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Interesse an deutscher Literatur stagniert

Anlässlich der Vergabe des Helen-und-Kurt-Wolff-Preises für Übersetzer in Chicago hat der Literaturjournalist Denis Scheck die geringe Zahl von Übersetzungen vom Deutschen ins Englische beklagt. Nicht einmal 100 deutsche Titel fänden übersetzt den Weg in die US-Buchhandlungen. Allerdings habe die "New York Times" in dieser Woche einen Aufmacher über ein deutsches Buch gehabt: Über Charlotte Roches "Feuchtgebiete" sei ausführlich berichtet worden, sagte Scheck.

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Das Übersetzen von Literatur ist nicht nur eine Dienstleistung, sondern auch eine Kunst. Denn für eine gelungene Übersetzung reicht es ja nicht, einfach den Text für Wort zu übertragen, sondern man muss viel über den Autor und die Hintergründe des Buches wissen, um eine adäquate Formulierung zu finden. Eine gute Übersetzung kostet Zeit und bringt nicht viel ein. Meist wird nämlich pro Zeile und Seite honoriert und nach Verkaufszahlen des Buches. Dabei übersetzt sich ein Bestseller oft leichter als manch anderer Text. Um die Übersetzung deutscher Literatur ins Englische zu fördern, wird jedes Jahr der Helen-und-Kurt-Wolff-Preis vergeben, benannt nach dem Verleger und seiner zweiten Frau, die 1941 in die USA emigrierten. Von der Preisverleihung in Chicago und einem Übersetzersymposium begrüße ich jetzt meinen Kollegen Denis Scheck, der auch Mitglied der Jury ist. Herr Scheck, wer hat denn diesmal den Preis gewonnen?

    Denis Scheck: Ja, der Preisträger ist David Dollenmayer. David Dollenmayer wird ausgezeichnet für seine Übersetzung von "Kindheit - Fragment einer Autobiografie" von dem Autor, den wir in Deutschland vielleicht selber kaum kennen, ein Autor namens Moses Rosenkranz. Ein Autor, dessen Biografie im Grunde zusammenfällt mit den Schrecknissen, dem Terror des 20. Jahrhunderts. Geboren 1904 in Rumänien war er zunächst im gleichen Arbeitslager wie Paul Celan unter den Nazis. Dann zehn Jahre im Gulag 1947 verhaftet als Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Rumänien, von den Russen verschleppt, kam dann in die Bundesrepublik und erfuhr dort statt, er war ein deutschschreibender Lyriker, der erhofften freundlichen Aufnahme eine erneute Ausgrenzung und starb dann in den 90er-Jahren. Moses Rosenkranz für mich auch eine Entdeckung mit diesem Buch "Kindheit", erschienen im Rimbaud Verlag in Deutschland und hat hier ein neues Leben, muss man wirklich sagen, durch David Dollenmayer in der englischen Übersetzung gefunden.

    Schäfer-Noske: Das Interesse an deutsche Literatur war ja in den USA bisher immer eher verhalten. Wie sieht denn da der aktuelle Trend aus?
    Scheck: Tja, manchmal muss man ja in die Ferne reisen, um festzustellen, dass man eigentlich im Paradies lebt. Und wir Deutschen leben in paradiesischen Zuständen, was die Übersetzungskultur angeht. Wir sind Welt- und Europameister, was Übersetzungen betrifft, mit über 5700 Titeln im letzen Jahr. Die Amerikaner haben da natürlich eine viel insulärere Haltung zur Literatur, gerade mal unter 100 Titel fanden im letzten Jahr den Weg aus dem Deutschen ins Amerikanische und britische Englisch, da sind auch eher die Briten führend, nur eine Handvoll von Romanen. Wenn man angesichts dieser kleinen Zahl überhaupt von einem Trend reden kann, dann ist das Interesse an der deutschen Literatur hier wohl eher stagnierend. Allerdings gab es diese Woche ein überraschendes Hoffnungssignal. Die "New York Times" hat auf der ersten Seite einen Aufmacher über ein deutsches Buch. Ein deutsches Buch, das ausnahmsweise mal nicht von Nazis, Holocaust und so weiter handelt. Über Charlotte Roches "Feuchtgebiete" wird ausführlich berichtet. Feuchtgebiete hat mit Grove/atlantic, Morgan Entrekin, der wunderbare Verleger, hat es gekauft, auch einen Verlag gefunden, und vielleicht macht es ja Charlotte Roche möglich.

    Schäfer-Noske: Sie haben das Thema Nazizeit ja schon angesprochen. Welche Themen interessieren sonst in den USA?

    Scheck: Ja, wenn man in diesen Spiegel der literarischen Übersetzung blickt, dann kann es einem vorkommen, als wenn man nach einem Abend voller Alkohol morgens in den Spiegel blickt. Das Zerrbild, was man da von sich selber als Deutscher entdeckt, ist natürlich hoch spannend, und man will es dann immer nicht gewesen sein. Was übersetzt wird, folgt auf jedem Fall den Themen, den Klischeethemen, Deutschland natürlich im 20. Jahrhundert. Das ist die Nazizeit, die da ganz stark im Vordergrund steht. Das sind sehr viele historische Bücher, Zeitzeugen-Bücher, Quellenbände, Briefbände. Und es ist dann noch ein kleines, sehr idiosynkratisches Auswahlchen, muss man sagen, von zeitgenössischer Literatur. In diesem Jahr für mich besonders interessant eine Übersetzung von Ulf Stolterfoht "Fachsprachen", einen sehr experimentellen Lyriker, der eben in seinen Gedichten wirklich Arbeits-Ethymologien abarbeitet. Und nicht zu vergessen "Peeling the Onion", die Autobiografie von Günter Grass, erschien ebenfalls im letzten Jahr auf Englisch.

    Schäfer-Noske: Was sind denn die ehrgeizigsten deutsch-englischen Übersetzungsprojekte, die anstehen in nächster Zeit?

    Scheck: Ich weiß von einem Projekt, das sicherlich für 2009 ganz im Mittelpunkt stehen wird. Es gibt die neue Übersetzung der "Blechtrommel" von Günter Grass. Die alte Übersetzung von Ralph Manheim wird überarbeitet, denn Günter Grass hat sich immer eine neue Übersetzung gewünscht. Der große Erfolg in den USA liegt nämlich unter anderem vielleicht auch daran, dass Ralph Manheim bei seiner ersten, sehr verdienstvollen Übersetzung gar einiges weggelassen hat, vereinfacht hat, die komplizierten Satzstrukturen aufgelöst hat, einfachere englische Sätze aus der "Blechtrommel" quasi gemacht hat, sodass man eigentlich diesen Roman auf Englisch fast leichter lesen kann, denn auf Deutsch.

    Schäfer-Noske: Denis Scheck vom Symposium zur Vergabe des Helen-und-Kurt-Wolff-Preises für Übersetzungen aus dem Deutschen ins Englische.