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Intelligentes Bilder-Rätsel

Peter Esterhazy hat mit der Musica Antiqua Köln auf der RuhrTriennale ein neues Stück aufgeführt. "Rubens und das nichteuklidische Weib" thematisiert die Scheinhaftigkeit der Welt. Regisseur Philipp Stölzl macht daraus großes Theater, das barocke Festlichkeit ausstrahlt, ohne die Paradoxien der modernen Welt zu verleugnen.

Von Karin Fischer | 03.09.2006
    Die Kurzfassung dieses Stücks geht so: Ein Genie stirbt; doch da ein Genie, nach dem ein Theaterstück benannt ist, schlecht abtreten kann, hat der unglückliche Sohn Albert noch länger Zeit, abzurechnen mit dem hoffärtigen, egomanischen Vater. Der male zu positiv, zu irdisch-diesseitig; kein Dämon weit und breit, kein Leid, kein bisschen Transzendenz in seinen Bildern! Dann schwafelt Rubens lange über die Gicht. Im zweiten Teil tritt der Mathematiker Kurt Gödel auf, wird die euklidische Geometrie erklärt, weshalb wir endlich auch die nicht-euklidische verstehen, samt dem Titel des Stücks.

    "Was sind also nicht-euklidische Weiber?" – "Sie sind nicht eckig!"

    Albert arbeitet wieder seinen Ödipus-Konflikt ab, und zwischendurch wird Barockmusik gespielt und auch viel gesungen. In Wahrheit ist natürlich alles ganz anders. "Rubens und das nicht-euklidische Weib" ist ein intelligentes Bilder-Rätsel, auf mehreren Ebenen. Da ist die Bühne: 15 goldene Rahmen vor roten Samtvorhängen an allen drei Seiten, Petersburger Hängung, ein Rubens-Museum, ein lebendiges allerdings, denn dahinter entstehen als Tableaux Vivants die Bilderwelten des Malers: eine Bacchus-Orgie, Diana und die Nymphen, viel nacktes Fleisch, aber auch die Kreuzabnahme oder eine Landschaft, in der es sogar blitzt und regnet.

    Die Darsteller mischen kräftig mit bei der Demontage des Rubensschen Positivismus; das computeranimierte Medusenhaupt sammelt Wörter zu Tod und Verderben, und "der sterbende Seneca" sowie Helene, Rubens zweite Frau und Muse, treten sogar singend aus ihren Bildern.

    In dieser Verdopplung wird schon die Stellvertreterfunktion von Kunst, aber auch die Scheinhaftigkeit von Welt überhaupt geschickt thematisiert. Mit dem Tenor Philip Langridge, der glänzenden Mezzosopranistin Angelica Böttcher und der Musica Antiqua Köln wird die Rubenssche Bilderwelt aber erst zum barocken Kosmos vervollständigt. Reinhard Goebel hat Musik gewählt, der der Workaholic und Diplomat Rubens an den Fürstenhöfen in England, Spanien oder Flanderns erlebt haben muss, auch wenn sie physisch in den Bildern des Künstlers nie präsent war.

    Doch erst im viel intensiveren zweiten Teil und mit dem Auftritt des Antipoden Kurt Gödel erreicht das Stück auch gedanklich Opulenz und den philosophischen Hintersinn, den man sich vom studierten Mathematiker und barocken Fabulierer Esterhazy erwartet hatte. Gödel hat 1930 nachgewiesen, dass jedes komplexe mathematischen System zwingend unvollständig ist. Rubens - Hans-Michael Rehberg gibt den unerschütterlich selbstbewussten Maler - glaubt an die Möglichkeit irdischer Vollkommenheit. Christoph Bantzer als Kurt Gödel bringt das "Wesen Rubens" auf den Punkt:

    "Sie malen - es existiert. Sie malen es nicht, es existiert nicht."

    und erklärt auf dieser Basis das Wesen der Paradoxien, deren eine, auf die Kunst angewandt, lautet: Wenn das Bild von Helene das eigentliche Wesen der Frau enthält, was ist dann mit der leibhaftigen Frau? Mit dem abgewandelten Magritte-Zitat "Ceci ne pas une femme" wird antike Geometrie mit moderner Logik und mit der Kunst kurz geschlossen, und indem auf dem Bild schnell noch die Hintergrundfarbe wechselt, ist das Spiel mit Original und Fälschung über Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz hinaus bei den Fragen zeitgenössischen Kopierschutzes angekommen.

    Das hat Tiefe, und dennoch auch jene handfeste Derbheit, die die Sprach-Welt Peter Esterhazys ausmacht: "Die ganze Welt verehrt den Arsch meiner Mutter!" sagt Albert - wovon man sich mehr gewünscht hätte. Esterhazys Text kommt häufig sehr betulich daher, auch weil er von den Schauspielern oft zu spitzfingrig angefasst wird. Insgesamt aber hat der Regisseur Philipp Stölzl mit "Rubens oder das nicht-euklidische Weib" großes Theater gemacht, das barocke Festlichkeit ausstrahlt, ohne die Paradoxien der modernen Welt zu verleugnen. Viele Bravos.