Dienstag, 23. April 2024

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Internet-Aktivist: Ein Kampf der digitalen Generation gegen die analoge

Anstatt das analoge Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen, habe man den Weg von mehr Überwachung, mehr Kontrolle gesucht, sagt Markus Beckedahl. Der Internetaktivist von Netzpolitik.org, stimmt zu, dass bei ACTA die Verknüpfung von Urheberrecht und Piraterie ein "Kardinalfehler" war.

Markus Beckedahl im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 04.07.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Jahrelang haben Regierungsbeamte in aller Welt am "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" gearbeitet, und jetzt war alles umsonst: mit 478 zu 39 haben die Mitglieder des Europäischen Parlaments das Projekt regelrecht abgeschossen, und am Telefon ist jetzt ein zufriedener Markus Beckedahl von der Berliner Organisation Netzpolitik.org - dieses .org besagt, dass es sich um eine Webseite handelt. Herr Beckedahl, war das jetzt ein Kampf der Internet-Generation gegen die Hardware-Industrie?

    Markus Beckedahl: Ja, man kann es schon so beschreiben, dass es ein Kampf der digitalen Generation gegen die analoge Generation war. Es ging hier darum, wie wir den digitalen Raum regulieren wollen, und da hat eine überwältigende Mehrheit im Europaparlament sich unserer Kritik angeschlossen und gesagt, hier brauchen wir andere Wege in der Regelung, wie wir das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anpassen können, und keine weiteren repressiven Wege, wie sie mit ACTA möglich geworden wären.

    Müller-Ullrich: Wenn wir nur mal ganz kurz noch auf die materielle inhaltliche Seite von ACTA schauen: War es einfach ein Unglück, dass da zwei Bereiche miteinander verknüpft wurden, die miteinander nicht unbedingt zu tun haben, denn gegen Produktpiraterie im Allgemeinen sind Sie doch auch?

    Beckedahl: Ja das war der Kardinalfehler am Anfang von ACTA. Eigentlich war ACTA geplant als Abkommen zur Bekämpfung von Produktpiraterie, und da haben sich dann erfolgreich bestimmte Lobbys reingehackt, die das Ganze dann auf Urheberrechtsdurchsetzung ausgedehnt haben, und auf einmal war jeder betroffen.

    Müller-Ullrich: Was für Lobbys? Was für Lobbys sind das?

    Beckedahl: Das waren vor allen Dingen die Lobbys der internationalen Musik- und Filmindustrie, die natürlich ihre Chance gesehen haben, dort ein internationales Handelsabkommen mitbestimmen zu können.

    Müller-Ullrich: Was ist denn jetzt so schlimm gewesen an der Idee, dass man auch digitale Inhalte im Internet urheberrechtlich schützen und das heißt ja notwendigerweise irgendwie verfolgen und kontrollieren können muss?

    Beckedahl: Nein das heißt nicht notwendigerweise, dass man etwas verfolgen und kontrollieren muss. Wir haben seit zehn Jahren eine Repressionsspirale. Anstatt das analoge Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen, hat man immer nur den Weg von mehr Überwachung, mehr Kontrolle gesucht, und das hat jetzt hoffentlich ein Ende. Wir müssen Wege finden, wie wir neue kulturelle Praktiken einfach mal legalisieren können, wie beispielsweise das Recht auf Remix auch in Europa einzuführen. In den USA darf ich digitale Collagen machen, so wie wir früher aus Zeitungsartikeln Collagen zusammengeschnipselt haben. Die darf ich dort auch veröffentlichen, das ist vollkommen legal. Transformative Werke anderen bereitzustellen, ist in den USA legal. In Europa, in Deutschland werden wir dafür als Verbrecher bezeichnet und bekommen Abmahnungen. Das kann es doch nicht sein!

    Müller-Ullrich: Aber es geht ja nicht nur um Remixe und Collagen, sondern um Filme runterladen, Inhalte kopieren, weiterreichen, sodass die Urheber nichts mehr daran verdienen können.

    Beckedahl: Also ich bin immer noch davon überzeugt, der beste Weg gegen die sogenannte Online-Piraterie ist die Schaffung von niedrigschwelligen, guten und bezahlbaren Angeboten. Hier mangelt es vor allen Dingen im Filmbereich noch sehr stark. Versuchen Sie mal, legal im Internet einen Film gegen Geld herunterzuladen - da werden Sie scheitern.

    Müller-Ullrich: Ist es tatsächlich so - manche haben ja "Shitstorm im Wasserglas" gesagt -, dass eine kleine Gruppe von Internet-Aktivisten so einen Wirbel entfalten konnten, dass ein Gesetz im Europäischen Parlament scheitert?

    Beckedahl: Im Februar waren 100.000 Menschen allein in Deutschland in 60 Städten bei Minustemperaturen auf der Straße und Millionen Menschen haben Petitionen im Internet unterzeichnet, Hunderttausende haben sicherlich sich an ihre EU-Abgeordneten gewandt. Das hat alles dazu geführt, dass sich die Parlamentarier mit der berechtigten Kritik offensichtlich an ACTA auseinandergesetzt haben und sich dann eine eigene Meinung gebildet haben, die anders aussah, als von bestimmten Lobbygruppen und der EU-Kommission gewollt.

    Müller-Ullrich: Ist für die Zukunft daraus was zu lernen? Das heißt, wird diese Methodik vielleicht Schule machen und auch bei anderen Gesetzgebungen, die jetzt gar nichts mit Internet zu tun haben, zum Tragen kommen?

    Beckedahl: Was wir gesehen haben ist zum ersten Mal eine richtige erstarkte europäische Öffentlichkeit, die das Netz genutzt hat, um sich über Grenzen hinweg in Echtzeit zu vernetzen, zu koordinieren und für ihre Interessen auf die Straße zu gehen. Wir haben sehr viele, vor allen Dingen junge Menschen gehabt, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben politisch engagiert haben. Und dass die jetzt so ein Erfolgserlebnis haben, dass es etwas bringt, auf die Straße zu gehen, dass es etwas bringt, für ihre Grundrechte einzutreten, das kann doch hoffentlich nur unsere Demokratie stärken.

    Müller-Ullrich: ... , sagt Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. Vielen Dank für diese Stellungnahme zum vorerst letzten Akt von ACTA.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.