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Intelligente Porträts

Ulrike Draesner hat mit ihrer Aufsatzsammlung "Schöne Frauen lesen" eine kleine weibliche Literaturgeschichte vorgelegt. Sie schreibt intelligent und sympathisch über acht ihrer Lieblingskolleginnen und: über den Kollegen Gustave Flaubert. Ulrike Draesner ist der Glücksfall einer rundum Interessierten.

Von Ursula März | 19.12.2007
    Braucht die Welt eine weibliche Literaturgeschichte? Einen Kanon also, dessen erstes Auswahlkriterium nichts anderes ist als Geschlechtszugehörigkeit? Ja und Nein. Nein, wenn dieser Kanon von der Annahme ausgeht, künstlerischer Rang und Geschlecht seien kausal verknüpfbar. Ja, wenn er von der Annahme ausgeht, Frauenliteratur von Rang entstehe unter anderen sozialgeschichtlichen und biographischen Bedingungen (Natalia Ginzburg war berühmt-berüchtigt dafür, beim Abendessen vor Müdigkeit mit dem Kopf in den Pastateller zu fallen, da ihr Romanwerk morgens zwischen vier und sieben Uhr entstand) und diese Bedingungen als Element des Ästhetischen berücksichtigt; als Element der literarischen Ausdrucksweise und der Stoffwahl.

    Ein Kanon ist Ulrike Draesners Aufsatzsammlung über eine Handvoll Schriftstellerinnen natürlich nicht. Sie schreibt über acht ihrer Lieblingskolleginnen, noch und nicht mehr lebende, über Droste-Hülshoff, Virginia Woolf, Gertrud Stein, Marcelle Sauvageots, Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker, Michele Metail, Antonia S. Byatt, und: über den feminitätsfähigen Kollegen Gustave Flaubert.

    Schon das beweist, was diese Porträts so intelligent und so sympathisch macht, ihre intellektuelle Freiheit, ihre Beweglichkeit und die in jeder Zeile spürbar persönliche Lesart der Essayistin. Ulrike Draesner ist der Glücksfall einer rundum Interessierten. Sie folgt, was keine Kleinigkeit ist, den Sprachexpeditionen Gertrud Steins mit wissenschaftlichem Rüstzeug und behält zugleich die für Mrs. Stein so wichtige Existenz ihres kleinen weißen Pudels im Auge.

    Der Pudel starb vor ihr und für sich sagte sie voraus, dass sie mit 72 die Welt verlassen werde.

    Sie erinnert sich an zwei persönliche Begegnungen mit Antonia S. Byatt und an die merkwürdige Angewohnheit der Schriftstellerin, immerzu, ob beim Interview in der Hotellobby oder dreizehn Jahre später bei einer öffentlichen Lesung, ein Tesaband in einer Hand zu halten, zwanghaft daran herum zu knibbeln und mit den Fingernägeln Tesafitzelchen ab zu raspeln.

    Sie hat den Mut, mitsamt der Tesarolle auf die Bühne zu gehen. Wo Byatt für eine Weile saß, liegt am Ende ein kleiner Haufen Plastik am Boden.

    Das ist mehr als ein Spleen. Das sieht nach handfester Neurose aus. Nur betreibt Ulrike Draesner keine simple Neurosenanalyse, die bewiese, was man schon weiß, dass Leute, die ihre Zeit mit Bücherschreiben verbringen, per se leicht durchgeknallt sind. Sie betrachtet das Tesarollenschauspiel als Phänomenologin und entdeckt am Privatspleen, was sie auch in den Romanen Byatts entdeckt: Die Arbeit an einer Narbe.

    Gleichsam nebenbei sind diese Essays auch eine Schule für den Umgang mit Biographismus. Bei Ulrike Draesner ist dieser Umgang nie detektivisch, sie stellt biographische Fakten und Episoden nie als Trophäen der allgemeinen Neugier aus. Sie führt sie als die Begleitmusik eines literarischen Werks ein, beides in gegenseitiger Durchdringung.

    Dass Virginia Wolf beispielsweise beim Schreiben der "Waves" späte Beethovensonate hörte, dürfte für den Ton und den Rhythmus dieser Prosa nicht gleichgültig sein. Das Mayröcker´sche Werk wiederum ist ohne die legendäre Behausung der Wienerin, ohne ihr vor Büchern, Papieren, Manuskripten im Wildwuchs überquellendes Zimmer gar nicht mehr denkbar. Assoziiertes und dabei streng strukturiertes Chaos, das ist der Charakterzug ihrer bewohnten und ihrer erschriebenen Räume. Im übrigen: Auch Friederike Mayröcker macht sich vor Tagesanbruch an die Arbeit und beginnt zu schreiben, wenn der Rest der Welt noch schläft.

    Andere Schriftstellerinnen wiederum wie Sylvia Plath und Christa Wolf setzten sich an den Schreibtisch, wenn der Rest der Welt und ihre Familie schon im Bett war und der Haushalt gemacht. Das sind Aspekte einer Sozialgeschichte der Literatur, die auch noch nicht geschrieben wurde.

    Ulrike Draesner: "Schöne Frauen lesen". Sammlung Luchterhand. Luchterhand Literaturverlag, München 2007. 217 Seiten. Acht Euro.