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Integrationshilfe in Frankreich

Jeder fünfte Einwohner Frankreichs stammt von Einwanderern ab. Der fanzösische Verein "Paroles d’Hommes et de Femmes" kümmert sich um die alltäglichen Probleme von Migranten und hat für ein Projekt mehrere Generationen von Einwanderern zusammen gebracht.

Von Suzanne Krause |
    Morgens um kurz nach neun trudeln um die 15 Jugendliche in dem Klassenzimmer ein: eine Blondine aus Rumänien, zwei schmale Burschen, Brüder, aus Thailand, gefolgt von einem stämmigen Jungen: Er schlug sich alleine von Afghanistan nach Frankreich durch. Erwartet werden sie von einer Handvoll Rentnern, Zeitzeugen: Ein gebrechlich aussehender Herr aus Laos, der als politischer Flüchtling nach Frankreich kam. Sein Nachbar kam vor 50 Jahren zum Medizinstudium aus Guinea nach Paris und blieb hier hängen. Eine rundliche Afrikanerin im traditionellen Batikkleid ergreift das Wort:

    "Ich bin seit 30 Jahren in Frankreich und dreifache Mutter. Ich schreibe Texte und Gedichte, um unseren Kindern zu erklären, wo sie herkommen. Denn ein Sprichwort besagt: Wer nicht weiß, woher er stammt, weiß auch nicht, wohin er im Leben gehen wird."

    Ein Dauerthema in Frankreich: Knapp jeder fünfte Einwohner stammt von Einwanderern ab. Von Migranten wie Margarete Rennert. Sie kam 1935 in Bad Homburg zur Welt, in großbürgerlichen Verhältnissen. Im Krieg zerbrach die Ehe ihrer Eltern, 1947 zog Margarete mit ihrer Mutter und deren neuem Mann in dessen Heimat um, ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener. Seither lebt sie im Großraum Paris. Detailreich schildert die vife Rentnerin den Schülern eineinhalb Stunden lang nicht nur den Alltag im Dritten Reich. Sondern auch, dass sie, die zwölfjährige Einwanderin, ein Jahr brauchte, um nicht mehr als Deutsche angefeindet zu werden. Die Wende kam, als die Schüler am 11. November, dem Gedenktag zum Ende des ersten Weltkriegs, auf einem Soldatenfriedhof die Marseillaise singen sollten.

    "Ich sagte zu meiner Mutter abends: Wie kann ich als Deutsche das auf den Gräbern der Franzosen singen? Meine Mutter sagte: Du lernst das jetzt phonetisch, weil ich konnte ja kein Französisch und du gehst hin und singst und denkst an alle Soldaten, die im Krieg ums Leben gekommen sind. Und das war dann gut, das konnte ich dann besser integrieren in meinem Gewissen. Und dann bin ich hin, hab mitgesungen. Und seit diesem Tag an war ich integriert in der Schule, bei den Lehrern, bei den Schülern."

    Ihren Kindern hat Margarete Rennert von ihrer Kindheit in Deutschland nie erzählt. Sie schämte sich ihrer Abstammung, gesteht sie den Schülern. Darunter Mehdi, 18 Jahre alt und lang aufgeschossen. Nach dem Tod der Eltern kam er vor einem Jahr aus Marokko nach Frankreich: Mit einer Lehre im Hotelfach will er sich eine neue Zukunft aufbauen.

    "Die Begegnung mit den betagten Einwanderern interessiert mich sehr, denn auch mein Leben war bislang nicht sehr einfach. In Frankreich fühle ich mich fremd, tagtäglich. Es ist heftig, was die Dame aus Deutschland alles überstanden hat, den Krieg und so weiter. Dass sie ihr Leben trotzdem meisterte, macht mir Mut. Ich kenne sonst keine älteren Leute, die mir ihre Erfahrungen weitergeben könnten."

    Im Straßencafé erzählt Frédéric Praud von den Erfolgen seines Vereins für die interkulturellen und intergenerationellen Begegnungen. Seit 2002 gibt es den Verein und seitdem hat er 120 Zeitzeugen in über 100 Schulen gebracht.

    "Solche Begegnungen fördern das staatsbürgerliche Denken. Sie schlagen Brücken zwischen Jung und Alt. Den Zeitzeugen verhilft das zu einer neuen Rolle in der Gesellschaft. Und die Jugendlichen profitieren von deren Erfahrungen, um ihren eigenen Weg zu finden."