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Integrationsprojekt
Flüchtlingsschlauchboote werden zu Designertaschen

62.500 Flüchtlinge und Migranten sind bisher in Griechenland gestrandet. Ihr Transportmittel über das Meer: Schlauchboote. Aus diesen stellt ein Integrationsprojekt aus Berlin nun hochwertige Taschen und Portemonnaies - auch mit Flüchtlingen, die in genau solchen Booten die lebensgefährliche Überfahrt wagten.

Von Cornelius Wüllenkemper | 18.05.2017
    Zu sehen ist das Team des Labels Mimycri, welches einen Rucksack begutachtet, der aus zurückgelassenen Flüchtlingsschlauchbooten hergestellt wurde.
    Die Schlauchboote am Strand von Griechenland wurden kurzerhand in Teile zerschnitten, in Kisten verpackt und per Spedition nach Berlin transportiert. (Deutschlandfunk/Julian Voltmann)
    "Hier schau, das sind drei Schichten. Manchmal bringen wir die Maschine damit zum Rauchen."
    Abid Ali setzt vorsichtig eine Naht auf einen dicken, dreilagigen Gummistoff. Der 35-jährige Pakistani ist seit 18 Monaten in Deutschland. In seiner Heimat hat er in einer Textilfabrik gearbeitet, bis er sich auf den Weg nach Europa gemacht hat, durch den Iran in die Türkei. Und schließlich im Schlauchboot auf die griechische Insel Lesbos. An die Überfahrt erinnert sich Abid noch genau:
    "Unser Schlauchboot war blau-grau, mit einem Außenborder von Yamaha. Wir kamen in stürmisches Wetter. Und ich habe schließlich das Steuer übernommen. Nach fast zwei Stunden Fahrt hatten wir es dann geschafft, alle sind sicher rüber gekommen, vor allem auch die sieben Kinder."
    Zurückgelassene Schlauchboote als Material
    Dass aus den Schlauchbooten, in denen er und viele andere Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt nach Griechenland wagen, mal Designertaschen hergestellt würden, hätte Abid Ali wohl nicht gedacht. Mimycri, so heißt das Label von Vera Günther und Nora Azzaoui, mit dem die beiden Berlinerinnen aus den zurückgelassenen Schlauchbooten in ihrem Atelier Rucksäcke und Portemonnaies produzieren. Dreimal waren die beiden jungen Frauen in Griechenland, um zu helfen, die Strände von den Überresten der Flüchtlingsankunft zu säubern, vor allem ausgediente Schlauchboote, Schwimmwesten und Kleidungsstücke einzusammeln.
    Zu sehen ist das Team des Labels Mimycri, welches einen Rucksack begutachtet, der aus zurückgelassenen Flüchtlingsschlauchbooten hergestellt wurde.
    160 Euro kostet ein solcher Rucksack, den das Team Mimycri im Fab Lab Berlin herstellt. (mimycri / Julian Voltmann)
    "Die erste Zeit, die wir da verbracht haben, war sehr intensiv. Da kamen ganz viele Leute pro Nacht an, da hatte man gar keinen Raum, zu überlegen, was man noch mit den Sachen machen könnte. Da war immer so viel Müll, was macht man damit? Dann sind wir nach Hause gefahren, haben ein Stück mitgenommen und haben das einem befreundeten Designer gezeigt und dann gemerkt: Man kann was damit machen."
    Gesagt getan: Die Schlauchboote wurden kurzerhand in Teile zerschnitten, in Kisten verpackt und per Spedition nach Berlin transportiert. Schnell fand sich ein Team aus Asylsuchenden und Freiwilligen, die die Idee des Up-Cycling mit Kreativität, dem Engagement für Integration und der Hoffnung auf eine Perspektive in Deutschland verbinden wollte. Neben dem pakistanischen Näher Abid Ali besteht das Mimycri Team mittlerweile aus rund zehn Mitarbeitern aus sieben Nationen. Auch Nora Azzaoui, die eigentlich als Unternehmensberaterin arbeitet, lernt noch täglich dazu.
    "Hassan ist aus Syrien, eigentlich Architekt, der hat gute Ideen zu Formen und wie Sachen aufeinander abgestimmt werden können. Und dann haben wir Abid, der die Sachen toll umsetzen kann. Ich hab auch gelernt, dass ein Designer nicht jemand ist, der das dann zwangsläufig gut nähen kann. Es ist gut, dass hier diese beiden Qualifikationen da sind."
    Im Netz werden Aufträge gesammelt
    Einmal in der Woche trifft sich das Mimycri Team im Atelier, um neue Taschenmodelle zu entwerfen, über Produktionsmethoden und zukünftige Schritte zu diskutieren. Bevor es an die Herstellung der qualitativ hochwertigen Rucksäcke geht, werden im Netz Aufträge gesammelt und je nachdem Materialbedarf und Produktionszyklen angepasst. Noch ist Mimycri auf Fördergelder von Spender angewiesen. 100 Rucksäcke hat das Team in diesem Jahr bereits verkauft, zum Preis von immerhin rund 160 Euro. Die Wirtschaftlichkeit steht bei ihren Accessoires aus ausgedienten Flüchtlingsbooten nicht im Vordergrund, betont Nora Azzaoui.
    "Es ging uns mehr darum, ein Alltagsprodukt zu schaffen, das eine Geschichte mit sich trägt. Was macht das mit dir, wenn du das Material anfasst, was bedeutet das? Und ich glaube, die Taschen eignen sich sehr gut, weil sie sehr robust sind und wasserabweisend. Aber wir sind auch offen für neue Vorschläge, was man daraus alles machen könnte."
    Bis heute arbeiten alle Mimycri-Mitarbeiter ehrenamtlich. Gerne würde Nora Azzaoui ihren Helfern baldmöglich zumindest eine Aufwandsentschädigung zahlen. Dafür bemüht sich Abid Ali, der Näher aus Pakistan, derzeit um die nötigen Dokumente vom Amt.