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"Integration und Arbeit gehören einfach zusammen"

Die Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländer ist nach Ansicht der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, ein deutlicher Fortschritt für die Betroffenen. Ihnen stünde nun die Möglichkeit offen, sich Arbeit zu suchen. Nun müsste alles unternommen werden, dass diese Menschen auch wirklich eine Arbeit bekommen, erklärte Böhmer.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Lange hatten sich nicht nur SPD und Union gestritten, sondern auch Bund und Länder. Doch nun sind die Streitfragen um Neuregelungen bei Zuwanderung und Bleiberecht vom Tisch. Das Kabinett soll heute beschließen. Doch Opposition, Flüchtlingsverbände und kirchliche Organisationen erheben Einwände. Sie sehen den Schutz der lange hier lebenden Ausländer und möglicher neuer Zuwanderer nicht mehr gegeben.

    Am Telefon ist nun die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration Maria Böhmer. Guten Morgen!

    Maria Böhmer: Guten Morgen!

    Engels: Was wird denn nun Ihrer Ansicht nach besser für Ausländer, die neu nach Deutschland wollen?

    Böhmer: Wir sprechen ja hier über diejenigen jetzt einmal primär, die schon länger in Deutschland leben, die Geduldeten. Das ist einer der großen Bestandteile des jetzt vorliegenden Gesetzespaketes, dass es zu einer Bleiberechtsregelung kommt für alle, die seit acht Jahren und wenn sie Kinder haben seit sechs Jahren in Deutschland leben, bisher oft einer Kettenduldung unterlegen haben und bestimmte Kriterien jetzt erfüllen.

    Das zweite ist, was Sie ansprechen, die Situation von Menschen, die neu nach Deutschland ziehen wollen, weil sie sich hier verheiraten wollen. Und wir sind auch konfrontiert - das muss man ganz klar sagen - mit einer Situation, die für Frauen oft bedeutet, dass sie in der Gefahr stehen, zwangsverheiratet zu werden. Deshalb sieht die neue gesetzliche Regelung vor, dass man ein Alter einzieht. Das sind 18 Jahre. Ich habe mich dafür sehr stark gemacht, dass es zu 18 Jahren kam, nicht zu 21 Jahren, weil in Deutschland und auch beispielsweise in der Türkei das Alter 18 Jahre gilt, um eine Ehe zu schließen.

    Engels: Kommen wir direkt auf diesen Aspekt des Ehegattennachzugs zu sprechen. Der wird ja auch von Opposition, Flüchtlingsverbänden und ebenso Caritas und Diakonie kritisiert, denn die nachziehenden Ehepartner sollen nun auch vor der Einreise Deutsch sprechen. Wie soll denn das möglich sein in der Praxis, denn Goethe-Institute in vielen Ländern sind oftmals zu teuer?

    Böhmer: Ja. Wir müssen hier aber die grundsätzliche Frage stellen: Wie helfen wir Frauen, die nach Deutschland kommen, hier auf Dauer leben wollen, weil sie verheiratet sind hier in unserem Land und dann doch möglichst schnell sich auch integrieren sollen? Ich habe viele Frauen inzwischen kennen gelernt, die seit langer Zeit hier leben und nur bruchstückhaft Deutsch sprechen, seit 10, 15 Jahren da sind, jetzt in einen Integrationskurs erst gehen. Hier ist es doch besser, man bereitet sich vor der Einreise nach Deutschland darauf vor, indem man Deutsch lernt. Und zwar geht es hier nur um den Erwerb geringer Deutschkenntnisse.

    Und Sie haben sicherlich Recht: nicht überall gibt es das Goethe-Institut. Aber es gibt ja heute auch andere Möglichkeiten. Wir wissen, dass Deutschkenntnisse über das Fernsehen vermittelt werden können, die Deutsche Welle. Ich war bei meinem Besuch in der Türkei in Gesprächen mit der politischen Seite und dort hat mir der Bildungsminister angeboten, dass gerade von Seiten der Türkei selbst Deutschkurse im Land organisiert werden sollen. Die Hürde kann also genommen werden und niemand wird wegen der mangelnden Angebote daran scheitern, dass er Deutsch lernt. Ich sehe das als eine große Hilfe und Stärkung für Frauen an.

    Engels: Haben Sie dann auch finanzielle Hilfen geplant, um das zu unterstützen?

    Böhmer: Es ist sicherlich jetzt ein Weg, der auszuloten ist, wie dieses Angebot aussehen soll, was die Türkei machen möchte. Wenn es um Angebote über das Fernsehen geht, dann ist das sicherlich etwas, was in jeden Haushalt hineingetragen werden kann. Und ich sage jetzt auch einmal man heiratet ja nicht von heute auf morgen, sondern man bereitet sich auf eine Eheschließung vor. Insofern ist dann mit Sicherheit genügend Zeit, um diese - und ich betone - geringen Deutschkenntnisse zu erwerben. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn man ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können nach Deutschland kommt.

    Engels: Kommen wir auf den Teil zu sprechen, der vor allen Dingen lange in der Diskussion war. Da geht es um das Bleiberecht für schon lange geduldete Menschen in Deutschland. Sie haben es angesprochen. Wer schon länger hier lebt, der kann jetzt Möglichkeiten finden hier zu bleiben. Wie viele können Ihrer Einschätzung nach von der Neuregelung profitieren, denn die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl spricht ja davon, dass es rund 100.000 sind, die mindestens betroffen sind?

    Böhmer: Es ist schwer abzuschätzen, wie viele es tatsächlich sind. Wenn wir das Kriterium der Dauer des Aufenthaltes hier in Deutschland zu Grunde legen, dann kann man wohl schätzen, dass es etwas mehr als 60.000 sein werden. Ich denke das ist schon ein deutlicher Fortschritt, der jetzt erreicht wird mit der bundesgesetzlichen Regelung zum Bleiberecht, übrigens das erste Mal, dass es zu einer solchen bundesgesetzlichen Regelung in dieser Art und Weise kommt, denn bis Ende des Jahres 2009 wird für die Betreffenden die Möglichkeit eröffnet, dass sie sich Arbeit suchen können, und Integration und Arbeit gehören einfach zusammen. Das schafft einen ganz anderen Ausgangspunkt für die Betreffenden, die hier in Deutschland leben wollen, die für sich und ihre Familie damit auch wirklich sorgen können, und das befördert die Integration.

    Engels: Und was geschieht mit den Menschen, die es bis Ende 2009 nicht schaffen, hier eine Arbeit zu finden?

    Böhmer: Ich glaube man sollte jetzt erst einmal auch die Arbeitgeber darauf hinweisen, dass durch die Veränderung im Aufenthaltsstatus eine ganz andere Ausgangssituation gegeben ist. Sie müssen nicht mehr die Sorge haben, dass jemand, dem sie morgen eine Arbeit anbieten und mit ihm einen Arbeitsvertrag schließen, dann in der Gefahr steht, Deutschland verlassen zu müssen, sondern sie haben einen verlässlichen Arbeitnehmer. Das ist auch wichtig, dass eine solche Weichenstellung vorgenommen wird. Deshalb sage ich, jetzt gilt es, diese Regelung zu nutzen für die Seiten derjenigen, die geduldet bisher in Deutschland gelebt haben, die jetzt ein Aufenthaltsrecht bekommen, und auch für die Seite der Arbeitgeber. Deshalb halte ich diese rechtliche Grundlage von entscheidender Bedeutung, damit die Menschen mehr Sicherheit haben, die in unserem Land leben, und es ging uns auch um die Kinder.

    Engels: Flüchtlingsverbände und Opposition kritisieren das aber als unrealistisch, denn bereits viele Deutsche seien langzeitarbeitslos. Da hätten gerade ausländische Arbeitsuchende auch bis Ende 2009 mit schwacher Qualifikation letztlich keine Chance. Noch mal also die Frage: nach Ende 2009 müssten sie gehen?

    Böhmer: Wir setzen ja noch einmal vorher an, denn alle Kräfte sind anzuspannen, dass diese Menschen, denen jetzt der Arbeitsmarkt offen steht, auch wirklich eine Arbeit bekommen. Das heißt ihnen stehen auch sämtliche Instrumente der Job-Center für die Arbeitsplatzsuche zur Verfügung. Sie können, wenn sie nicht ausreichende Deutschkenntnisse haben, an den Integrationskursen teilnehmen. Auch das ist eine wichtige Voraussetzung, die geklärt worden ist und die von entscheidender Bedeutung auch sein wird für die Arbeitsaufnahme. Und man ist auch nicht mehr an den Ort gebunden, an dem man jetzt wohnt. Das ist ja ein wesentliches Kriterium, weil die Arbeitsmarktsituation ist in unserem Land unterschiedlich, sondern sie können mobil sein, an einen anderen Ort gehen und dort Arbeit aufnehmen. Deshalb sage ich, wir müssen jetzt alles daran setzen, dass diese Regelungen, die greifen und die damit auch eine Frist von über zweieinhalb Jahren für die Betreffenden eröffnen, dass dieses jetzt auch realisiert wird. Das ist mein Bestreben, hier Unterstützung zu geben, damit die Menschen eine richtige Perspektive in unserem Land haben.

    Engels: Kritik gerade der Grünen kommt auch daran, dass jetzt die Einbürgerungsvoraussetzungen auch schwieriger geworden seien. Stichwort Wissenstest oder auch eben die Frage der verpflichtenden Deutschkenntnisse. Ist das im Sinne der Integration?

    Böhmer: Ja! Das sage ich ganz deutlich und man muss hier auch einmal überlegen, was Einbürgerung bedeutet. Das heißt jemand bekommt alle Rechte und Pflichten als deutscher Staatsbürger. Hier ist es auch wichtig, wenn man diese Rechte und Pflichten ausüben will, dass man darüber informiert ist. Deshalb die Überlegung auch, dass man durch ein entsprechendes Angebot dieses Wissen vermittelt. Das kennen wir aus den USA, das kennen wir aus anderen Ländern.

    Engels: Und dafür ist auch genug Geld da?

    Böhmer: Natürlich! Man kann ja nicht eine gesetzliche Regelung machen, ohne dass das finanziell unterfüttert ist. Das bedeutet auch für die Betreffenden, dass sie sich damit besser darauf vorbereiten können. Die Einbürgerung ist ein wichtiger Schritt im Leben eines jeden Menschen und wenn ich dann alle Rechte und Möglichkeiten in unserem Land habe, dann muss ich auch wissen, worum es sich handelt.

    Engels: Die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration Maria Böhmer (CDU). Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Böhmer: Ich danke Ihnen auch.