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"Interessenkonflikte sind etwas ganz Natürliches"

David Klemperer ist an der Uni Regensburg Medizinprofessor. Neben seiner Arbeit dort gibt es noch andere Auftraggeber, die Honorare an ihn zahlen. Klemperer ist jedoch einer der wenigen, die ihren Nebenverdienst offen legen.

David Klemperer im Gespräch mit Manfred Götzke | 13.01.2011
    Manfred Götzke: Eins ist bei den Stiftungsprofessuren jedenfalls klar: Wenn ein Solarzellenhersteller eine Professur zur Solarforschung stiftet, dann weiß man, in wessen Namen und auf wessen Rechnung da geforscht wird. Bei so manchem Normalprofessor ist das allerdings nicht der Fall, viele Professoren beraten nämlich neben ihrer Hochschultätigkeit Akademien, Politiker oder eben auch Unternehmen. Sie kassieren dafür Honorare, machen das aber eben nicht transparent. Der Regensburger Medizinprofessor David Klemperer hält davon gar nichts, er veröffentlicht alle Extraeinnahmen auf seiner Website und verlangt diese Offenheit auch von seinen Forscherkollegen. Herr Klemperer, was verdienen Sie denn so nebenbei?

    David Klemperer: Ja, ich hab vor Kurzem von der Bertelsmann-Stiftung für ein 20-seitiges Papier ich glaube 3500 Euro erhalten, daran habe ich ungefähr zwei Wochen gearbeitet. Ansonsten sind meine Einnahmen diesbezüglich eher kärglich - diese 3500 Euro sind für mich der höchste Betrag, den ich erhalten habe bisher. Ich erhalte immer wieder Anfragen, Beiträge zu schreiben für Fachzeitschriften oder für Bücher, und da erhalte ich in der Regel keine Bezahlung für.

    Götzke: Warum haben Ihre Forscherkollegen so große Probleme damit, das eben so klar zu sagen wie Sie?

    Klemperer: Bisher ist es gar nicht erforderlich, das zu sagen in vielen Bereichen. Es fragt niemand danach, das ist der eine Punkt, der andere Punkt ist der, dass wir keine Kultur der Transparenz entwickelt haben bislang. Und häufig wird es auch so wahrgenommen, dass das Arbeiten im Auftrage von Auftraggebern mit kommerziellen Interessen, dass diese Arbeiten als unanständig angesehen werden, dass diese Beziehungen als unanständig angesehen werden, und das sollte man gar nicht so sehen. Man darf das gar nicht so sehen, von wem man Aufträge annimmt, für wen man Aufträge erfüllt, das entscheidet jeder für sich, und man kann auch sehr gute Arbeiten dabei leisten. Das Entscheidende ist, dass man anderen die Möglichkeit gibt zu beurteilen, ob die Ergebnisse möglicherweise beeinflusst sind durch den Auftraggeber und durch die Honorare.

    Götzke: Hatten Sie denn persönlich bei Forscherkollegen schon mal das Gefühl, das, was der hier macht, das bringt das Forschungsgebiet nicht unbedingt weiter, hilft aber vielleicht Firma XY?

    Klemperer: Also in der Arzneimittelforschung ist das eher die Regel als die Ausnahme, dass die Forschung sich bezieht auf die Interessen eines Herstellers - 80 Prozent der Studien sind ja von Herstellern gefördert und gesponsert. Hier werden Fragen untersucht, die sich auf die Möglichkeit der Vermarktung von Arzneimitteln beziehen, und das ist eine andere Perspektive als die Patientenperspektive. Patienten möchten wissen, was für ein Nutzen ein Medikament bringt, aber das ist nicht unbedingt die Frage, die ein Hersteller beantworten muss für die Zulassung eines Arzneimittels.

    Götzke: Das heißt, es wird auch an den Universitäten nicht im Sinne der Patienten geforscht, sagen Sie?

    Klemperer: Also so generell würde ich das keinesfalls sagen, und natürlich ist die Entwicklung und Erforschung von neuen Substanzen im Arzneimittelbereich wichtig. Wir brauchen neue Substanzen, ganz klar. Aber die Forschung, die betrieben wird bezüglich der Zulassung eines Arzneimittels - und das ist die mit Geld unterfütterte Forschung, von der Industrie geförderte Forschung -, diese Art von Forschung beantwortet viele wichtige Fragen nicht. Dort wegen wichtige Fragen beantwortet, aber andere Fragen, nämlich die nach dem Nutzen, was hat der Patient konkret davon, das bleibt meistens unerforscht oder wenig erforscht.

    Götzke: Jetzt gibt es ja viele Forschungsbereiche, die per definitionem angewandte Forschung betreiben, die von der Industrie genutzt werden kann. Wo würden Sie da die Grenze ziehen, was ist in Ordnung und was nicht mehr?

    Klemperer: Also Moral würde ich hier gar nicht ins Spiel bringen, sondern entscheidend ist die Fachlichkeit und die Richtigkeit von Studien, Studienergebnissen. Und natürlich besteht eine sehr große Tendenz dazu, eine sehr starke Tendenz, dass ein Wissenschaftler die Interessen eines Auftraggebers bedient mit einer Studie. Von daher sind zu bestimmten wichtigen Fragen neutrale Studien von ganz großer Bedeutung, das heißt Studien, die nicht finanziert werden von demjenigen, der an den Ergebnissen ein Interesse hat, der an bestimmten Ergebnissen ein Interesse hat, sondern es geht um die Neutralität.

    Götzke: Aus der Sicht der Nebenverdiener ist die Sache ja klar, keiner gibt gerne zu, dass er sich finanzieren lässt - glauben Sie, dass Appelle wie der von Ihnen reichen oder wäre eine gesetzliche Transparenz Pflicht, notwendig?

    Klemperer: Also keiner gibt gerne an, was er verdient, das stimmt ja nicht, schauen Sie auf meine Website!

    Götzke: Kaum einer, sagen wir mal so.

    Klemperer: Kaum einer, das mag so sein. Auch das ist wieder ein Zeichen einer Kultur, die sich entwickelt hat, wo es eben tatsächlich eher als verwerflich gilt, wenn man mit Partnern zusammenarbeitet, auch Partnern aus der Industrie. Wenn wir an dieser Kultur etwas verändern, wenn wir ganz deutlich sagen, Interessenkonflikte sind etwas ganz Natürliches und sind zum Teil auch nicht vermeidbar, und deshalb gilt es sie anzugeben, auch in ihrem Umfang, was jetzt Zahlungen angeht. Wenn das gelingt, dann glaube ich, werden mehr Wissenschaftler gerne dazu bereit sein, offene Auskunft zu geben.

    Götzke: Sie sagen, es muss sich da nur eine Kultur ändern oder müsste sich ein Gesetz ändern, muss man die Leute gesetzlich verpflichten?

    Klemperer: Ein Gesetz kann ganz sicher erheblich dazu beitragen, dass Kultur sich verändert. In den USA ist ja eine derartige Entwicklung im Moment zu verzeichnen, wo die pharmazeutischen Firmen, also auch wieder der Medizinbereich, die pharmazeutischen Firmen offenlegen müssen, welche Gelder sie an welche Ärzte zahlen, auch welche Gelder sie zum Beispiel an welche Selbsthilfegruppen zahlen - das ist ja ein anderer Bereich, wo auch Interessenkonflikte in manchen Fällen sehr stark sind. Und das führt ganz sicher kurz- oder auch eher mittelfristig zu Veränderungen im Denken und Fühlen und Handeln, und es wird dann ganz natürlich werden, dass das im Internet zum Beispiel nachlesbar ist, dass Professor Soundso von der Firma Soundso diese Summe oder jene Summe erhalten hat für das Erforschen von einer bestimmten Frage.

    Götzke: Dann sitzen auf einmal nicht mehr so viele Studierende in den Vorlesungen.

    Klemperer: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass das eher so ist, dass ein Gewinn an Glaubwürdigkeit erzielt wird und dass dieser Gewinn auch sich niederschlägt im Ansehen der Person.

    Götzke: Der Medizinprofessor David Klemperer fordert, Professoren sollten ihre Nebeneinkünfte veröffentlichen, um über Interessenkonflikte zu informieren. Vielen Dank!