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Internationaler Tag gegen Genitalverstümmelung
Das Ende der Kindheit

Das grausame Ritual der Genitalverstümmelung, das tausende junge Mädchen und Frauen ein Leben lang traumatisiert, wird bis heute in vielen Ländern praktiziert. Auch in Kenia - obwohl es dort bereits seit 2011 verboten ist.

Von Linda Staude | 06.02.2018
    Nicht nur in Russland: Messer, Klingen und Amulette für die Beschneidung von Mädchen in Muranga, Kenia
    Nach der Beschneidung werden Mädchen in Kenia oft zwangsverheiratet - damit ist die Kindheit offiziell beendet (imago/Friedrich Stark)
    "Wenn du aus der Schule kommst, sind plötzlich eine Menge Leute um dich herum und sagen Dir, dass du jetzt beschnitten wirst. Ich hab gebettelt, dass sie aufhören sollen. Aber ein paar Frauen haben meine Arme festgehalten, meine Beine, und eine andere hat geschnitten."
    Nancy war zwölf, als sie diesen Albtraum durchleben musste: Die Verstümmelung ihrer Genitalien mit einer Rasierklinge.
    Das war sehr, sehr schmerzhaft, flüstert die junge Massai tonlos. Der Schock sitzt tief, selbst heute noch, 13 Jahre später, dass ihre Mutter und ihre Tanten ihr das antun konnten.
    Das ist das Schlimmste, weil Du so etwas von ihnen am wenigsten erwartet hättest. Das verändert dich, weil du den Menschen um dich nicht mehr vertraust. Du denkst zweimal darüber nach, bevor du jemandem wieder Vertrauen schenkst.
    Noch immer weit verbreitet
    Eigentlich ist die Genitalverstümmelung in Kenya seit 2011 streng verboten. Aber gerade bei den nomadischen Hirtenvölkern der Massai, Somali, Samburu oder Pokot werden immer noch zwischen 75 und über 90 Prozent der jungen Mädchen beschnitten.
    "Die Anführer sollen die Gesetze durchsetzen. Aber die kommen natürlich aus derselben Kultur."
    Kakenya Ntaiya ist ebenfalls Massai und hat die Folgen der uralten Traditionen ihrer Volksgruppe am eigenen Leib erfahren:
    "Wenn du nicht beschnitten wirst, dann bedeutet das ein Stigma, das deine Familie, dein Vater nie wieder los werden. Also hab ich meinem Vater gesagt: Wenn ich nicht weiter zur Schule gehen darf, dann laufe ich weg und du lebst mit dem Stigma. Wir haben uns geeinigt: Ich hab mich beschneiden lassen und bin auf der Schule geblieben."
    Verstümmelungen gehen Hand in Hand mit Kinderehen
    Eine kleine Revolution in ihrem Heimatdorf. Denn normalerweise bedeutet die Genitalverstümmelung für junge Mädchen auch das Ende der Kindheit und damit der Ausbildung, erklärt Nancy:
    "Mit 13 wirst du dann an einen alten Mann verheiratet. Denn für uns Massai bist du nach der Beschneidung eine Frau. Also warum solltest du dann noch bei Deiner Mutter leben. Du gründest eine eigene Familie. Also: Die Genitalverstümmelung geht Hand in Hand mit Kinderehen."
    Auch die sind verboten in Kenia, aber nach wie vor Alltag. Nancy ist ihrem Mann nach ein paar Monaten davongelaufen, um in Nairobi zu studieren. Kakenya Ntaiya hat ihren Abschluss bereits gemacht und ein Internat gegründet. Dort hilft sie, jungen Massai-Mädchen, den Traditionen ihres Volkes zu entkommen.
    "Sie haben das Recht, zur Schule zu gehen. Sie haben das Recht nicht verheiratet und verstümmelt zu werden. Sie haben das Recht, Kinder zu sein."