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Internationaler Strafgerichtshof
Afrikanische Union kündigt Rückzug an

Zu langsam, zu teuer und möglicherweise sogar rassistisch: Der 1998 gegründete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag steht seit langem in der Kritik, die USA gehören ihm gar nicht erst an. Jetzt erwägt die Afrikanische Union sogar den geschlossenen Rückzug. Der Grund: Neun der zehn bisherigen Strafverfahren richteten sich gegen Afrikaner.

Von Bettina Rühl | 04.02.2017
    Der frühere kongolesische Vizepräsident Jean-Pierre Bemba mit Anwalt und Justizbediensteten auf der Anklagebank im Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (2010).
    Der frühere kongolesische Vizepräsident Jean-Pierre Bemba mit Anwalt und Justizbediensteten auf der Anklagebank im Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (2010). (AFP / Peter Dejong)
    Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beginnt das Verfahren gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Dominic Ongwen. Es ist der 6. Dezember 2016. Der frühere ugandische Rebellenführer soll sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in 70 Fällen verantworten.
    Der Anklagevertreter verhört einen Zeugen, fragt nach dessen Erlebnissen in Uganda und dem Südsudan – dem Operationsgebiet der Miliz, die Ongwen als Stellvertreter kommandierte.
    Das Verfahren gegen Ongwen ist eins von insgesamt zehn, die vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bisher geführt wurden – in den bald 20 Jahren seit seiner Gründung. In neun der zehn Verfahren waren die Angeklagten Afrikaner. Auf dem Kontinent nimmt die Kritik an dem Internationalen Strafgerichtshof deshalb seit einiger Zeit ständig zu.
    "Wir haben festgestellt, dass der Internationale Strafgerichtshof vor allem gegen Afrika vorgeht, gegen afrikanische Staatschefs, sogar gegen amtierende Präsidenten, obwohl auch anderswo auf der Welt viele eklatante Kriegsverbrechen begangen und Menschenrechte verletzt werden. Aber diese Verbrechen interessieren niemanden.
    Afrikanische Union kritisiert Den Haag
    Der Internationale Strafgerichtshof misst also mit zweierlei Maß. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Position gegenüber dem Gericht untereinander abzustimmen. Währenddessen warten wir weiter darauf, dass das Gericht sich mit unserer Position auseinander setzt",
    sagte Idriss Déby, Präsident des Tschad, und zu diesem Zeitpunkt außerdem Vorsitzender der Afrikanischen Union. Am vergangenen Wochenende wählten die afrikanischen Staatschefs turnusmäßig einen Nachfolger, nun hat Alpha Condé diesen Posten inne, der Präsident von Guinea.
    Eingang zum Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag mit Schild davor.
    Der Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag (dpa / Juan Vrijdag)
    Auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen erklärte die Afrikanische Union, dass sie nicht nur einzelne Austritte, sondern den geschlossenen Rückzug der afrikanischen Staaten vom Internationalen Strafgerichtshof bejaht. Die Entscheidung der AU-Staatschefs ist allerdings rechtlich nicht bindend.
    Fadi El-Abdallah ist Sprecher des Gerichts in Den Haag.
    "Das Gericht ermittelt deshalb vor allem in afrikanischen Staaten, weil afrikanische Staatschef das Gericht um die Ermittlungen gebeten haben. Diese Tatsache ist es wert, immer wieder betont zu werden. Wir haben Ermittlungen aufgenommen, nachdem uns Uganda, die Demokratische Republik Kongo, Mali, zwei Mal die Zentralafrikanische Republik und kürzlich Gabun darum gebeten haben."
    Die afrikanischen Kritiker des Gerichts geben sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Sie weisen darauf hin, dass einige mächtige Staaten das internationale Gericht weiterhin nicht anerkennen, darunter die USA, Russland und China.
    Kritik an den USA
    Vor allem die Weigerung der USA wird immer wieder kritisiert – US-Soldaten sind in vielen Kriegen weltweit präsent. Dass sie beispielsweise in Afghanistan oder im Irak Kriegsverbrechen begangen haben oder begehen, ist nicht auszuschließen. Aber Menschenrechtsaktivisten aus allen afrikanischen Ländern verteidigen das Gericht. Zum Beispiel Lambert Nigarura aus Burundi.
    "Der internationale Gerichtshof wird nur aktiv, wenn die nationale Justiz ihre Arbeit nicht macht. Zum Beispiel, weil ihr dazu der Wille fehlt."
    Burundi, Südafrika und Gambia haben ihren Austritt bereits angekündigt. Der neue gambische Präsident Adama Barrow will diese Entscheidung allerdings zurücknehmen.
    "In Bezug auf die angekündigten Austritte aus dem Internationalen Strafgerichtshof ist Verschiedenes zu bedenken. Dazu gehört die rechtliche Grundlage für einen solchen Schritt. Erst ein Jahr, nachdem das entsprechende Gesuch beim UN-Generalsekretär hinterlegt wurde, wird ein Austritt gültig. Erst nach dieser Frist wird das Gericht die Opfer möglicher künftiger Verbrechen juristisch nicht mehr schützen können."
    Offen ist, ob sich die afrikanischen Staaten tatsächlich geschlossen zurückziehen werden. Trotz der weit verbreiteten Kritik gibt es auch einige afrikanische Länder, die den Internationalen Strafgerichtshof massiv unterstützen, darunter Nigeria und der Senegal.