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Integration für die Taliban

Das afghanische Friedens- und Reintegrationsprogramm APRP soll den politischen Prozesses der Aussöhnung mit den Taliban in Afghanistan ergänzen. Deutschland finanziert die Aktion mit 50 Millionen Euro. Beobachter geben dem Programm mehr Chancen auf Erfolg als seinen Vorgängern.

Von Sabina Matthay | 17.09.2011
    Noch immer schallt bei jedem Anruf eine Taliban-Ballade aus dem Handy von Shah Wali. Dabei hat er sich vor Wochen schon von den Gotteskriegern losgesagt.

    "Unser Anführer arbeitete für den pakistanischen Geheimdienst ISI, mit denen will ich nichts zu tun haben, ich will ein unabhängiges Afghanistan",

    sagt der Paschtune. Und kampfesmüde sei er auch.

    Acht Jahre lang hat Schah Wali es mit den Aufständischen gehalten, angeblich nicht, weil er ihre Überzeugungen teilt:

    "Nach der Vertreibung der Taliban von der Macht hatte ich keine Arbeit. Dann kamen die Rebellen in unsere Gegend und warben mich für den Dschihad gegen die Ausländer an",

    berichtet der 40-Jährige."

    Für 30.000 Afghani Monatssold, etwa 450 Euro, außerdem bis zu 70.000 Afghani Prämie für die Zerstörung ausländischer Militärfahrzeuge, noch mehr für die Tötung ausländischer Soldaten. Viel Geld in einem der ärmsten Länder der Welt.

    Trotzdem hat der drahtige Kämpfer nun mit acht Kameraden die Seiten gewechselt. Die Waffen abgegeben, sich für das afghanische Friedens- und Reintegrationsprogramm APRP registrieren lassen, das Kommandanten und Kämpfern der Taliban die Rückkehr ins zivile Leben ermöglichen soll.

    "Die Leute sind aus freien Stücken zu uns gekommen, sagt Hazrat Mohammad Hakbim, der Bezirkschef von Surobi."

    Dort, östlich von Kabul, haben Shah Wali und seine Männer sich den afghanischen Behörden gestellt und Unterschlupf gefunden. Nun warten sie darauf, dass sie vom Reintegrationsprogramm profitieren.

    "Straffreiheit ist Shah Walis wichtigstes Anliegen, dann Geld und Arbeit, angeblich haben die Behörden ihm auch ein Haus in Kabul versprochen, wo er nicht so leicht von einstigen Weggefährten aufgespürt werden kann."

    Bis zu 40.000 Aufständische werden in Afghanistan vermutet, etwa 2000 haben sich seit Jahresbeginn für das Reintegrationsprogramm gemeldet. Eine empfindliche Schwächung der Taliban, die das Ausland sich von der Maßnahme wohl erhofft hatte, ist das nicht.

    Selten sind es Kommandeure, meist einfache Soldaten und manchmal auch Schwindler, die an den international finanzierten Wohltaten teilhaben wollen. Rund 150 Millionen Euro hat das Ausland bereitgestellt.

    Geldverschwendung, meint Martine Van Bijlert vom Afghanistan Analysts Network, genau wie die Vorgängerprogramme:

    "APRP wurde so dargestellt, als könne es einen echten Umschwung bewirken, als könne es den Aufstand entscheidend schwächen. Stattdessen gibt es nur wieder ein ständiges Hin und Her. Bietet man (den Kämpfern) etwas an, dann wechseln sie vielleicht die Seite, stellt man die Angebote ein, dann gehen sie zurück."

    Abdul Salaam Saeef, ein Mitbegründer der Talibanbewegung, der seit der Haftentlassung aus Guantanamo in Kabul lebt, kritisiert die Maßnahme aus einem anderen Grund:

    "Das ist eine Verschwörung, um die Taliban zu entzweien. Aber das funktioniert nicht. Es stärkt nur ihr Misstrauen."

    Und konterkariere die politischen Versuche zur Verhandlung mit der Rebellenführung, die das Reintegrationsprogramm angeblich ergänzen sollen.

    Rund die Hälfte der Überläufer hat sich bisher in Nordafghanistan gemeldet, im Einsatzbereich der Bundeswehr. Doch von einem Erfolg mochte Oberst Norbert Sabrautzki, bis zum Sommer Kommandeur in Kunduz, nicht sprechen:

    "Es ist ein afghanisches Programm, das auch afghanisch gesteuert wird. ( ... ) Das von Kabul aus mit Geld versorgt wird und die Afghanen haben eben immer noch nicht gelernt, durch die Hierarchien hinweg in den verschiedenen Verwaltungen dieses zielführend und gewinnbringend in Reintegration anzulegen."

    Deshalb warten viele ehemalige Taliban seit Registrierung und Überprüfung noch immer auf die versprochenen Jobs.

    Die Bezirksverwaltungen, die Vorschläge für Ausbildung und Beschäftigung der Überwechsler machen und das Programm umsetzen sollen, sind überfordert. Es mangelt an kompetentem, ehrlichem Personal. Und manchmal an gutem Willen.

    Dabei drängt die Zeit, sagt der deutsche Diplomat Hermann Nikolai, der die Bemühungen der Behörden in Kunduz bis Juli unterstützt hat.

    "Die Taliban haben vieles nicht halten können, was sie versprochen haben. Die Menschen erwarten, dass die Regierung das kann. Sie hat es ihnen auch ganz öffentlich versprochen. Und jetzt kommen insbesondere Aufständische, die diesen Schritt tun, sich der Regierung wieder anzuschließen. Da muss die Regierung schnell reagieren und in glaubwürdiger Weise reagieren."

    Die Anlaufschwierigkeiten seien längst bewältigt, entgegnet Masoom Stanakzai, der das Friedens- und Reintegrationsprogramm in Kabul leitet:

    "Wir haben mehr Kompetenzen an die Provinzregierungen und die Friedensräte abgegeben, denen stehen jetzt mehr Mittel zur Verfügung, um Programme am Ort zu entwerfen, damit sie den Leuten am Ort helfen können."

    Bei Hazrat Mohammad Hakbim ist noch nichts davon angekommen. Mehr als die insgesamt 30 Überläufer in seinem Bezirk zu verköstigen und ihnen Schutz gewähren, könne er nicht, sagt der Bezirkschef von Surobi:

    "Jetzt ist die Regierung gefragt: Kann sie den Leuten Arbeit geben? Kann sie sie in Polizei oder Armee unterbringen? Wird sie diesen Leuten gerecht werden oder nicht?"

    Viele brauchbare Vorschläge gibt es bisher nicht: Minenbeseitigung oder Straßenbauarbeiten etwa gelten als Betätigungen für die Männer, die außer Kämpfen wenig gelernt haben. Oder die Beschäftigung in der bürgerwehrähnlichen Polizeitruppe ALP.

    Das aber ist riskant, sagt Martine van Bijlert:

    "Die ALP fördert die Paramilitärisierung der afghanischen Gesellschaft, die wir jetzt sehen, sagt die unabhängige Beobachterin."

    Nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch begehen die milizähnlichen Polizeitruppen und andere regierungsnahe Gruppen Tötungen und Vergewaltigungen, Schutzgelderpressungen und Landraub und treiben die Bevölkerung damit in die Arme der Taliban.

    Es ist eine Bevölkerung, in der die Arbeitslosigkeit grassiert und der schwer zu vermitteln ist, warum ehemalige Rebellen wie Shah Wali bevorzugt mit Jobs versorgt werden sollen, warum deren Heimatdörfer von Entwicklungsprogrammen profitieren sollen.

    Shah Wali hat seinen Entschluss noch nicht bereut. Zwar muss er Geld leihen, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. Aber auch wenn die Staatshilfe ausbleibe, werde er sich selbst etwas aufbauen. Und auch in die fernere Zukunft, in die Zeit nach dem Abzug der westlichen Kampftruppen blickt er optimistisch:

    "Sollten die Taliban wieder an die Macht kommen, dann werde ich mich schon mit ihnen arrangieren."

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