Es beginnt und endet mit Inszenierungen des menschlichen Körpers. Zuerst ist da Pablo Picassos in Grautönen gehaltenes "Brustbild einer Frau mit erhobenen Armen". Da sind Aristide Maillols Bronzeskulptur der üppigen "Ile-de-France" und in starkem Gegensatz dazu die Verstümmelten aus Otto Dix' Kriegsmappe. Den Schluss bilden Ausschnitte aus Leni Riefenstahls Dokumentarfilm über die Olympischen Spiele in Berlin 1938. Dazwischen liegen die siebenstöckige Rotunde des Guggenheim Museums und 20 Jahre europäischer Neoklassizismus. Weshalb der menschliche Körper im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht, erklärt die Co-Kuratorin von "Chaos and Classicism" Helen Hsu:
"Die fürchterliche Zerstörung des Ersten Weltkriegs, die nie dagewesene Erfahrung der modernen Kriegsführung und ihrer Technologien hatten den menschlichen Körper buchstäblich auseinandergerissen und in unvorstellbarer Weise zerteilt. Als Kompensation dafür oder als Erholung davon begannen Künstler danach, den Körper wieder zusammenzusetzen und sich dabei auf klassische Vorläufer zu berufen, um ihre Mitmenschen in einer Zeit, in der er in Gefahr und tatsächlich zerstört worden war, an den glorifizierten menschlichen Körper zu erinnern."
Die Sehnsucht nach dem harmonischen Ganzen fand ihre Erfüllung im Bild einer idealisierten Antike und in der Kunst Frankreichs, Italiens und Deutschlands der Zwischenkriegszeit jeweils ihre ganz eigene Ausprägung. Die Franzosen strebten nach einem "Retour à l'ordre", nach einer Rückkehr zur Ordnung. Die Italiener riefen nach einem gleichnamigen Essay des Malers Giorgio de Chirico zum "Ritorno al mestiere", zu einer Rückkehr zum Handwerk. Und die Deutschen verlangten eine "Neue Sachlichkeit".
Das Guggenheim Museum zeigt eindrückliche Beispiele aller Varianten. Pablo Picasso ist natürlich überall. Von ihm pflegte man zu jener Zeit zu sagen, er male wie Ingres, obschon er den Kubismus auch in seiner klassizistischen Periode nie ganz aufgab. Heute weit weniger geschätzt, aber damals gefeiert, ist André Derain. Ja, selbst Fernand Léger konnte sich dem klassizistischen Zauber nicht ganz entziehen.
In Deutschland reklamierten linke und rechte Künstler ihr kulturelles Erbe, Veristen und Klassizisten. Überraschend stark wirkt neben dem "Kohlenmann" von Leo Breuer, der "Bauhaustreppe" von Oskar Schlemmer oder einer Balkonidylle von Georg Schrimpf Julius Bissier mit dem altmeisterlichen Selbstporträt "Bildhauer mit Selbstbildnis" von 1928. Albrecht Dürer hat hier deutlich Pate gestanden. Aus Ubaldo Oppis "I pescatori di Santo Spirito", einer Apotheose armer, aber ach so glücklicher Fischerfamilien spricht dagegen bereits unangenehmer faschistischer Pathos. Ganz sicher verfehlt die berühmte Bronzeskulptur von Renato Bertelli "Kontinuierliches Profil Mussolinis" von 1933 ihren Knüppeleffekt nicht.
Das konservative Element habe die Kunst des Neoklassizismus von Anfang an anfällig gemacht für die Vereinnahmung durch totalitäre Gruppen, sagt Helen Hsu. Es fällt tatsächlich nicht allzu schwer, sich Hitler mit Le Corbusiers runder schwarzer Brille vorzustellen, die aus nicht ganz einleuchtenden Gründen in dieser Ausstellung ebenfalls zu sehen ist. Der Führer ging immerhin so weit, die Griechen zu "Nordmännern" zu erklären, und Eva Braun hätte sich bestimmt über einen der gräzistische Kaftane der Modedesignerin Madeleine Vionnet gefreut, die wie andere in dieser Schau vertretene Designer gerne mit den Formen und Farben der Antike experimentierte.
"Chaos and Classicism" ist eine überaus ambitionierte und gelungene Ausstellung. Sie präsentiert dem Besucher nicht nur leicht konsumierbares Guck-doch-mal-Material. Die sorgfältige Auswahl von Werken eröffnet einem vielmehr den Blick auf eine künstlerische Epoche, die entschieden mehr war als ein bloßes rückwärtsgewandtes Zwischenspiel.
"Chaos and Classicism: Art in France, Italy and Germany 1918-1936" ist bis am 9. Januar 2011 im New Yorker Guggenheim Museum zu sehen. Zur Ausstellung ist unter demselben Titel ein 192-seitiger Katalog erschienen. Er kostet gebunden 55 Dollar und broschiert 35 Dollar.
"Die fürchterliche Zerstörung des Ersten Weltkriegs, die nie dagewesene Erfahrung der modernen Kriegsführung und ihrer Technologien hatten den menschlichen Körper buchstäblich auseinandergerissen und in unvorstellbarer Weise zerteilt. Als Kompensation dafür oder als Erholung davon begannen Künstler danach, den Körper wieder zusammenzusetzen und sich dabei auf klassische Vorläufer zu berufen, um ihre Mitmenschen in einer Zeit, in der er in Gefahr und tatsächlich zerstört worden war, an den glorifizierten menschlichen Körper zu erinnern."
Die Sehnsucht nach dem harmonischen Ganzen fand ihre Erfüllung im Bild einer idealisierten Antike und in der Kunst Frankreichs, Italiens und Deutschlands der Zwischenkriegszeit jeweils ihre ganz eigene Ausprägung. Die Franzosen strebten nach einem "Retour à l'ordre", nach einer Rückkehr zur Ordnung. Die Italiener riefen nach einem gleichnamigen Essay des Malers Giorgio de Chirico zum "Ritorno al mestiere", zu einer Rückkehr zum Handwerk. Und die Deutschen verlangten eine "Neue Sachlichkeit".
Das Guggenheim Museum zeigt eindrückliche Beispiele aller Varianten. Pablo Picasso ist natürlich überall. Von ihm pflegte man zu jener Zeit zu sagen, er male wie Ingres, obschon er den Kubismus auch in seiner klassizistischen Periode nie ganz aufgab. Heute weit weniger geschätzt, aber damals gefeiert, ist André Derain. Ja, selbst Fernand Léger konnte sich dem klassizistischen Zauber nicht ganz entziehen.
In Deutschland reklamierten linke und rechte Künstler ihr kulturelles Erbe, Veristen und Klassizisten. Überraschend stark wirkt neben dem "Kohlenmann" von Leo Breuer, der "Bauhaustreppe" von Oskar Schlemmer oder einer Balkonidylle von Georg Schrimpf Julius Bissier mit dem altmeisterlichen Selbstporträt "Bildhauer mit Selbstbildnis" von 1928. Albrecht Dürer hat hier deutlich Pate gestanden. Aus Ubaldo Oppis "I pescatori di Santo Spirito", einer Apotheose armer, aber ach so glücklicher Fischerfamilien spricht dagegen bereits unangenehmer faschistischer Pathos. Ganz sicher verfehlt die berühmte Bronzeskulptur von Renato Bertelli "Kontinuierliches Profil Mussolinis" von 1933 ihren Knüppeleffekt nicht.
Das konservative Element habe die Kunst des Neoklassizismus von Anfang an anfällig gemacht für die Vereinnahmung durch totalitäre Gruppen, sagt Helen Hsu. Es fällt tatsächlich nicht allzu schwer, sich Hitler mit Le Corbusiers runder schwarzer Brille vorzustellen, die aus nicht ganz einleuchtenden Gründen in dieser Ausstellung ebenfalls zu sehen ist. Der Führer ging immerhin so weit, die Griechen zu "Nordmännern" zu erklären, und Eva Braun hätte sich bestimmt über einen der gräzistische Kaftane der Modedesignerin Madeleine Vionnet gefreut, die wie andere in dieser Schau vertretene Designer gerne mit den Formen und Farben der Antike experimentierte.
"Chaos and Classicism" ist eine überaus ambitionierte und gelungene Ausstellung. Sie präsentiert dem Besucher nicht nur leicht konsumierbares Guck-doch-mal-Material. Die sorgfältige Auswahl von Werken eröffnet einem vielmehr den Blick auf eine künstlerische Epoche, die entschieden mehr war als ein bloßes rückwärtsgewandtes Zwischenspiel.
"Chaos and Classicism: Art in France, Italy and Germany 1918-1936" ist bis am 9. Januar 2011 im New Yorker Guggenheim Museum zu sehen. Zur Ausstellung ist unter demselben Titel ein 192-seitiger Katalog erschienen. Er kostet gebunden 55 Dollar und broschiert 35 Dollar.