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Internet-Kontrolle in Syrien

Abdel Rahman Shaghouri wohnt auf dem Land in der UN-kontrollierten Zone im Golan, etwa 35 km südwestlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. Er interessiert sich für das Internet, macht deshalb einen Computerkurs. Da es in seinem Dorf kein Internet-Café gibt, sitzt er regelmäßig vor dem Computer seines Bruders und surft von dort aus im Netz - bis zum 23. Februar 2003. An jenem Tag wartet seine Frau Meisun vergeblich, dass er von Besorgungen in Damaskus nach Hause zurückkommt.

Von Manuela Römer |
    Während der Rückfahrt von Damaskus in unser Dorf Birajam wurde er am Checkpoint Sa’assa'a festgenommen und sein Auto konfisziert. Ein Verwandter, der mit ihm unterwegs war, erzählte uns, was passiert war. Die Polizei hatte ihm gesagt, mein Mann werde in ein paar Tagen wieder frei kommen.

    Doch Abdel Rahmahn Shaghouri kam nicht frei, sondern von einem Gefängnis ins nächste. Dafür sorgte der Mukhabarat – der syrische Geheimdienst. Zuerst hielt ihn die Staatssicherheit 83 Tage in Einzelhaft, dann wurde er nach Damaskus zur Militärpolizei verlegt und schließlich in ein Gefängnis nahe des christlichen Bergdorfes Sednaja nördlich von Damaskus. Der Grund ist, sagt Anwalt Haitham al-Maleh, dass Shagouri Informationen aus dem Internet weitergab.

    Als er das Internet öffnete, sah er Texte von wichtigen Persönlichkeiten. Er nahm diese Informationen und schickte sie per E-Mail an seine Freunde. Es handelt sich um ungefähr zehn Artikel, die er weiterleitete. Und weil das Internet durch die Staatsmacht kontrolliert wird, wurde er deswegen aufgegriffen.

    Shaghouri war auf die in London produzierte und in Syrien verbotene Seite www.thisissyria.net gegangen. Von dort leitete er Beiträge der so genannten "Orient-Nachrichten" weiter. Zehn Monate nach seiner Verhaftung ohne Haftbefehl gab es erstmals eine Anhörung dazu – ohne Öffentlichkeit, ohne Rechtsanwalt.

    Ich habe das Recht, ihn zu sehen, aber bisher konnte ich nicht. Ich habe das in meiner Verteidigungsschrift festgehalten, denn das ist illegal. Sie nutzen eben einfach die Macht aus, die sie haben.

    Die Macht hat der Staat durch den Ausnahmezustand, der seit über 40 Jahren in Syrien herrscht. Da sich das Land nach wie vor formal im Kriegszustand mit Israel befindet, gelten Notstandsgesetze, das heißt die Menschenrechte werden immer wieder massiv eingeschränkt. Offiziell soll das Syrien schützen. In der Praxis ist es ein Instrument, Kritik zu unterdrücken. In Shaghouris Anklageschrift heißt es:

    Shagouri schickte Artikel aus dem Internet an viele Leute innerhalb und außerhalb des Landes. Die meisten dieser Texte stammen aus den Orient-Nachrichten. Darin sind Ideen enthalten, die den Ruf und die Sicherheit von Syrien zerstören. Außerdem sind die Artikel voll von Gerüchten und Informationen, die von der Wahrheit weit entfernt und übertrieben sind.

    Haitham Al-Maleh vermutet, dass bei der Verhaftung Shaghouris auch dessen Nähe zu Scheich Jaudatt Said Mohammed eine Rolle spielte. Der Scheich wird gelegentlich der "Ghandi des Golan" genannt und Shaghouri folgt seiner Denkschule. Um dessen Ideen von absoluter Gewaltlosigkeit und Dialog zu verbreiten, organisierte Shaghouri vor seiner Verhaftung Treffen mit Journalisten. – Der Scheich sieht dagegen keinen Zusammenhang.

    Was passiert ist, die Verhaftung, war falsch. Die Geheimpolizei hat das nicht verstanden: Shaghouri hat keine Vorgeschichte. Und auch nicht wegen der Verbindung zu mir ist er verhaftet worden. Er ist auch nicht organisiert in einer Partei. Sondern wegen seiner geistigen Neugier sitzt er im Gefängnis. – Er glaubt an den Menschen, an den Verstand und die Gewaltlosigkeit.

    Bei den Texten, die Shaghouri weiterleitete, handelt es sich z.T. um Kritik daran, wie der syrische Staat mit Gewalt versucht Probleme zu lösen: Zum Beispiel beim Massaker von Hama 1982 als Tausende Muslime ermordet wurden oder mit der Verhaftung des Journalisten Ibrahim Hamidi. Er kam ein halbes Jahr ins Gefängnis, weil er vor dem Irak-Krieg berichtete, dass Syrien plante Lager für eine Million irakische Flüchtlinge einzurichten.

    Jetzt sind viele Leute im Gefängnis – für gar nichts. Manche Leute können verhaftet werden, weil sie eine Tasse Kaffee mit jemandem trinken. Ich habe das in meiner Verteidigung für Shaghouri geschrieben: Nur sehr wenige Leute haben im Internet etwas gegen Syrien, gegen die Regierung gesagt, das ist also kein großes Problem. Aber Shaghouri hat nicht einmal das getan. Er hat etwas vom Internet genommen und es an seine Freunde geschickt. Das war also nur eine kleine Sache.

    Aber dafür sitzt Shaghouri seit einem Jahr und zwei Monaten im Gefängnis – obwohl auch Syrien die UN-Menschenrechtskonvention unterschrieben hat und damit den Art. 19, der ausdrücklich auch die Verbreitung von Information erlaubt. Laut "Reporter ohne Grenzen" wird dieses Recht in Syrien regelmäßig außer Kraft gesetzt, Shaghouri ist kein Einzelfall.