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Intelligente Gaumenkitzelprosa

Das völlige Fehlen von Vorsicht ist vielleicht das bezeichnendste Merkmal eines echten Gourmets. Er braucht sie nicht, ist er doch erfüllt von gottgegebener, klug kultivierter gastronomischer Freiheit.

Von Sacha Verna | 06.07.2008
    Gottgegeben, klug kultiviert? Beherrschen heute nicht Fast Food und Wettkampf-Fresser, obszöne Überfeinerung und Starköche die Szene? Wie auch immer: Man wird MFK Fisher, von der das Zitat stammt, die Arglosigkeit ihrer Beschreibung eines Genussmenschen nachsehen. Denn diese Gastrosophin kommt aus einer Zeit, in der die Welt eine unschuldigere war. Einer Zeit, in der noch nicht unzählige Gerne-Esser und Möchtegernschreiber mit ihren Ergüssen über Fois-gras-Chips und Dosen-Ravioli die Bloggosphäre verstopften und sich die beschürzten Stars der Gegenwart, die Fernseh-Mälzers, -Lafers und -Wieners aufs gänzlich publikumslose Spaghetti-Umrühren daheim beschränkten; einer Zeit, in der der Markt für Gastropornografie in Form von fetten Hochglanzzeitschriften und dekadenten Bildbänden ein sehr kleiner und eine Hausfrau mit Omas Rezept für Apfelkuchen bestens bedient war. Mit anderen Worten: In jener untergegangenen Welt der MFK Fisher war die Feinschmeckerei noch kein medialer Volkssport und MFK Fisher selber eine Pionierin.

    Ihr sind Bonmots zu verdanken wie:

    Ich liebe Kutteln. Ich koche mir einen großen Topf davon, wann immer ich alleine essen möchte.

    Wo Rauch ist, ist auch Toast.

    Hochzeitstorten zählen zu den am wenigsten bekömmlichen Speisen.

    Etwas Intimeres als Sex? Ein Ei, bevor es aufgeschlagen wird.

    Mary Frances Kennedy Fisher verwandelte Tellerinhalte und Tafelfreuden in Literatur. Die 1908 in Michigan geborene und 1992 in Kalifornien verstorbene Autorin bewies in Klassikern wie "Consider the Oyster” oder "How to Cook a Wolf”, wie viel mehr Essen darstellen kann, wenn man es als kulturelle Metapher begreift statt als bloße Lebensnotwendigkeit. Und wie viel köstlicher es ist, zu leben um zu essen, als zu essen um zu leben.

    Die Leute fragen mich: "Warum schreibst Du über Essen und Trinken?”

    erklärte MFK Fisher einmal.

    "Warum schreibst Du nicht über den Kampf um Macht und Sicherheit und über Liebe, wie es andere tun?” Sie fragen es anklagend, als entehrte ich mit meinem Tun meinen Beruf. Die einfachste Antwort darauf lautet: Wie die meisten Menschen habe ich Hunger. Aber es ist mehr als das. Mir scheint, dass die drei fundamentalen Bedürfnisse nach Essen, Sicherheit und Liebe so eng miteinander verbunden sind, dass sie getrennt voneinander nicht denkbar sind. Wenn ich also über Hunger schreibe, dann schreibe ich in Wirklichkeit über die Liebe und den Hunger nach Liebe und über Wärme und den Hunger nach Wärme.

    In den Vereinigten Staaten gilt MFK Fisher als Doyenne der intelligenten Gaumenkitzelprosa. Ihr umfangreiches Werk umfasst neben fünfzehn Essaybänden und zahlreichen Artikeln für die legendäre Zeitschrift The New Yorker auch die nach wie vor beste Übersetzung von Brillat-Savarins "Physiologie des Geschmacks” ins Englische. Um in den USA ihre Bücher zu finden, braucht man keine Spezialbuchhandlung aufzusuchen. Manchmal reicht schon ein Gang zum Bahnhofskiosk.

    Ganz anders liegen die Dinge im deutschsprachigen Raum. Hier ist MFK Fisher praktisch unbekannt. Es ist deshalb erfreulich, dass die Edition Ebersbach nun willens zu sein scheint, der Schriftstellerin auch bei uns zur verdienten Größe zu verhelfen - vorausgesetzt, eine erste Kostprobe weckt beim Publikum den Appetit auf mehr. Denn wie sagte doch MFK Fisher?

    Appetit ist die feinste Sauce.

    Zu MFK Fishers hundertstem Geburtstag am 3. Juli hat die Edition Ebersbach "Köstliche Jahre. Eine Amerikanerin im Herzen Burgunds” herausgebracht. In dem schmalen Band, der 1991 im Original erschien, erinnert sich die Autorin an ihre kulinarische Initiation im Frankreich der Zwischenkriegszeit. Sie war frisch vermählt, naiv und neugierig, als sie 1929 mit dem ersten ihrer drei Ehemänner nach Dijon zog.

    Es war wohl der 20. September, als ich mit meinem Mann auf den Stufen der Faculté des Lettres in der Rue Chabot-Charny in Dijon, Frankreich, verließ und tapfer und allein das feuchte, dunkle und furchtbar alte Gebäude betrat. Irgendwie gelang es mir, mich in dieser neuen Sprache gerade so gut als möglich zu verständigen, dass ich eine Liste mit Unterkünften für ausländische Studenten erhielt.( ... )Dann spazierte ich durch die fremden Straßen, die mir von diesem Augenblick an nie wieder fremd waren. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie es mir gelang, mich in den gewundenen Straßen zurecht zu finden. Es war so, als ob mich eine Brieftaube oder ein Engel genau dorthin führten, wo ich mich hinbegeben sollte. Plötzlich war ich dort, mitten auf der Place d'Armes, die sich im Zentrum von Dijon befindet und damit auch im Zentrum von Frankreich.

    Während ihr Gatte an der Universität fleißig seine Promotion vorantrieb, besuchte MFK Fisher pflichtbewusst Französischkurse und dilettierte an der örtlichen Kunstakademie vor sich hin. Tatsächlich aber befreite sich das unbedarfte Yankee-Girl in den drei Jahren bis zu ihrer Rückkehr nach Amerika für immer von den puritanischen Fesseln ihrer Familie:

    Erst heute weiß ich, dass ich in Dijon erwachsen wurde, zu lieben, zu essen und zu trinken lernte und damit ich selbst zu sein und nicht das, was von mir erwartet wurde. Damals lernte ich, dass es ein Segen ist, etwas von anderen Menschen anzunehmen, und dass jeder Mensch, ganz gleich welcher gesellschaftlichen Schicht er entstammt, meinen Respekt und meine Hochachtung verdient.

    Und im Burgund, dessen deftige Küche in so klarem Gegensatz stand zur raffinierten Kochkunst, die sie später in Paris und anderswo kennen lernen sollte, hier verlor sich MFK Fisher auf ewig im wunderbaren Reich Epikurs.

    Die meisten unserer Orgien waren freiwillig, aber dennoch bezweifle ich, dass selbst noch abgestumpftere Lebern als unsere den tausend giftigen Attacken hätten widerstehen können. So oft wir es uns leisten konnten, gingen wir in die Restaurants der Stadt, der Côte d'Or und selbst in Richtung Morvan, an den Lac de Settons, nach Avallon und hinunter in die Gegend um Bresse. Wir aßen Terrinen von pâté, die unter ihrer festen Kruste aus ranzigem Fett zehn Jahre alt waren. Wir steckten Servietten unter das Kinn und planschten in köstlich duftende Schüsseln mit écrevisses à la nage. Wir verdarben unsere Gaumen mit Schnepfen, die so lange hingen, bis sie von ihren Haken herunterfielen, um dann gebraten auf ein Toastbett gelegt zu werden, das von einer Paste aus ihren fauligen Innereien und einem feinen Brandy ganz aufgeweicht war. In Dorfküchen aßen wir heiße Lauchsuppen, die mit Weißwein und Fetzen von gepökeltem Schwein zubereitet worden waren.

    Schnecken nach Burgunder Art, mit Knoblauch, Butter, Weißwein und Petersilie, Milchlamm à la mode printanière mit Artischocken, Thymian, Lorbeer und Orangenschale, Ragouts, Confits, deliziös-stinkender Käse, Soufflés, Petit Fours, Schaumwein und pain d'épices, Ingwergewürzkuchen - einer jungen Frau, deren Mutter und Großmutter stolz darauf waren, ihre Lieben nach dem Prinzip "je fader desto besser” zu ernähren und die Genuss am Esstisch für eine Sünde hielten, MFK Fisher also fühlte sich in der Provinzstadt Dijon schlicht ins Schlaraffenland versetzt. So beschreibt sie den Abend, als sie und ihr Mann Al zur Feier ihres ersten Hochzeitstages und zum ersten Mal in ihrem Leben richtig fein zum Essen ausgingen, und zwar ins beste Lokal der Stadt:

    (Der Kellner) reichte uns die Speisekarten und machte zwei Vorschläge, ein Menu für zweiundzwanzig Francs und das andere, das dîner de luxe au prix fixe für fünfundzwanzig Francs. Natürlich entschieden wir uns für letzteres, obgleich das erste schon fantastisch genug klang, eine Abfolge nebulöser und sagenhafter Wörter: pâté truffé Charles le Téméraire, poulet en cocotte aux Trois Faisans, civet à la mode bourguignonne ... serviert in acht oder neun Gängen ... ( ... )Wenn ich heute zurückdenke, dann war dieser erste Abend unglaublich. Unsere Jugend war der einzige Grund dafür, dass wir ihn überlebten.( ... )Allein der Gedanke an ein prix-fixe-Essen, in Frankreich oder anderswo, lässt mich heute schaudern. Aber in jener Nacht halfen die freundlichen Geister von Lukullus und Brillat-Savarin, aber auch die von Rabelais und einigen hundert anderen, unseren abenteuerlustigen Bäuchen die Arbeit zu erleichtern und die Zungen zu besänftigen.

    Aber auch die Wirte, bei denen sich MFK Fisher und ihr Angetrauter Al für 25 Dollar pro Monat eingemietet hatten, servierten sich selber und ihren Gästen täglich Menüs, wie man sie sich in MFK Fishers Familie nicht einmal an Thanksgiving gegönnt hätte. Die Franzosen fanden das offenbar ganz normal, unabhängig davon, ob sie von Natur aus geizig oder verschwenderisch waren. So galt die erste Wirtin des Paares als

    gerissenste Schnäppchenschlägerin, die knallhärteste Kundin, die je die Märkte der Stadt heimgesucht hatte.( ... ) Ladenbesitzer senkten automatisch ihre Preise, wenn sie sie kommen sahen, aber selbst dann betastete sie noch argwöhnisch die besten Bananen und verlangte noch, die zurückgehaltene Ware zu sehen( ... )und dann einige Tage später wurden sie mit Sahne (zum halben Preis, weil sie bereits sauer wurde) und Kirschschnaps (billig erstanden, da er nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet war und Madame schon zuviel über das Privatleben des Weinhändlers wusste) serviert. Sie schmeckten immer köstlich.( ... ) Jeden Mittag gab es einen Salat, entweder vor oder nach dem Fleisch, und immer Käse, dessen Datum abgelaufen und der noch immer sehr gut war. Es gab jede Menge Topinambur, der sehr billig war. Er war köstlich und süß, meistens frittiert zu kleinen knusprigen Dingern, die wir ab und zu mit Sahne aßen.

    In Madames Küche hätte sich selbst ein gekochter Schuhe in den zartesten Sonntagsbraten verwandelt, so MFK Fisher. Denn dass es immer einen zarten Sonntagsbraten gab, verstand sich von selbst. Wobei MFK Fisher angesichts Madames genialen Geizes nichts ausschließen möchte:

    Möglicherweise war es ja ein ein gekochter Schuh.

    Ganz anders, aber natürlich nicht minder gargantuesk verhielt sich MFK Fishers zweite Gastfamilie:

    Wir waren die ersten Untermieter, die die Familie jemals gehabt hatte und ich bin mir sicher, dass wir jeden Monat viel mehr aßen und tranken als wir bezahlten.( ... )Aber selbst wenn wir versucht hätten, ein Stück vom Brandy-Kuchen oder einen Teller cremiger Suppe weniger zu essen (hätte sie) ihren Lebensstil fröhlich weitergeführt und immer noch köstlichere Lammhaxen, Fässer von Wein und das teuerste Gemüse gekauft.
    MFK Fisher erinnert sich an

    die zahllosen Geburts- und Namenstage und die Tage der Heiligen mit all dem Champagner und den getrüffelten Gänsen; die gewöhnlichen Abendessen unter der Woche, die nach dem schweren Mahl am Mittag leicht waren, wenn soufflés beim ersten Anstich lustvoll seufzten und kalter Braten, Salate und gekühlte Früchte in Wein und Sahne auf uns warteten.

    Es gab in Dijon sogar einen Club, den Club Alpin, der die Völlerei als Kunstform pflegte. Die Passagen, in denen MFK Fisher die Expeditionen schildert, die sie mit den kuriosen Mitgliedern des Club Alpin unternahm, gehören zu den amüsantesten in diesem Buch. Offizieller Daseinszweck des Club Alpin waren einmal im Monat ein sportlicher Spaziergang und die Besichtigung einer historischen Sehenswürdigkeit, die sich daran anschloss. Der inoffizielle Daseinszweck bestand freilich darin, einmal im Monat zu speisen wie die ausgehungerten Kinder Pantagruels. Zufällig befanden sich die Schlösser, Schlachtfelder oder Kirchen, die man zu studieren gedachte, nämlich immer in der Nähe des exquisitesten Lokals und des berühmtesten Weinguts der Gegend.

    Der Ablauf war immer gleich: ein belebender Spaziergang vom Bahnhof und dem kleinen Zug aus, der uns von Dijon zum jeweiligen Ort gebracht hatte, dann vier oder fünf Stunden, die mit Essen und Trinken verbracht wurden, und schließlich die lange Promenade, das Klettern, die Besichtigung von Denkmälern und zerfallenen Gemäuern. Zwar waren Al und ich wahrscheinlich dreißig Jahre jünger als die anderen Klubmitglieder, mehr als einmal bewahrte uns allerdings allein pure Tapferkeit davor, in den nächstbesten Graben in ein Digestiv-Koma zu fallen.

    Zwar schrieb das Protokoll vor, dass man die pädagogisch wertvollen Wanderungen mit demselben Enthusiasmus absolvierte wie man die regionale Küche und die Jahrgänge erforschte, doch:

    Mehr als einmal fanden wir ( ... ) etwa zwei Stunden nach unserem Mahl durch Zufall heraus, dass es nebem dem château in einem kleinen Dorf auch einen winzigen Patisserieladen gab, wo eine gewisse steinalte Dame Sauerrahm-fantaisies herstellte, die in ihrer Art in Frankreich einzig waren.
    "Mein Gott”, rief Monsieur Vaillant, der Advokat im Ruhestand aus, nachdem wir etwa zur Hälfte die Besichtigung eines privaten Landhauses hinter uns hatten, in dem eine von Maintenons abgeschobenen Maitressen zwanzig Jahre mit Muße damit zugebracht hatte, chinesische Pagoden auf Wandtäfelungen zu malen. "Mein Gott, verdammter Mist! Das ist doch eine Schande! Wir sind hier nur einen zehnminütigen hübschen Spaziergang von einer der großen, der größten Patisseriemeisterin aller Zeiten entfernt!( ... ) Wir beenden die Besichtigung!”, schnaubte Monsieur Vaillant.


    Und weiter ging die Orgie.

    In Frankreich lernte MFK Fisher auch, das Leben als Luxus zu betrachten, der nicht vom Geldbeutel abhängt, sondern von der Fähigkeit, in vollen Zügen zu genießen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Nach Möglichkeit natürlich in mehreren Gängen.

    Ich lernte unter anderem auch, dass man Fleisch und Hartkäse kiloweise kaufte, aber dass Butter und geriebener Käse, egal wie viel man davon verlangte, immer in Gramm abgewogen wurde. Ich lernte, dass die Standbesitzer auf dem Markt hartgesottene, lautstarke Menschen waren, die sich über Leute lustig machten und immer eine kleine Menschenmenge um sich herum versammelten, aber auch, dass sie sehr freundlich und nett waren, wenn man sich an ihren Frotzeleien nicht störte. Ich lernte zudem, immer alte Zeitungen mitzunehmen, um Dinge darin einzuwickeln, genauso meine eigenen Schüsseln und Kannen für Sahne, Milch und ähnliches. Mit den müdesten Füßen meines Lebens lernte ich schließlich, dass die Ernährung in einer Stadt wie Dijon bedeutete, endlose Kopfsteinpflastermeilen von einem kleinen Geschäft zum anderen abzulaufen ... Butter hier, Wurst dort, Bananen wieder ganz woanders, Reis, Zucker und Kaffee erneut an ganz anderen Orten.

    Wie wäre es also mit einem zweiten Gang MFK Fisher? Unbedingt. Nur, und das ist jammerschade, macht gerade dieser Band nicht übermäßig Lust darauf.

    "Köstliche Jahre” ist von einzelnen hübschen Anekdoten abgesehen eine bedauerlich wirre und repetitive Sammlung von Reminiszenzen. Es wimmelt darin von Superlativen, die sich in ihrer Fülle selber entwerten. Jedes Gericht ist das köstlichste, üppigste, ausgefallenste, das MFK Fisher gekostet hat. Jede neue Bekanntschaft die bereicherndste, interessanteste, ungewöhnlichste, jede Erfahrung die einzigartigste, wichtigste, unwiederbringlichste. Dies, jener und das ist:

    Die fürchterlichste Demütigung, die ich je erlebt habe ... das rattenähnlichste menschliche Wesen, das ich je gesehen habe ... eines der befriedigendsten Dinge, die ich je gegessen habe.
    Wenn man bedenkt, dass die Autorin 1929 gerade mal Anfang zwanzig war, wundert man sich, wie sie die sechzig Jahre, die ihr noch bevorstanden, zugebracht hat, ohne vor lauter gelebtem Mittelmaß und Langweile in Depressionen zu verfallen. Ungleich eleganter und geistreicher hat MFK Fisher ihre Dijoner Zeit etwa in ihrem autobiographischen Bestseller "The Gastronomical Me” beschrieben.

    Auch von dem Stil, der W.H. Auden ins Schwärmen brachte, ist in "Köstliche Jahre” kaum eine Spur. Wo einem ihre Worte in anderen Werken wie Bonbons im Mund zergehen, mutet MFK Fisher dem Leser hier eine holprige Fahrt übers Dijoner Kopfsteinpflaster zu. Das Feingefühl und Verständnis, das sie anderswo den Menschen und Mahlzeiten entgegenbringt, die sie kennenlernt und beschreibt, oder ihre klugen Beobachtungen angesichts gesellschaftlicher Rituale und kultureller Werte und Eigenschaften - die Qualitäten, die diese Erzählerin sonst auszeichnen, kommen in "Köstliche Jahre” kaum zum Tragen. Allzu oft klingt MFK Fisher darin dümmlich und herablassend wie die verwöhnte amerikanische Göre, die sie damals vermutlich auch war. Nicht immer resultiert Authentizität in schriftstellerischer Brillanz.

    Warum nur, warum hat man sich bei der Edition Ebersbach ausgerechnet für dieses hors-d'oevre entschieden? MFK Fisher war von geschmackvoller Unersättlichkeit. Sie hätte sich nie mit Krümeln zufrieden gegeben. Das sollten wir als Leser, ihrem Beispiel folgend, auch nicht tun. Deshalb bestellen wir hiermit als Nächstes einen jener wahren literarischen Leckerbissen, die diese Autorin zu bieten hat.

    Ein Blumenkohlauflauf, gefolgt von Brot und Obst( ... ): Ich trennte die Röschen und gab sie für wenige Minuten in kochendes Wasser. Dann ließ ich sie abtropfen, verteilte sie in einer großen flachen Kasserolle und bedeckte sie mit einer großzügigen Schicht von frisch geriebenem Gruyère, jenem schön gummiartigen, der aus dem Jura stammt und eben nicht aus der Schweiz. Auf dem Markt nannte man ihn rapé und man konnte dabei zusehen, wie er zu einem weichen, flockigen Haufen auf ein Stück Papier gerieben wurde. Ich streute etwas frischen Pfeffer über das Gericht( ... ), erhitzte alles und ließ den Käse schmelzen, bis er braun war. Die Sahne und der Käse hatten sich zu einer perfekten Sauce vereint und die Röschen waren zart und frisch.

    MFK Fisher: Köstliche Jahre. Eine Amerikanerin im Herzen Burgunds.
    Aus dem Amerikanischen von Egbert Hörmann. Edition Ebersbach, Berlin 2008. 200 Seiten, mit Abbildungen. 19.80 Euro/34. 80 Franken.