Zuvorderst führte sie in eine recht authentisch wirkende Nachbildung der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Strasse in Berlin Mitte. Ein paar Meter über dieser für die Öffentlichkeit gesperrten Installation befand sich bis zum Herbst 1989 einer der Grenzübergänge. Der Hinweis auf die Reichweite des Demokratischen Sektors ist denn auch in der einschlägigen antiquierten Schrift auf die Kacheln gepinselt.
Trübes Licht. Stehen gebliebene Zeit. 1 Bahnsteig, 1 Gleis, 1 Klavier. Wilhelm M. hat sich in der Unwirtlichkeit des vorübergehend stillgestellten Bahnchachts einquartiert, trippt mit einer Reiseschreibmaschine auf einer Öltonne und lässt an seiner literarischen Produktion zugunsten der Gedankenfreiheit teilhaben. Die – abschlägig beschiedenen – Anträge des aus Dresden stammenden Schauspielers Erik Roßbander, der Highlights aus der Feder Wilhelm Müllers ins Programm streut, sind im Programmheft faksimiliert.
Der "Griechen-Müller", Freiheitskämpfer, Linksdemokrat und reisender Autor in der Restaurationsepoche nach dem Wiener Kongress von 1815, vergoss so manche literarische Träne über die vertanen Chancen – die politischen und die des privaten Lebens, das so ganz privat nicht sein sollte und konnte. Er, der ähnlich früh wie Franz Schubert – mit 3 Jahren – starb, mag es geahnt haben. "Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht", lässt er in den Nachgelassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten den in die Einsamkeit ausweichenden Sänger seiner Winterreise deklamieren. Aber noch weist das "kühle Wirtshaus" ihn ab. Er muss weiter.
Jochen Biganzoli lässt den Sänger der Lieder durch eine vermauerte Tür brechen. Das Ego und das Alter Ego der Winterreise treten sich, vorsichtig tastend, näher und in Dialog; ein paar mal sogar in Zwiegesang. Gelegentlich wird ein Lied um einer kleinen anspielungsreichen Aktion willen unterbrochen oder zwischen den beiden Akteuren aufgeteilt; aber im Wesentlichen bleibt die Substanz des Zyklus unangetastet. Müllers Gedichte liefern genug Kommentar. Und wenn die beiden zum Stichwort "Ich bin zu Ende mit allen Träumen" Molotow-Cocktails basteln, bedarf dies keines weiteren Kommentars. Natürlich ist kein buntes Blatt zu sehen, wenn der Sänger von dergleichen halluziniert.
Franz Schuberts Liederzyklen fordern, wiewohl (oder gerade weil) die Form des Liederabends obsolet erscheint, fortdauernd zu neuer Gestaltung heraus. Christoph Marthaler gestaltete auf die ihm eigentümliche Art unlängst in Zürich "Die Schöne Müllerin", Herbert Wernicke dekonstruierte bereits Mitte der Neunziger Jahre die "Winterreise" im Kleinen Haus des Theaters Basel. Oliver Herrmann hat sie vor ein paar Wochen im Boxring der ehemaligen Kraftzentrale Duisburg in eine kleine Box gesetzt, mit allerhand Zivilisationsmüll befrachtet und von seiner hochschwangeren Gattin Christine Schäfer vokal zurichten lassen. Gegenüber diesem jämmerlichen Missgriff der RuhrTriennale-Leitung handelt es sich bei der Bremer Produktion um eine hochintelligente, höchst artifizielle Aneignung und Umsetzung des historischen Textes und Tons. Zumal der Bariton Björn Waag alle stimmlichen Voraussetzungen für eine charakteristische Wiedergabe der zwei Dutzend Lieder mitbringt. Schnörkellos, ohne Pathos und eben mit jenem "intelligenten Gefühl", das bereits Thomas Mann von den Sängern der "Winterreise" einforderte.
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Trübes Licht. Stehen gebliebene Zeit. 1 Bahnsteig, 1 Gleis, 1 Klavier. Wilhelm M. hat sich in der Unwirtlichkeit des vorübergehend stillgestellten Bahnchachts einquartiert, trippt mit einer Reiseschreibmaschine auf einer Öltonne und lässt an seiner literarischen Produktion zugunsten der Gedankenfreiheit teilhaben. Die – abschlägig beschiedenen – Anträge des aus Dresden stammenden Schauspielers Erik Roßbander, der Highlights aus der Feder Wilhelm Müllers ins Programm streut, sind im Programmheft faksimiliert.
Der "Griechen-Müller", Freiheitskämpfer, Linksdemokrat und reisender Autor in der Restaurationsepoche nach dem Wiener Kongress von 1815, vergoss so manche literarische Träne über die vertanen Chancen – die politischen und die des privaten Lebens, das so ganz privat nicht sein sollte und konnte. Er, der ähnlich früh wie Franz Schubert – mit 3 Jahren – starb, mag es geahnt haben. "Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht", lässt er in den Nachgelassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten den in die Einsamkeit ausweichenden Sänger seiner Winterreise deklamieren. Aber noch weist das "kühle Wirtshaus" ihn ab. Er muss weiter.
Jochen Biganzoli lässt den Sänger der Lieder durch eine vermauerte Tür brechen. Das Ego und das Alter Ego der Winterreise treten sich, vorsichtig tastend, näher und in Dialog; ein paar mal sogar in Zwiegesang. Gelegentlich wird ein Lied um einer kleinen anspielungsreichen Aktion willen unterbrochen oder zwischen den beiden Akteuren aufgeteilt; aber im Wesentlichen bleibt die Substanz des Zyklus unangetastet. Müllers Gedichte liefern genug Kommentar. Und wenn die beiden zum Stichwort "Ich bin zu Ende mit allen Träumen" Molotow-Cocktails basteln, bedarf dies keines weiteren Kommentars. Natürlich ist kein buntes Blatt zu sehen, wenn der Sänger von dergleichen halluziniert.
Franz Schuberts Liederzyklen fordern, wiewohl (oder gerade weil) die Form des Liederabends obsolet erscheint, fortdauernd zu neuer Gestaltung heraus. Christoph Marthaler gestaltete auf die ihm eigentümliche Art unlängst in Zürich "Die Schöne Müllerin", Herbert Wernicke dekonstruierte bereits Mitte der Neunziger Jahre die "Winterreise" im Kleinen Haus des Theaters Basel. Oliver Herrmann hat sie vor ein paar Wochen im Boxring der ehemaligen Kraftzentrale Duisburg in eine kleine Box gesetzt, mit allerhand Zivilisationsmüll befrachtet und von seiner hochschwangeren Gattin Christine Schäfer vokal zurichten lassen. Gegenüber diesem jämmerlichen Missgriff der RuhrTriennale-Leitung handelt es sich bei der Bremer Produktion um eine hochintelligente, höchst artifizielle Aneignung und Umsetzung des historischen Textes und Tons. Zumal der Bariton Björn Waag alle stimmlichen Voraussetzungen für eine charakteristische Wiedergabe der zwei Dutzend Lieder mitbringt. Schnörkellos, ohne Pathos und eben mit jenem "intelligenten Gefühl", das bereits Thomas Mann von den Sängern der "Winterreise" einforderte.
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