischen Politik und Journalismus, ist teilweise gar nicht immer klar, wer der eigentliche Initiator und Hervorbringer von "News" ist. In diesem Jahr wird im deutschen Fernsehen auch erstmals eine 'Amerikanisierung des Wahlkampfes' zu beobachten sein, wenn sich Bundeskanzler und Herausforder zu einem Fernsehduell treffen werden.
Diese Duelle sind natürlich ein zusätzliches Informationsmittel im Wahlkampf. Und so würde ich das sehen. Diese Duelle haben ja auch eine sehr stark ritualisierte und formalisierte Form, die wir ja gemeinsam mit den Fernsehanstalten getroffen haben, dass also die Sekunden eingeteilt werden, dass die Fragen abwechselnd gestellt werden usw.
Michael Spreng, der Berater des Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber. Was in den USA üblich ist und alle vier Jahre als 'Debate' von den großen Networks ausgestrahlt wird, versuchen in diesem Jahr RTL und SAT.1 am 25. August und ARD und ZDF am 8. September. In deutschen Landen heißt es allerdings nicht 'Debatte', sondern 'Duell'. Und dennoch: Eine Inszenierung durch die Medien ist hier ausdrücklich nicht erwünscht.
Und doch wird sich auch ein an Informationsvermittlung orientiertes Rededuell nicht einer gewissen medialen Faszination erwehren können. Die Versuchung der Inszenierung liegt hier besonders nahe.
Bitte möglichst keine einzige politische Botschaft in der Sache ohne ein Bild. Wir machen Bilder für die Bildermacher, für alle Medien. Entsprechende Bilder bleiben in den Köpfen der Menschen; Worte sind sehr flüchtig.
Fritz Görgen, Strategieberater des FDP-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf 2002. Die Politik weiß also genau, wie sie sich die Medien nutzbar machen kann, ist keinesfalls nur das Opfer.
Erst 'mal muss man Aufmerksamkeit gewinnen. Und wenn man die gewinnt, kann man vielleicht Sympathie überbringen. Und dann vielleicht auch noch die eine oder andere konzentrierte einfache politische Botschaft.
Notfalls also geht die Nutzbarmachung auch völlig auf Kosten des Inhalts über die Bühne. Das Wie wird wichtiger als das Was.
Doch es sind nicht immer die Medien, die das Ihrige zur Inszenierung von Themen beitragen. Umgekehrt bedient sich auch die Politik zum Beispiel des Vehikels Fernsehen, um die von ihr gewünschten Themen zu transportieren und in Szene zu setzen.
Ist es z.B. richtig, wenn jede Woche ein neuer Kandidat des Kompetenzteams vorgestellt wird, dass dann sozusagen ganz direkt im Programm abzubilden; muss da abgewogen werden? Den Fall Katharina Reiche, die Herr Stoiber als Familienkompetenz-Frau vorgestellt hat, wird natürlich im Programm berücksichtigt. Das wird allerdings auch dann in den tagesthemen mit einem Kommentar versehen, wie das denn zu bewerten ist, die Stimmen, die es vorher innerhalb der CDU/CSU gegen diese Kandidatin gab.
Thomas Roth, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios und in dieser Funktion Moderator des wöchentlichen Berichts aus Berlin im Ersten Deutschen Fernsehen. Es gibt sie also, die Abhängigkeiten von Journaille und dem politischen Establishment. Siegfried Weischenberg vom Deutschen Journalisten-Verband.
Es führt einerseits sicherlich dazu, dass sich die Spirale oder, wie ich vorhin gesagt habe, das Karussell immer schneller dreht. Auf der anderen Seite – Sie merken, ich bin da Berufsoptimist – haben natürlich diese Affären auch 'was Selbstreinigendes. Also, unter diesem Gesichtspunkt finde ich es gar nicht so schlecht, dass wir im Rahmen von solchen Medienaffären öffentlich über Journalismus verhandeln, wie das ja im letzten Jahr in auffällig häufigen Maße geschehen ist. Es führt auch dazu, dass man auch in der Profession des Journalismus verstärkt darüber nachdenkt, was man machen soll und was man möglichst doch unterlassen sollte. Also, insofern ist das 'ne zweischneidige Angelegenheit.
Zweischneidig auch deswegen, weil es für den politischen und medialen Laien, für den Zuschauer von Nachrichtensendungen oder den Leser von Zeitungen, schwer fällt, zwischen journalistischen Fehlern, inszenierten Skandalen und realen Missständen zu unterscheiden und sie als das, was sie sind, zu erkennen. Noch einmal der Publizist Hans Mathias Kepplinger.
Wenn man Journalisten befragt 'was hat denn eigentlich den Journalismus in Deutschland in den letzten 20, 30 Jahren geprägt?', dann sagt der größte Teil, weit über 2 Drittel, 'es waren Affären, Skandale und solche Dinge'. <> Das bedeutet, dass die Skandale in der Vergangenheit, die natürlich von einigen wenigen Medien gemacht, getrieben, betrieben worden sind – vor allem vom Spiegel, aber auch von einigen anderen Medien - , dass diese Skandale aus der Vergangenheit das Selbstverständnis der nachwachsenden Journalistengeneration prägen, geprägt haben und weiter prägen werden. Und die Konsequenz ist, dass man damit rechnen muss, dass immer mehr junge Journalisten es sozusagen als einen Ritterschlag sehen werden, wenn es ihnen gelingt, einen Skandal zu etablieren, wenn es ihnen gelingt, aus einem Missstand richtig einen Skandal zu machen.
Sowohl RTLplus wie SAT.1 waren Wunschkinder der damaligen christlich-liberalen Bundesregierung. Seit der Wende 1982 hatten die neuen Bonner Regierungsparteien die Übertragungswege Kabel und Satellit und damit das private Fernsehen in der Bundesrepublik protegiert – die FDP primär aus wirtschaftlichen, die CDU/CSU auch aus ideologischen Gründen.
Wir hatten damals eine sehr linke Szene auch gerade in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ich war Mitglied des Fernsehrates des Zweiten Deutschen Fernsehens und Vorsitzender des Ausschusses für Politik und Zeitgeschehen und habe also dort die Programme sehr genau beobachtet. Wir kriegten es noch einigermaßen hin, im ZDF eine Ausgewogenheit herzustellen. Aber in den vielen Programmen der ARD, von Report, Panorama, Monitor und wie sie alle hießen, war eine absolut linke Schlagseite.
Christian Schwarz-Schilling, in der Kohl-Regierung Bundesminister für Post und Telekommunikation und damals wie heute Befürworter des kommerziellen Fernsehens. Deshalb dauerte es nicht lange, bis dem späteren Kirch-Programm SAT.1 der spöttische Beiname "Regierungssender" oder "Kohl-Kanal" zuteil wurde.
Ich hab’ das nie für sehr ernsthaft gehalten, dass jetzt etwa die Privaten CDU-Sender würden. Wer das glaubte, der war naiv gewesen. Und das glaubten doch ´ne Menge bei der Union, die dann auch gar nicht zufrieden waren und sagten 'das hatten wir uns aber anders vorgestellt’. Ich war dieser Meinung nie.
Mit dem Einzug neuer, privater Programme in die deutsche Fernsehlandschaft vor nunmehr fast zwanzig Jahren stellte sich nicht nur Pluralität in der Presse ein, sondern es begann ein Angleichungsprozess zwischen beiden Ausprägungen des Dualen Systems.
Da gab es auch große Missstände, dass das Programm sehr oberflächlich war, bis dann auch bei den Privaten gute neue Sachen wie Frühstücksfernsehen, Nachrichtenprogramme, Informationsprogramme in großem Stile eingeführt worden sind, was man denen ja gar nicht zugetraut hatte. Das hat sich schon geändert, das möchte’ ich sagen, zumal die Öffentlich-Rechtlichen auch sehr stark Kurs dann auf Oberflächlichkeit genommen haben. Und dann ist der Unterschied ja gar nicht mehr sehr groß gewesen.
Der in der achtziger und neunziger Jahren ständig steigende Erfolg der Privaten und die damit verbundene ständige Ausweitung des Programms brachten auch ein mehr an Nachrichten mit sich. RTL startete das Nachtjournal, das ZDF zog mit heute nacht nach und die ARD mit dem Nachtmagazin, und schließlich im letzten Jahr wiederum SAT.1 für die Kommerziellen mit der Sendung die nacht. Auffallen kann in diesem Informations-Meer nur, wer mit zugespitzten Aussagen und skandalträchtigen Themen den Weg auf den Sender, auf den Bildschirm, auf die Titelseite schafft. Der Mainzer Medienwissenschaftler und Publizist Hans Mathias Kepplinger.
Medien, die einen Skandal sich sozusagen an die eigene Fahne hängen können, die sind in der Öffentlichkeit sehr sichtbar, weil man über sie selber spricht, über die Medien spricht. Und außerdem dient natürlich auch ein solcher Skandal der Imagebildung der Medien, der Prestigebildung der Medien innerhalb des Mediensystems. Bei Journalisten gelten die Medien sehr viel, die häufig und intensiv Skandale produzieren. Also, hier ist sozusagen eine Wirkung nach innen, auf die Konkurrenz, in der Kollegenbeobachtung, wie auch nach außen, auf das Publikum – Reichweite, Akzeptanz, Leserschaftsausweitung -; all das lässt sich mit Skandalen relativ erfolgversprechend machen.
Und das führt auch dazu, dass man dann eben nicht so genau hinguckt und man sagt 'wow, so 'ne tolle Story – wenn ich die bringe, dann bin ich der King bei meinem Chefredakteur oder bei meinem Verleger'. Und dann ist die Gefahr zu sagen 'also komm, ich müßte vielleicht noch diesen oder jenen anrufen, ich müßte das noch 'mal überprüfen, aber die Story ist einfach zu gut, als dass ich sie mir jetzt kaputtmache'.
Der Kommunikationswissenschafter Wolfgang Donsbacher aus Dresden. Das Prinzip ist einfach und verführerisch, aber gefährlich, und es heißt first and fast. Jeder will und soll der Erste sein, der Neuigkeiten, noch besser: vermeintliche Skandale in die Schlagzeilen bringt. Gelingt dies nicht, sollte man als Zweiter unter 'ferner liefen’ wenigstens die "Skandalspirale" ein Stück weiterdrehen.
Die Massivität des Vorwurfs schießt oft weit über das Ziel hinaus. Nehmen Sie mal die Kampfhunde. Zunächst war der Vorwurf: Hier gibt es diese gefährlichen Hunde und die Politik unternimmt nichts. Einige Politiker haben dann auch schnell reagiert, wurden dann auch von den Medien gefeiert wegen ihrer schnellen und massiven Reaktion – und dann kam die nächste Phase: Es stellte sich heraus, dass diese Maßnahmen nicht hinreichend bedacht waren. Und nun haben die gleichen Medien, die zunächst nach schnellen Maßnahmen gerufen haben, die gleichen Medien haben nun die Politiker geprügelt, die so schnell gehandelt haben, mit der Begründung, hier sei doch vollkommen falsch gehandelt worden. Das ist natürlich sehr problematisch und zeigt erneut, wie schwierig es doch ist, wenn sich Politik von den Medien die Vorgehensweise diktieren lässt.
Wo Kampfhunde als Angriffswerkzeug nicht reichen, bringt Bild auch noch ganz andere Kunststücke fertig, macht zum Beispiel aus einem Seil einen Schlagstock und aus einem Handschuh einen Bolzenschneider – so geschehen im Januar 2001, als das Blatt ein Foto einer Demonstration aus dem Jahre 1994 mit Jürgen Trittin veröffentlichte, es aber vor Drucklegung entsprechend bearbeitete, in dem es Bildausschnitt und -unterschrift so wählte, dass ein anderer Zusammenhang entstand. Bevor Bild sich entschuldigt, hatte der Bundesumweltminister damit gedroht, den Deutschen Presserat einzuschalten.
In diesem konkreten Fall hab' ich Probleme damit, das als handwerklichen Fehler im Sinne von Flüchtigkeitsfehler oder Versäumnis einzuordnen. Da drängt sich schon der Verdacht auf, dass es sich um eine ideologische Eintrübung gehandelt hat. Also, insofern eigentlich auch ein bisschen eine enttäuschende Erfahrung wieder. Im Springer-Verlag hat sich ja ein bemerkenswertes Revirement abgespielt im letzten Jahr. Da sind von verschiedenen größeren, zentral wichtigen Blättern Chefredaktionen ausgewechselt worden. Und es ist deshalb nicht so ganz von der Hand zu weisen, dass dieser "Fehler" damit etwas zu tun hatte. Man muss aber auch sagen: Es ist Murks. Es ist ganz schnell aufgedeckt worden. Es gab 'ne große öffentliche Diskussion. Also, die Medien verhandeln auch in einer kritischen Weise als früher und viel transparenter als früher über die eigenen Probleme.
Der frühere Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Siegfried Weischenberg. Politik braucht Zeit; die Medien jedoch verlangen nach schnellem Handeln und sind sich durchaus der Gefahr bewußt, damit falsches Handeln zu provozieren. Die PR-Strategen in den Parteizentralen drängen auf Medienpräsenz ihrer Leute, von der Partei weniger beachtete Politiker hoffen auf öffentliche Wahrnehmung und so heißt es: first, fast und möglichst unverwechselbar zu sein auch für die Politiker. Alexander von Sobeck, ZDF-Korrespondent in Israel, der auch Erfahrungen gesammelt hat als Geschäftsführer von Phoenix und Moderator des ZDF-Politmagazins berlin direkt.
Natürlich sind die Medien ein Korrektiv. Ich würde nicht unbedingt die Meinung teilen, dass sie die 4. Gewalt sind, aber sie kontrollieren. Sie haben natürlich die Aufgabe, darauf zu achten, wie wird Politik gemacht, wie wird Politik auch verkauft. Manchmal hat man ja schon den Eindruck, dass das Verkaufen von Politik häufig wichtiger ist als die Inhalte. Und ich bin wirklich felsenfest der Meinung, dass wir die Themen nicht schaffen.
von Sobeck also ist – wie gehört, "felsenfest" – der Überzeugung, bei der Kreierung von Themen nicht beteiligt zu sein. Medien also nicht als Erfinder, sondern nur als begleitender Berichterstatter?
Häufig sind es ja nicht die Inhalte der alten Geschichten, sondern häufig ist das, was in der Kritik steht, der heutige Umgang mit diesen alten Geschichten. Also: Wie steht ein Minister zu seiner Vergangenheit? Wie hält er es mit Gewalt, damals und heute? Wie hat er bestimmte Aussagen in einem Prozeß gemacht oder im Deutschen Bundestag, und decken die sich dann mit den Tatsachen? Darum geht es ja meistens. Es geht im Fall Fischer oder auch in dem Fall von Ulla Schmidt sicherlich nicht darum, jetzt 20, 25 Jahre alte Geschichten noch 'mal aufzuarbeiten, aber wenn tatsächlich Abweichungen der heutigen Einlassungen zu der damaligen Zeit da sind, dann ist es auch die Aufgabe von Journalisten, das zu vergleichen.
Minister sind ein besonders beliebtes Ziel von Angriffen der Medienbranche. Egal welcher politischen Couleur sie angehören. Der grüne Bundesaußenminister Joschka Fischer wurde im letzten Jahr angegriffen, als Fotos veröffentlicht wurden, die ihn als steinewerfenden 68er zeigten. Weder dieser Sachverhalt noch die Fotos noch seine Vergangenheit insgesamt indes waren neu. Die damals und heute relativ unbekannte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD fand sich im Jahr 2001 wegen privater Geschichten plötzlich auf den ersten Seiten der Presse wieder. Und auch die einstige bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm von der CSU verdankte ihre rasant angestiegene Popularität und damit auch ihren Sturz von erhöhter Fallhöhe den Medien. Das wußte sie auch am Tag ihres nicht ganz freiwilligen Rücktritts im Rahmen der BSE-Krise.
Viele haben von Ihnen darauf gewartet, viele haben auch gewettet darauf – und nun können Sie also entsprechend die Sektkorken knallenlassen, wie Sie das ja gerne haben.
Ob Barbara Stamms vermeintliche BSE-Pannen, Nazi-Vergleiche von Jürgen Trittin oder Plakataktionen von Laurenz Meyer – das waren dankbare Schlagzeilen des letzten Jahres. In den Wahlkampfzeiten des Jahres 2002 müssen neue Skandale herhalten; da kamen diesmal Michel Friedmann und Jürgen Möllemann genau zur rechten Zeit – solange bis sie wiederum abgelöst wurden von nächsten Themen.
Der stern hatte die Kontakte Rudolf Scharpings zu Moritz Hunziger aufgedeckt und damit die Affäre ins Rollen gebracht. Wolfgang Donsbacher.
Wir haben den Druck, der durch die eigene Meinung kommt, die eigenen missionarischen Absichten; und wir haben auf der anderen Seite den Druck der Organisationen, die Druck machen: 'Sie werden bezahlt, damit Sie Auflage machen, damit Sie Quote machen' beim Fernsehen. Und dann muss man eben immer wieder 'ne neue Sau durchs Dorf jagen, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen.
Hier unterscheiden sich die elektronischen also offenbar nicht von den Printmedien: Ob Zuschauerzahl oder Auflagenstärke – der Zuspruch der Konsumenten ist Erfolgsmesser für ein Thema. Zieht es nicht – oder nicht mehr -, ist es höchste Zeit, ein neues zu präsentieren.
Darauf hat die Politik mittlerweile reagiert, zuletzt Bundespräsident Johannes Rau, der vor einer – so wörtlich – "medialen Inszenierung" warnte. Die Politik werde immer mehr ein Teil der öffentlichen Unterhaltung; der Wert einer Information werde häufig nicht mehr an der Wahrheit, sondern an der Attraktivität gemessen.
Können Journalisten also Politiker auch zu Fall bringen? Alexander von Sobeck.
Ein einzelner Journalist mit Sicherheit nicht. Es gibt aber Phänomene, wenn sich in einer bestimmten zugespitzten Situation die Fehlleistungen so häufen, dass dann die gesamte Journaille über denjenigen herfällt, das bestärkt natürlich durchaus manchen Entschluss eines Regierungschefs, einen Minister dann auch aus dem Amt zu entfernen. Aber es sind nicht die Medien, die Minister aus dem Amt schreiben, sondern es sind ihre eigenen Leistungen und Fehlleistungen.
Was Sie heute in den Köpfen der Menschen finden, ist oft gar nicht mehr die Realität, sondern eine von den Medien konstruierte, hergestellte Wirklichkeit,
beschreibt die Meinungsforscherin Professorin Elisabeth Noelle-Neumann die derzeitige Politik- und Medienwelt, die sich geprägt zeigt von einem regelrechten Wettrennen um den nächsten, den "besten" Skandal.
Mehr Skandale in kürzerer Zeit. Eigentlich eine logische Entwicklung, denn irgendwie muss ja auch der Inflation an Nachrichtensendungen und –sendern entsprochen werden, die sich schließlich rechtfertigen wollen. Siegfried Weischenberg vom DJV.
Man kann vielleicht in diesem Zusammenhang 'mal das Schlagwort von der Amerikanisierung anbringen, weil das Ganze doppelgesichtig ist. Auf der einen Seite hat der politische Journalismus an Respektlosigkeit gewonnen, also das, was wir eigentlich so ein bisschen mit amerikanischem Journalismus verbinden: Nachfassen in Interviews, 'ne gewisse Distanz, kritische Kontrolle, auch mehr Investigatives ... Das kann man jetzt verstärkt feststellen. Die Kehrseite der Amerikanisierung ist sicherlich mehr Entertainment als früher, auch 'ne größere Aufgeregtheit, kürzere Verfallzeit von Themen.
Und so verwischen bisweilen die Grenzen zwischen Politik und Journalismus, ist teilweise gar nicht immer klar, wer der eigentliche Initiator und Hervorbringer von "News" ist. In diesem Jahr wird im deutschen Fernsehen auch erstmals eine 'Amerikanisierung des Wahlkampfes' zu beobachten sein, wenn sich Bundeskanzler und Herausforder zu einem Fernsehduell treffen werden.
Diese Duelle sind natürlich ein zusätzliches Informationsmittel im Wahlkampf. Und so würde ich das sehen. Diese Duelle haben ja auch eine sehr stark ritualisierte und formalisierte Form, die wir ja gemeinsam mit den Fernsehanstalten getroffen haben, dass also die Sekunden eingeteilt werden, dass die Fragen abwechselnd gestellt werden usw.
Michael Spreng, der Berater des Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber. Was in den USA üblich ist und alle vier Jahre als 'Debate' von den großen Networks ausgestrahlt wird, versuchen in diesem Jahr RTL und SAT.1 am 25. August und ARD und ZDF am 8. September. In deutschen Landen heißt es allerdings nicht 'Debatte', sondern 'Duell'. Und dennoch: Eine Inszenierung durch die Medien ist hier ausdrücklich nicht erwünscht.
Und doch wird sich auch ein an Informationsvermittlung orientiertes Rededuell nicht einer gewissen medialen Faszination erwehren können. Die Versuchung der Inszenierung liegt hier besonders nahe.
Bitte möglichst keine einzige politische Botschaft in der Sache ohne ein Bild. Wir machen Bilder für die Bildermacher, für alle Medien. Entsprechende Bilder bleiben in den Köpfen der Menschen; Worte sind sehr flüchtig.
Fritz Görgen, Strategieberater des FDP-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf 2002. Die Politik weiß also genau, wie sie sich die Medien nutzbar machen kann, ist keinesfalls nur das Opfer.
Erst 'mal muss man Aufmerksamkeit gewinnen. Und wenn man die gewinnt, kann man vielleicht Sympathie überbringen. Und dann vielleicht auch noch die eine oder andere konzentrierte einfache politische Botschaft.
Notfalls also geht die Nutzbarmachung auch völlig auf Kosten des Inhalts über die Bühne. Das Wie wird wichtiger als das Was.
Doch es sind nicht immer die Medien, die das Ihrige zur Inszenierung von Themen beitragen. Umgekehrt bedient sich auch die Politik zum Beispiel des Vehikels Fernsehen, um die von ihr gewünschten Themen zu transportieren und in Szene zu setzen.
Ist es z.B. richtig, wenn jede Woche ein neuer Kandidat des Kompetenzteams vorgestellt wird, dass dann sozusagen ganz direkt im Programm abzubilden; muss da abgewogen werden? Den Fall Katharina Reiche, die Herr Stoiber als Familienkompetenz-Frau vorgestellt hat, wird natürlich im Programm berücksichtigt. Das wird allerdings auch dann in den tagesthemen mit einem Kommentar versehen, wie das denn zu bewerten ist, die Stimmen, die es vorher innerhalb der CDU/CSU gegen diese Kandidatin gab.
Thomas Roth, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios und in dieser Funktion Moderator des wöchentlichen Berichts aus Berlin im Ersten Deutschen Fernsehen. Es gibt sie also, die Abhängigkeiten von Journaille und dem politischen Establishment. Siegfried Weischenberg vom Deutschen Journalisten-Verband.
Es führt einerseits sicherlich dazu, dass sich die Spirale oder, wie ich vorhin gesagt habe, das Karussell immer schneller dreht. Auf der anderen Seite – Sie merken, ich bin da Berufsoptimist – haben natürlich diese Affären auch 'was Selbstreinigendes. Also, unter diesem Gesichtspunkt finde ich es gar nicht so schlecht, dass wir im Rahmen von solchen Medienaffären öffentlich über Journalismus verhandeln, wie das ja im letzten Jahr in auffällig häufigen Maße geschehen ist. Es führt auch dazu, dass man auch in der Profession des Journalismus verstärkt darüber nachdenkt, was man machen soll und was man möglichst doch unterlassen sollte. Also, insofern ist das 'ne zweischneidige Angelegenheit.
Zweischneidig auch deswegen, weil es für den politischen und medialen Laien, für den Zuschauer von Nachrichtensendungen oder den Leser von Zeitungen, schwer fällt, zwischen journalistischen Fehlern, inszenierten Skandalen und realen Missständen zu unterscheiden und sie als das, was sie sind, zu erkennen. Noch einmal der Publizist Hans Mathias Kepplinger.
Wenn man Journalisten befragt 'was hat denn eigentlich den Journalismus in Deutschland in den letzten 20, 30 Jahren geprägt?', dann sagt der größte Teil, weit über 2 Drittel, 'es waren Affären, Skandale und solche Dinge'. <> Das bedeutet, dass die Skandale in der Vergangenheit, die natürlich von einigen wenigen Medien gemacht, getrieben, betrieben worden sind – vor allem vom Spiegel, aber auch von einigen anderen Medien - , dass diese Skandale aus der Vergangenheit das Selbstverständnis der nachwachsenden Journalistengeneration prägen, geprägt haben und weiter prägen werden. Und die Konsequenz ist, dass man damit rechnen muss, dass immer mehr junge Journalisten es sozusagen als einen Ritterschlag sehen werden, wenn es ihnen gelingt, einen Skandal zu etablieren, wenn es ihnen gelingt, aus einem Missstand richtig einen Skandal zu machen.