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Integration statt Ausgrenzung

Wer zehn Jahre nach den pogromartigen Ausschreitungen gegen maghrebinische Erntehelfer El Ejído besucht, hat nicht den Eindruck, dass sich viel verändert hat. Wie im Rest Spaniens zeugen zwar Neubauviertel vom inzwischen beendeten Immobilienboom, doch immer noch treffen sich die Marokkaner in ihren Cafés und die Spanier in ihren Kneipen. Immer noch sieht man in den Randbezirken mittellose Einwanderer in traditionellen Gewändern und Badeslippern zu ihren Hütten ziehen, spanische Jugendliche fahren auf Motorrädern die Straße hoch- und runter. Sie leben in der gleichen Stadt - gemeinsam scheinen sie nichts zu haben. Dabei sollte vor zehn Jahren ein neuer Anfang gemacht werden, erinnert sich Mohammed Haidur:

Von Hans-Günter Kellner |
    "Es gab ein Abkommen mit mehreren Punkten: Zuerst wurde anerkannt, dass es zu ausländerfeindlichen Ausschreitungen gekommen war. Dass die Würde der Menschen verletzt worden war, die dazu beitragen, dass diese Gegend zu einer der reichsten Europas geworden ist. Die Landwirte erkannten die in den Tarifverträgen der Landarbeiter vereinbarten Rechte ausdrücklich an. Das Recht der Erntehelfer auf Wohnungen. Wessen Eigentum beschädigt wurde, sollte entschädigt werden. Aber den Behörden und Landwirten ging es da mehr darum, dass der Streik der Erntehelfer aufhört, dass das Bild über die Landwirtschaft in dieser Gegend gegenüber dem Ausland nicht weiter beschädigt wird. Am Ende wurden diese Abkommen vielleicht zu zehn Prozent erfüllt."

    Der Marokkaner saß damals für die Gewerkschaft "Arbeiterkommissionen" mit den Landwirten und lokalen, regionalen und nationalen Behörden am Verhandlungstisch. Damals hatten sich die Landarbeiter zu Komitees zusammengeschlossen, um gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Doch die Protagonisten von einst seien längst weggezogen, in die großen Städte und andere seien nachgekommen, erklärt Haidur:

    "Es ist eher schlimmer geworden. Der Wettbewerb der Einwanderer untereinander ist härter geworden. Mit der Osterweiterung der Europäischen Union sind weitere Migranten aus Rumänien und Bulgarien hinzugekommen. Die Osteuropäer und die Afrikaner verstehen sich überhaupt nicht. Insgesamt sind die Migranten in dieser Region weiterhin in einer sehr, sehr delikaten Situation."

    Doch El Ejído ist nicht mit Spanien gleichzusetzen, betont Haidur. In den letzten 15 Jahren sind mehr als vier Millionen Einwanderer nach Spanien gekommen. Kein anderes Land der Europäischen Union hat in diesem Zeitraum mehr Migranten aufgenommen. Abgesehen von in El Ejído ist es dabei kaum zu gesellschaftlichen Spannungen gekommen. Mohammed Haidur stellt der spanischen Ausländerpolitik der letzten Jahre ein gutes Zeugnis aus:

    "Die Regierung Zapatero hat 2004 die Kompetenzen für Einwanderung vom Innenministerium dem Arbeitsministerium übertragen. Das war ganz wichtig. Einwanderung ist keine Frage der inneren Sicherheit, wie Demagogen gern behaupten, sondern des Arbeitsmarkts. Es sind ja Arbeiter, die kommen. Zudem hat sie ein Integrationsforum geschaffen, an dem neben Migrationsverbänden und Behörden auch Gewerkschaften und Arbeitgeber beteiligt wurden. Dies hat eine Legalisierungskampagne ermöglicht. Und jetzt haben die Migranten aus vielen Ländern auch ein kommunales Wahlrecht erhalten. Somit sind sie für die Parteien jetzt als Wähler interessant. Sie entscheiden ja jetzt mit darüber, wer in den Städten regiert."

    In manchen Städten mit einem besonders hohen Ausländeranteil könnte ihr Votum sogar ausschlaggebend werden - so etwa auch in El Ejído. Trotz dieser liberalen Einwanderungspolitik ist die Zahl der Spanier, die sich in Umfragen besorgt über die Einwanderung äußern, seit vier Jahren rückläufig und liegt derzeit bei knapp 17 Prozent. Zur derzeitigen, aufgeheizten Stimmung in Italien sei dies ein herber Kontrast meint Gewerkschaftssprecher Haidur:

    "Ich glaube, die Gesellschaft ist in Italien deutlich komplexer als in Spanien. Die Politik dort richtet sich gegenwärtig gegen alles, was sie für links hält, Parteien, Gewerkschaften, Zeitungen, aber eben auch gegen soziale Standards, gegen die Armen im Allgemeinen. Ich würde die Vorfälle dort nicht davon isoliert und alleine im Zusammenhang mit der Einwanderung sehen. Das ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem in Italien."

    Allerdings sind auch in Spanien die Behörden mit der Wirtschaftskrise strenger geworden. Die Kontrollen von Einwanderern auf den Straßen haben zugenommen. Amnesty International hat jüngst die Verhältnisse in den Abschiebegefängnissen kritisiert. Dennoch: Auch nach den Bombenanschlägen aus Marokko stammender, islamistischer Fanatiker auf vier Madrider Nahverkehrszüge vor fünf Jahren sei es zu keinen Übergriffen gegen Marokkaner gekommen, erinnert sich Mohammed Haidur. El Ejído hat sich nicht wiederholt.