Archiv

Internet
Das manipulierte Medium

Der NSA-Skandal hat der Internetbegeisterung der vergangenen Jahre einen empfindlichen Dämpfer verpasst. Der Wandel und die Reaktionen darauf waren Thema einer Konferenz und einer Ausstellung in Berlin.

Von Oliver Kranz |
    "Außerhalb von Deutschland kann man sich lustig machen über diesen Kulturpessimismus made in Germany", sagt der holländische Internet-Theoretiker Geert Lovink, um im selben Atemzug zu bekennen, dass auch sein Weltbild sich nach den Enthüllungen Edward Snowdens geändert hätte. Die Fähigkeit der NSA, jeden einzelnen Internet-Nutzer zu überwachen und zu manipulieren, sei erschreckend:
    "Wir brauchen eine politische Lösung. Wir können uns individuell nicht schützen. Leute, das geht nicht. Trotzdem müssen wir uns in der Zwischenzeit darüber Gedanken machen, wie wir weitergehen."
    Und das unterscheidet Lovink von vielen anderen Netztheoretikern. Statt die verlorene Unschuld des Internets zu betrauern, plädiert er dafür, es kreativ zu nutzen. Abgeschafft werden kann es ja ohnehin nicht mehr:
    "Es gibt sehr viel Internetkunst, aber richtig schöne und wichtige Arbeiten sind doch die, die die ganze interne Architektur infrage stellen. Die Leute, die hinter die Benutzeroberflächen geschont werden und die sich Mühe gegeben haben, zu verstehen, was da los ist."
    Zu diesen Künstlern gehört Stefan Panhans, der zurzeit im Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf seine Videos präsentiert, nicht. Doch ohne das Internet wären seine Filme kaum denkbar. Sie zeigen meist Menschen in beengten Räumen, die mit unbeteiligten Gesichtern merkwürdige Texte sprechen:
    "Bei einer Abwesenheit von mehr als 14 Stunden kannst du zwölf Euro angeben und bei einer Abwesenheit von 24 Stunden kannst du 24 Euro ansetzen. Erstattungen deines Arbeitgebers musst du allerdings von diesen Aufwendungen abziehen."
    Eine gespenstisch geschminkte Frau liegt in einem Kellerraum auf Strohballen und referiert Texte, die Stefan Panhans im Internet gefunden hat - Steuertipps, esoterische Abhandlungen und Werbetexte eines Dating Portals:
    "Vielleicht kennen Sie das auch, den Effekt: Sie stehen irgendwo rum und erzählen jemanden was und merken an sich selber, wie vorgefertigt Sie Sätze oder Phrasen von sich geben. Wir werden auf allen Ebenen durchdrungen von Texten und Bildern, die auch einfach identitätsstiftend funktionieren. Das ist in meinen Videos durch die collagierten Texte vielleicht etwas übersteigert, aber ich glaube im Grunde gibt es solche Momente bei uns allen, dass wir so funktionieren, wie es ganz subtil in uns hinein transportiert wird über Medien."
    Das Internet ist nicht das einzige Medium, bei dem sich Stefan Panhans bedient, um zu zeigen, wie Menschen manipuliert werden, aber das wichtigste - schon allein aufgrund der Masse des angebotenen Materials. Das das Internet, sagt er, sei eine Parallelwelt, die alles und jeden durchdringt und den Menschen bestimmte Verhaltensweisen abfordere:
    "Vielleicht müssen manche schneller werden. Vielleicht gehen manche damit besser um und manche weniger. Es ist auf jeden Fall da und man muss damit umgehen."
    Panhans setzt dem Beschleunigungsdruck, der total vernetzten, informationsüberfluteten Welt in seinen Videos eine bewusste Bilderarmut und Langsamkeit entgegen. Er verzichtet auf Schnitte, Kamerafahrten und Zooms. Seine Akteure stehen, liegen oder sitzen meist starr an einer Stelle, und auch wenn sie sich bewegen, kommen sie nicht vom Fleck:
    "Zu dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe Videos zu machen, 2001, da wurden die Bilder in meiner Wahrnehmung im Fernsehen und auch im Internet immer schneller. Ich fand das total grausamen und habe einen sportlichen Ehrgeiz entwickelt: kann ich ein Video mit nur einem Bild machen?"
    Stefan Panhans sieht seine Videos als Störfaktoren im immer schneller werdenden Fluss der Kommunikation.
    Und eine Kunst, die stört, wünscht sich auch Geert Lovink. Doch sie sollte sich seiner Meinung nach auch mit den technischen Aspekten des Internets auseinander setzen.
    "Derzeit ist es so, dass die Künstler sich immer weiter zurückziehen. Das halte ich für schade. Wenn sie sagen: wir geben auf, das ist zu schwierig oder das interessiert mich nicht, dann kann man auch sehr gut verstehen, dass viele sagen: dann interessierte ich mich auch nicht für die Kunst."
    Wer kreativ mit dem Internet oder mit sozialen Netzwerken arbeiten möchte, muss wissen, wie diese Netzwerke funktionieren. Bei seinem Vortrag in Berlin nannte Geert Lovink ein Beispiel. Viele Internetkunstprojekte arbeiten mit Masken - d.h. sie spiegeln etwas vor, was nicht existiert, um das Publikum überraschen oder verstören zu können. Nach dem NSA-Skandal erscheint diese Strategie in einem neuen Licht. Lovink:
    "Diese Welt der Masken ist komplett zusammengestürzt mit Snowden. Aber ich denke, dass vor allem Künstler sehr gut in der Lage sein werden, diese neue Maskerade auszudenken."
    Lovink wünscht sich Künstler und Wissenschaftler, die für ein breites Publikum die Funktionsweise des Internets verständlich machen. Er nennt diese Menschen Technikphilosophen. Sie könnten viel dazu beitragen, dass das Netz in Zukunft nicht zu einer riesigen Manipulations- und Spionagemaschine verkommt, hofft Lovink:
    "Leider gibt es davon sehr wenige. Ich plädiere dafür, dass alle Philosophen lernen zu programmieren."