Samstag, 18. Mai 2024

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Internationales Jugendnetzwerk für Afghanistan

Friederike Schulz: In Deutschland leben etwa 90.000 Afghanen. Die meisten sind Ende der Siebzigerjahre als Flüchtlinge hierher gekommen, ihre Kinder sind hier zur Schule gegangen. Bis zum Sturz der Taliban kannten sie Afghanistan meist nur aus Erzählungen. Und dann gab es auf einmal die Perspektive für sie, dort hinzureisen und dann vielleicht auch beim Aufbau des zerstörten Landes mitzuhelfen. Ghesal Chopan ist als Kind mit ihren Eltern aus Kabul nach Deutschland geflohen. Sie hat hier Abitur gemacht und studiert jetzt in Köln Medizin. Nach dem Machtwechsel in Afghanistan hat sie beschlossen, dass sie etwas tun muss für die Jugendlichen dort vor Ort, die nicht die Chance hatten, eine gute Ausbildung zu bekommen. Sie hat sich mit anderen jungen Afghanen zusammengetan und das Internationale Afghanische Jugendnetzwerk gegründet. Was ist denn genau die Idee dieses Netzwerkes?

Friederike Schulz im Gespräch mit Ghesal Chopan | 26.11.2003
    Ghesal Chopan: Die Idee dahinter ist, diese afghanischen Jugendlichen, die in der ganzen Welt verstreut leben und ausgebildet werden, in den USA, Pakistan, Australien, im Iran, dass all die Zugang zueinander haben, sich austauschen, einander beginnen zu verstehen und eventuell auch zusammenzuarbeiten.

    Schulz: Die Idee ist ja auch, die Jugendlichen so zu vernetzen, dass sie gemeinsam den afghanischen Jugendlichen in Kabul und Umgebung helfen.

    Chopan: Genau. Dazu haben wir ein Jugendkoordinationsbüro in Kabul aufgebaut, das Afghan Youth's Coordination Agency und dieses Büro ist auch mit Mitgliedern verschiedener Jugendorganisationen in Afghanistan und Pakistan gegründet worden, und wir im Westen halten regen Kontakt zu diesem Büro, informieren uns gegenseitig und arbeiten so zusammen.

    Schulz: In Deutschland haben Sie in allen Bundesländern Mitglieder. Wer genau läuft da die Zusammenarbeit?

    Chopan: Dadurch, dass es ein Netzwerk ist, ist es ein sehr lockeres Unterfangen, und jeder, der Zeit hat, kann Zeit und Arbeit investieren und mitmachen. Wer gerade keine Zeit hat, kann sich ein wenig zurückhalten. Wir arbeiten ausschließlich im und über das Internet, per E-Mail oder Homepage und informieren die Jugendlichen in Deutschland und weltweit über die neuesten Projekte und Nachrichten. Wir bieten ihnen Informationen, erwarten aber auch und freuen uns, wenn sie bei Projekten mitmachen.

    Schulz: Sie haben bereits eine Konferenz in Kabul organisiert, wie ist denn das gelaufen?

    Chopan: Das war vor einem Jahr, damals gab es drei Jugendorganisationen, je eine aus Deutschland, Pakistan und Afghanistan, die immer daran dachte, eine Konferenz zu machen, um sich auszutauschen und herauszufinden, was die Jugendlichen in Afghanistan überhaupt wollen. Wir hatten uns zwar gegründet, aber keine Ahnung, wie es dort wirklich aussieht und was Jugendliche tatsächlich brauchen vor Ort. Deswegen haben wir diese Konferenz gemacht. Es war ein unglaublich wunderbares Erlebnis, etwas, was keiner der 270 jugendlichen Teilnehmer aus der ganzen Welt und aus Afghanistan vergessen wird. Wir haben erlebt, wie frisch und wissensdurstig die jungen Afghanen in Afghanistan sind, wie gebildet und wie weit sie jetzt schon gekommen sind mit den wenigen Mitteln, die sie hatten, wie viel Kraft sie haben, wie gerne sie sich ein schönes, gutes Afghanistan aufbauen wollen und vor allen Dingen ein freies.

    Schulz: Sie leben selbst schon lange in Deutschland, haben Ihre Kindheit hier verbracht, studieren hier. Wie war es denn für Sie selbst, zum ersten Mal nach Afghanistan zu kommen? Sie sprechen ja die Sprache und sind auch mit der Kultur vertraut, haben das Land aber nie kennen gelernt.

    Chopan: Ich wurde dort geboren und floh mit vier Jahren. Ich habe im Grunde kaum Erinnerungen und kannte es nur aus Erzählungen. Ich hatte keine Erwartungen, weil zwischen den Erzählungen meiner Eltern und jetzt 30 Jahre vergangen sind, von denen 20 Jahre lang Krieg herrschte. Da ich also vom Schlimmsten ausging, war ich größtenteils positiv überrascht. Das Land ist komplett zerstört, es gibt kaum einen, der nicht traumatisiert ist, aber für mich persönlich war es ein unglaubliche Erlebnis, wieder dort unter sozusagen meinesgleichen zu sein. Alle sahen aus wie ich, hörten Musik, die ich gerne höre, sprachen meine Sprache, das Essen war das, das ich am liebsten mag. Es war, als ob auch in mir eine Brücke geschlagen wurde zwischen meinen beiden Identitäten, dadurch dass ich es auch mal dort erleben durfte.

    Schulz: Sie haben auch einmal ein Praktikum in Afghanistan gemacht und engagieren sich nach der Konferenz noch weiter, stehen immer in Kontakt mit Jugendlichen in Afghanistan. Können Sie sich selber vorstellen, dort dann auch mal für länger zu leben nach Ihrem Studium?

    Chopan: Ja, das ist auch mein Ziel, das war schon von Kind an mein Ziel. Deswegen habe ich Medizin studiert, und ich möchte auch, nachdem ich meinen Facharzt gemacht habe, nach Afghanistan zurückkehren und dort mitarbeiten.