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Interessanter Antikörper-Cocktail

Medizin. - Aids ist nach wie vor nicht heilbar. Aber die HIV-Infektion kann heute mit einem Cocktail aus mehreren Wirkstoffen über lange Jahre erfolgreich kontrolliert werden. Allerdings müssen die Medikamente sehr regelmäßig genommen werden, und sie haben Nebenwirkungen. So steigt über die Jahre das Herzinfarktrisiko, die Nieren können geschädigt werden und die Knochenmasse kann an Substanz verlieren. Eine mögliche Alternative zeigt eine Studie im Fachblatt Nature auf. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet im Gespräch mit Jochen Steiner.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Jochen Steiner | 26.10.2012
    Steiner: Herr Winkelheide, was ist das Konzept einer solchen Antikörpertherapie?

    Winkelheide: Ja, diese Antikörper sind im Prinzip Abwehrmoleküle, die sich zielgerichtet an das Virus heften, und das Virus kann dann nicht mehr in die Zellen eindringen. Ein weiterer Vorteil von den Antikörpern ist, dass das Immunsystem des Infizierten dann aktiviert wird gegen das Virus, also auch zielgerichtet. Und die Hoffnung ist eben, dass sich das Aids Virus so kontrollieren lassen kann. Aber, und jetzt kommt das große Aber, man braucht die richtigen Abwehrmoleküle, so genannte neutralisierende Antikörper. Und die müssen möglichst alle Aids-Viren, HI-Viren im Körper unschädlich machen. Und genau diese Antikörper sind eben nicht einfach zu finden. Das Aids-Virus ist extrem variabel. Es verändert sich schnell. Wenn es sich vermehrt, baut es sich ständig um, und die Gefahr besteht eben, dass das Virus sich der Antikörperattacke sozusagen mit der Zeit, und zwar relativ schnell, entziehen kann.

    Steiner: Wie haben denn die Forscher den passenden Antikörper gefunden?

    Winkelheide: Sie haben im Prinzip natürliche Antikörper gesucht, und zwar in Patienten gesucht. Und zwar ist es so, dass Infizierte sehr früh im Laufe der Infektion Antikörper bilden, aber mit diesen Antikörpern gelingt es in der Regel nicht wirklich diese Infektion zu kontrollieren. Und wirklich neutralisierende Antikörper, die werden oft sehr spät im Laufe der Infektion gebildet, und auch nur von wenigen Menschen. Man glaubt ein oder zwei Patienten von 100 bilden überhaupt diese neutralisierenden Antikörper. Das heißt für die Forscher, dass sie sehr lange suchen mussten. Man hat ungefähr 1000 Patienten gescreent, um möglichst gute Antikörper zu finden, und haben Antikörper-Kandidaten sozusagen gesammelt und diese auch getestet, erst einmal im Zell-Versuch gegen die Viren und dann im Tiermodell in Mäusen. Nun muss man wissen, Mäuse sind normalerweise nicht empfänglich für HIV, für das Aids-Virus. Das heißt, sie haben spezielle Mäuse genommen, sie haben sie mit einem menschlichen Immunsystem ausgestattet, um es aus wirklich testen zu können. Die Erkenntnis von den Tierversuchen war: Wenn man nur drei verschiedene Antikörper miteinander kombiniert, auch wenn es gute sind, dann kann das Virus immer noch durchbrechen. Aber wenn man fünf verschiedene Antikörper kombiniert, und zwar richtig gute Antikörper kombiniert, dann gelingt es eben, das Virus zu kontrollieren und auch sehr lange zu kontrollieren.

    Steiner: Wie gut wirkt denn dieser Antikörper-Cocktail gegen HIV?

    Winkelheide: Man muss wissen, dass diese Antikörper in dem Cocktail an verschiedenen Stellen auf der Virushülle angreifen. Und zwar an Stellen, die das Virus schlecht verändern kann, also weil es sie zum Beispiel braucht, um an Zellen anzudocken. Und das Erstaunliche war, dass man nur eine sehr geringe Konzentration dieser Antikörper brauchte, um eine Infektion von weiteren Zellen zu verhindern. Das heißt, dieser Cocktail war extrem wirksam. Und bei fünf Antikörpern konnte das Virus eben nicht unter der Antikörpertherapie durch tauchen sozusagen. Und was man auch gesehen hat: Die Antikörper haben lange gewirkt, im Mittelwert war es so, dass man, wenn man die Antikörper das letzte Mal gegeben hat, dass 60 Tage später das Virus wieder gekommen ist. Also extrem lange wirksam im Körper. Man muss auch sagen, dass es war das erste Mal, dass Forscher gezeigt haben, dass so ein Cocktail sehr wirksamer Antikörper effektiv sein kann. Man hat ähnlich Versuche schon einmal vor drei Jahren gemacht und die haben nicht gut funktioniert. Muss allerdings auch sagen: die Antikörperforschung hat in den letzten drei Jahren enorme Fortschritte gemacht.

    Steiner: Wie könnten denn jetzt die Antikörper für die HIV-Behandlung genutzt werden?

    Winkelheide: Eine Hoffnung ist, dass diese Antikörper recht gut verträglich sind. Also man kennt das aus der Krebstherapie. Da benutz man natürlich andere Antikörper, aber man weiß, die haben an sich wenige Nebenwirkungen. Hier ist auch der Vorteil, dass es ja eigentlich menschliche Antikörper sind, die man in Patienten schon gefunden hat. Also insofern dürfen die relativ wenige Nebenwirkungen haben. Ein Problem ist natürlich, die müssen gespritzt werden. Das kann Entzündungen geben an der Einstichstelle, aber das dürfte man verschmerzen können. Also die Forscher hoffen insgesamt auf ein relativ günstiges Nebenwirkungs-Profil. Verglichen vor allen Dingen mit den Langzeitnebenwirkungen mit den normalen HIV-Medikamente, denn man weiß ja, es gibt zum einen akute Nebenwirkungen bei den Medikamenten, zum Beispiel Durchfälle. Aber eben auch die chronischen, die Sie vorhin schon angesprochen haben, dass die Nierenwerte sich verschlechtern, dass das Herzinfarktrisiko steigt, dass der Fettstoffwechsel durcheinander gewirbelt wird. Also hier hofft man, dass die Antikörper besser sein könnten. Unklar ist aber noch, wie nützlich sind sie wirklich, also wie setzt man die Antikörper am besten ein. In Kombination mit den Medikamenten oder als Ersatz für ein oder mehrere Medikamente. Und das muss man jetzt wirklich noch ausprobieren. Und man hat im Moment nur die Tierversuche. Das heißt, das langfristige Ziel der Forscher in New York ist schon, dass am Menschen auszuprobieren und auch zu testen und dann zugucken, wie lässt sich das am strategisch sinnvollsten einsetzen. Also zum Beispiel, wenn man lange Zeit das Virus unter Kontrolle halten will oder eben als Alternative für Patienten, die zu sehr unter der Langzeitnebenwirkungen leiden. Die Hoffnung ist auch, dass man die Spritze nicht zu oft geben muss, im Idealfall alle 3 Monate.