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Intelligente Braille-Zeile

Messe. – Verbesserte Ausgabegeräte, die Blinden und Sehbehinderten auch das mobile Internet erschließen werden auf der größten Fachmesse "Sight City" in Frankfurt präsentiert. Es gibt wohl keine innovative Technologie mehr, die auf der Sight City nicht vorgestellt worden ist, zum Beispiel GPS, RFID und neue, drucksensible Braille-Zeilen.

Von Klaus Herbst | 10.05.2007
    "Wir verstehen Dich nicht."
    "Wer soll Dich denn verstehen können?"

    Mitten drin im Messegetümmel steht ein Riesenrad aus Holz mit einer Besonderheit: An jeder Sprosse ist ein RFID-Funk-Chip angebracht, ein so genannter Tag. Mit einem Lesegerät, das aussieht wie eine Laserpistole, kann ein Blinder sich Geschichten vorlesen lassen – je nach gewähltem Tag in vielen Weltsprachen und mit verschiedenen Stimmen.

    "Das soll einfach dazu dienen, dass sich Interessenten viele Sprachen anhören können und vergleichen können, reinhören können, um herauszufinden, mit welcher komme ich am besten zurecht."

    Das Sprach-Karussell ist mehr als eine Spielerei. Es ermöglicht dem blinden Menschen erstmals, sich nahtlos im laufenden Text die verschiedensten Stimmen anzuhören und diejenigen auszuwählen, die er am besten versteht. Das bedeutet viel mehr Komfort für Blinde bei der Sprachausgabe, auf die sie sehr oft angewiesen sind. Auch zum spielerischen Vokabellernen lässt sich das Gerät benutzen, dessen technisch wichtigste Komponenten RFID-Funk-Chips sind. Nicht nur auf dem Gebiet des Hörens werden originelle und technisch innovative neue Lösungen vorgestellt, sondern auch auf dem Gebiet des Lesens mit der bewährten Braille-Zeile. Deren Pins, kleine Stifte, geben, bewegt durch piezoelektronische Aktoren, dem Blinden bis zu 80 Zeichen auf die Finger. Das funktioniert erstmals auch in umgekehrter Richtung. Die Firma Handytech in Horb am Neckar stellt Geräte her, die am Druck der Finger erkennen, wo der Blinde sich gerade befindet, und ob eine andere Textzeile angesteuert werden muss. Manuel Schunk:

    "Ich lese, ich bewege mich. So, jetzt bin ich am Zeilenende. Jetzt hat er umgeblättert. Haben Sie es gesehen? – Ja. – So, jetzt lese ich hier weiter. Ich lese jetzt natürlich sehr langsam, sehen Sie ja, er blättert weiter. Was wir jetzt neu entwickelt haben ist das ATC, das heißt Active Tactile Control. Das ist so eine aktive Tastkontrolle, das heißt die Braille-Zeile tut selber was. Sie erkennt, wo sich mein Lesefinger befindet auf der Braille-Zeile."

    Die kleinen Pins des Lesegerätes werden also nun erstmals dazu verwendet, dem Computer Befehle zu geben. Schunk:

    "Wenn ich diese Eigenschaft habe, dass die Braille-Zeile das erkennt, kann ich daran immer Aktionen koppeln. Bisher wenn die Braille-Zeile zu Ende gelesen war, also ich war am Ende angekommen, dann musste ich einen Knopf drücken. Die Braille-Zeile springt in die nächste Zeile. Ich lese weiter, muss ich wieder die nächste Zeile drücken. Jetzt kann ich so einstellen, dass das ATC erkennt, wo der Finger ist, sobald ich das letzte Zeichen überschritten habe, was in dieser Braille-Zeile, schaltet die Braille-Zeile automatisch in eine neue Bildschirmzeile um, ohne dass ich überhaupt irgendeinen Knopf drücken muss, dass ich von der Braille-Zeile weg muss. Es ist halt eine eindeutige Verbesserung der Ergonomie."

    Wie die Pins der Braille-Zeile den Fingerdruck messen, behandelt Vertriebsleiter Hans Katalenic als Betriebsgeheimnis. Im Prinzip handelt es sich wohl um eine elektrische Druckmessung, die bei jedem Nutzer neu kalibriert, also neu erlernt werden muss. Katalenic:

    "Da müssen wir an jedem einzelnen Pin die Druckmessung machen und natürlich auch noch justierbar machen, weil jeder User, jeder Anwender drückt verschieden, und deswegen ist es auch notwendig, das einzustellen. Und, klar, im Prinzip ist es schon so ein Know-how, das wir nicht unbedingt preisgeben."

    MDAs, PDAs, Mobiltelefone – eine Vielzahl von Herstellern auf der Sight City erschließt Blinden und Sehbehinderten heute die mobile Welt der Telekommunikation fast vollkommen. Das Schreiben von SMS, das Verwalten der eigenen Adressdaten und Termine, das alles ist gelöst. Hier war die Entscheidung für das Betriebssystem entscheidend, denn bei Mobiltelefonen gibt es keine Monokultur wie bei PCs. Winfried Volz:

    "Symbian ist halt derzeit Marktführer in diesem Bereich und wird vor allem die Hauptanteile durch Nokia abgedeckt. Nokia besitzt so circa an die 60 Prozent dieses Betriebssystems, und damit haben wir einen relativ starken Hersteller, wo man mit rechnen kann, dass zukünftig da Weiterentwicklungen auch sind. Es ist einfach die größte Vielfalt an Handymodellen, die es mit diesem Betriebssystem gibt."

    Auf diese Weise nutzen Blinde nun sämtliche Funktionen moderner Mobiltelefonen – bis jetzt mit einer Ausnahme. Volz:

    "Wo jetzt der Hersteller gerade ein bisschen Schwierigkeiten hatte, ist das Internet übers Handy. ES gibt viele verschiedene Techniken, ins Internet zu gehen. Und da gab es bis jetzt noch keine richtig tolle Möglichkeit, als Sehbehinderter oder Blinder über diese Sprachausgabe oder über unsere Software dann in das Internet zu gehen. Inzwischen hat jetzt der Hersteller eine Möglichkeit gefunden, wo er auch derzeit dran arbeitet, dass man egal welcher Browser auf dem Handy installiert ist relativ einfach dann ins Internet kommen wird."

    Den elektronischen Blindenhund wird es wohl noch lange nicht geben. Dafür ist das Satellitennavigationssystem GPS zu ungenau. GPS im Handy gibt aber Informationen über in der Nähe liegende Apotheken und Geschäfte. Und es erspart dem Blinden das mühsame und fehlerträchtige Abzählen von Straßen zwecks Orientierung. Im Rahmen des EU-Projekts "Enable" wird gerade daran geforscht, welchen weiteren Zusatznutzen die GPS-Navigation für Blinde bietet.